Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 13447. Wien, Freitag, den 31. Januar 1902 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 13447. Wien, Freitag, den 31. Januar 1902 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 31.01.1902
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Hofoperntheater. („Feuersnoth“, ein Singgedicht von Ernst v. Wolzogen; Musik von Richard Strauß.)

Ed. H. Eigentlich eine einactige komische Oper mit unverhältnißmäßig großem Apparat und großen Absichten. Ein Ereigniß, für das die deutschen Literatur-Beamten im Dienste der modernsten musikalisch-dramatischen Er scheinungen auch schon die Formel gefunden haben: wir stehen tiefbewegt vor der Allianz zwischen musikalischer und literarischer Moderne. Bereits flammen in den ver einten Heerlagern kleine Freudenfeuerchen auf, die sich an dem Sonnwendfeuer des „Singgedichtes“ entzündet haben. Dieses selbst ist einer niederländischen Sage entnommen. Sie erzählt von einer spröden Schönen, welche den wer benden Liebhaber in einem Hängekorb dem Spotte preis gibt. Dem Gekränkten schafft ein alter Zauberer Genug thuung. Auf sein Geheiß erlischt alles Feuer in der Stadt und jeder Insasse muß sich seine Fackel an dem entblößten Rücken des Mädchens anzünden. Vielleicht hätte der groteske Märchenstoff mit seinem alten Motiv der be straften Sprödigkeit gerade ausgereicht für einen herz haft naiven Schwank. In „Feuersnot“ ist er un barmherzig gedehnt und „vertieft“. Zunächst übersiedeln wir aus dem niederländischen Oudenarde ins alte München, nahe ans alte Nürnberg der „Meistersinger“. Auch begeht man da „das schöne Fest Johannistag“ mit loderndem Sonnwendfeuer. Das Volk durchzieht festlich die Straßen der Stadt. Kunrad, ein einsamer Junker, lebt da bekrittelt, unverstanden. Er besitzt Zaubergewalt, wie es heißt. Eine herumziehende Kinderschaar, die Holz für das „Subendfeuer“ sammelt, pocht den Träumer aus dem Haus. Er gibt gleich zum Verbrennen sein ganzes Hexen haus her, das er von seinem Meister geerbt. Da erblickt Kunrad die schöne Diemut, des Bürgermeisters Töchter lein; sie ihn! Sie verschauen sich in einander wie Senta und der Holländer, mit dem schönsten langen Blick

Wagner’s. Endlich erinnert sich Kunrad, daß er neben manchem Andern auch den modern vertieften Renaissance- Menschen, den schrankenlosen Individualisten zu verkörpern hat. Er stürzt vor aller Welt auf Diemut los und küßt sie. Das nehmen die alten rückständigen Münchener übel. Auch Diemut ist tief gekränkt, nach außen; nach innen ist sie eigentlich Münchener „süßes Mädel“. Als das Sonnwendfeuer aufflammt, naht Kunrad der Begehrten mit heißen Anträgen. Diemut erhört ihn scheinbar in einem brünstigen Liebesduett; der Korb functionirt, der den Geliebten zum Söller emporheben soll. Auf halbem Wege läßt ihn Diemut stecken; in der nächtlichen Stille dringt spöttisches Geflüster, höhnisches Gelächter an das Ohr des Enttäuschten. Da regt sich der Magier in Kun rad; merkwürdigerweise hat der Zaubergewaltige, der sich nicht aus dem Korbe heraushelfen kann, die Macht, dem Feuer zu gebieten. Unser Beleuchtungstechniker stellt die gute Stadt München auf „Dunkel“. Schrecken, Tumult, Wehklage, Verwünschungen. Die ärgste Strafe folgt aber noch. Kunrad hält den Münchenern eine ganz unerwartete, lange Bußpredigt. „Warum ich’s gethan, künd’ ich euch frei. — Denkt euch die Deutung dabei“ — schickt Kunrad voraus und beginnt nun „ernst und groß“. Ein paar seiner artigen Verse muß man hersetzen: Schmählich habt ihr ihn ausgejagt, in neidiger Niedertracht ... Sein Wagen kam allzu gewagt euch vor, Da triebt ihr den Wagner aus dem Thor — Den bösen Feind, den triebt ihr nit aus, Der stellt sich euch immer aufs neu zum Strauß. Wolzogen mannige wackere Leut’, Die ein verwegenes Wirken freut, Fern an dem Reich in den Isargau, Zu wipfelfreudigem Nesterbau u. s. w.

Wie die alten Maler auf manchem Bilde ihre eigenen Züge, haben hier Dichter und Componist neben dem heiligen Namen Wagner’s auch ihre eigenen Namen in ihrem Werke angebracht. Zu Ende seiner Standrede appellirt Kunrad, der verkannte Künstler, an das Ewig- Weibliche. „Das lautere Feuerelement minnige Mädlein sind.“ Kunrad kann selbstverständlich nur dann sich als „des Meisters echter Sproß“ bewähren, wenn sich ihm das begehrte Weibliche in freier Liebe hingibt. „Aus heiß jungfraulichem Leibe einzig das Feuer euch neu entflammt!“

Die Rede Kunrad’s hat eine ungeahnte Wirkung. Die Münchener bekehren sich zur freien Liebe. Jung und Alt, Männlein und Weiblein. — Diemut’s Vater, ein seltenes Beispiel väterlicher Toleranz mit drunter — dringen in die Spröde, sich dem Volkswohl zu opfern. Die gut gelaunten Autoren von „Feuersnoth“ lassen das gesammte Volk — Vater Bürgermeister immer mit — uns selbst im Zuschauerraum, der rettenden That harren, der sich Diemut unterziehen soll. Es ertönt ein Inter mezzo à la „Cavalleria“, während dessen aber nicht gebetet wird. Schwüle, ausdrucksüchtige Musik malt, was da hinter den Coulissen in der Kammer Diemut’s vorgeht. Im entscheidenden Moment, „als die Steigerung im Orchester ihren Höhepunkt erreicht hat“, flammen mit einem Schlage sämmtliche Lichter auf. Denkt euch die Deutung dabei! „Die Männer lachen verschmitzt, und die Frauen verstecken verschämt ihre Gesichter in Händen und Gewanden“, lautet die dazu gehörige scenische Anweisung. Sagen wir es kurz: diese Vorgänge haben nichts von freier lachender Sinnlichkeit — sie sind einfach obscön. Die Bühne hat auch ihre ungeschriebene Lex Heinze. Den Freiherrn vom Ueberbrett kümmert sie wenig. Herr v. Wolzogen stellt auch in sangbaren Bummelversen, artistischem Wortgebimmel und stammelndem Tristan schwulst seinen Mann. Kurz, Stimmung bis zur Ver stimmung neben dem forcirten Humor des „bunten Theaters“.

Ueber die Musik will ich mich nur kurz aussprechen; kurz, aber nicht gut. Bei aller Hochschätzung der blenden den technischen Kunst und der geistreichen, liebenswürdigen Persönlichkeit des Componisten, muß ich doch unumwunden meinen Totaleindruck von seiner Oper bekennen: quälende Langweile. Nicht die arglose milde Langweile, die uns sanft einnicken macht, sondern jene schlimmere, auf reizende, insultative Langweile, welche den zeitweilig Ein nickenden sofort aufgepeitscht, wie dies als eine beliebte Folterqual früherer Jahrhunderte in Uebung gewesen. Ich erinnere mich keiner Oper, die mit solcher melancholischer Schwere mich bedrückt und gleichzeitig mit so nerven peinigender Unruhe gestachelt hätte. In älteren lang weiligen Opern gab es doch immer ein Lied, ein Duett oder Terzett, woran man sich entschädigen und erquicken konnte. In „Feuersnoth“, richtiger Melodiennoth, werden

wir gnadenlos ohne Ruhepunkt durch einen unnatürlichen, von tausend Orchester-Effecten übertäubten formlosen Sprech gesang weitergeschleppt. Taucht hin und wieder ein freund liches Melodienköpfchen auf, so wird es nach zwei oder drei Tacten unbarmherzig abgeschlagen und in der Fluth der Modulationen und Orchester-Combinationen ertränkt. Die kritischen Feuernothhelfer verweisen uns zwar auf dieses oder jenes winzige Melodiechen, das wir als Leser gewiß nicht übersehen haben, das aber das Publicum bei der Aufführung überhört. Unser Ohr ist eben kein Magnet und die Melodiechen keine Eisenfeilspäne. Die neuesten deutschen Operncomponisten „verachten“ alle die Melodie, ungefähr wie gebrechliche Greise das Jungsein verachten. Sie stehen allgesammt nicht etwa unter dem Einflusse von Wagner, dem sich ja heute Keiner entziehen kann, sondern unter dem tödtlichen Drucke der sklavischen Wagner-Nachahmung. Was an Wagner höchstpersönlich und genial war, das können sie nicht nachmachen, also verlegen sie sich auf das Copiren des Nebensächlichen, mitunter Manierirten und Ermüdenden. Richard Strauß zählt zu den unbedingten Wagnerianern; in „Feuersnothbegegnet er sich, schon im Stoffe, vielfach mit den „Meister singern“. Aber wo findet sich bei ihm eine Stelle, die im entferntesten die einheitliche Form, den selbstständig melodiösen Reiz aufwiese, der uns in Pogner’s Anrede, in Stolzing’s Preislied, in dem Sextett des zweiten Actes, in den Volksscenen des dritten entzückt? Solch freigewachsene duftige Blumen lassen sich eben nicht durch Reflexion nach schaffen, nicht einmal in Leder und Papier. Einer Oper, welcher die singende Seele fehlt, ist nicht zu helfen. Auch nicht durch all die subtilen oder grandiosen Orchesterkünste, welche Richard Strauß so unvergleichlich commandirt.

Eine einactige komische Oper wie „Feuersnoth“, in diesem schweren, schleppend-feierlichen Styl gleicht einer Hütte aus Marmor. Und der stylistische Grundfehler ist bei Strauß nichts weniger als gemildert durch die ihm eigene Sucht nach Ueberladung und Complication. Tact für Tact gibt es saure motivische Arbeit, Häufung von unruhigen gewaltsamen Modulationen, jähen Klangfarbenwechsel, ge suchte Ausdeutungen des Textwortes. „Unter den ge fährlichen Nachwirkungen Wagner’s scheint mir das Lebendigmachenwollen um jeden Preis eine der gefährlichsten; denn blitzschnell wird es Manier, Hand

griff“, heißt es in einem Briefe Nietzsche’s. R. Strauß kennt keine ruhige einfache Linie, kennt überhaupt keine Oekonomie der Mittel. Er entwickelt nicht das Einfache zum Zusammengesetzten, er überfällt von vornherein mit dem Verwickelten. Durch diese fortwährenden harmonischen Verrenkungen, ablenkenden und deckenden Orchesterklänge wird denn auch im Einzelnen der beste Einfall undeutlich, wie ein Bild, das zu hoch aufgehängt ist. Aber es gibt in „Feuersnoth“ nicht viel dieser besten Einfälle. StraußErfindung zeigt überhaupt wenig Eigenartiges in dieser neuen Oper. Kein Gedanke, der uns mit der holden Ge walt der Melodie in Fesseln schlagen würde. Wo ein Motiv sich glücklicher formt, dient es bestenfalls einer Musik der nicht fortgesetzten Anfänge. Ob Strauß nicht fortsetzen will oder nicht fortsetzen kann? Es gibt Stellen, an denen er ganz unverkennbar vom Leitmotiv weg den Pfad in die gegliederte Gesangsmelodie sucht. Man sehe zum Beispiel die längeren Ausführungen Kunrad’s; er kommt bald Marschnerisch nicht weiter, bald Wagnerisch nicht. Oder die Chöre und Ensembles. Es singen die Kinder, es singt das Volk. Da gälte es doch gesunde, schlichte Einfälle. Aber bei Strauß sagen Kinder nicht die Wahrheit; vielmehr Unwahres, Verschrobenes. Und die mit contrapunktischer Lauge übergossenen volksthüm lichen Gesänge der braven Münchener! Mit der giftigsten Harmonik und grimassirendsten Rhythmik verfolgt Strauß die Ensembles. Das Tollste leistet die Chorscene, die dem Verlöschen des Feuers folgt. Hier er lischt auch das letzte Stümpfchen Wohlklang. Die Finsterniß auf der Bühne wird in der Musik zur egyptischen Plage. Sehr pathetisch, aber nicht sehr eigenartig geberdet sich das Liebespaar der Oper. Kunrad, der Langhaarige, Bleiche, bekommt auch langhaarige, bleiche Leitmotive. Fräulein Diemut könnte ein frisches schalkhaftes Gebilde werden, sollte es wenigstens. Die Liebesscene ist mit allen Mitteln auf die Schwüle der Mittsommernacht gestimmt. Das klingt und rauscht, geräth aber doch viel zu schwer und pathetisch, trotz des hübschen Flüstertrios der Gespielinnen, das in diesen aufgeregten Tonschwall eingesprengt ist. Gerade hieher gehörte eine lächelnde, leichtgefügte Lustspiel musik. Ein genaueres Eingehen in die Einzelheiten der Oper wird man mir wol erlassen. Wie soll man detailliren, wo Alles Detail ist? Wie die Tausende von Sternchen

aufzählen, die hier unterschiedlos in der Monotonie der Einen sauren Milchstraße aufgehen? Strauß ist kein Dramatiker von Geburt. Der breite epische Schilderer, der sich gerne in Seitenpfade verliert, schlägt vor. Strauß ist kein eminenter Theatraliker wie Wagner, der gleichsam selber agirte mit und in seinen Personen. Er erscheint uns mehr wie ein Vorleser mit Wagner’scher Mimik. Auch den letzten Sinn für dramatische Maße vermissen wir. Welch maßlose Zerdehnung dieses einen Opernacts! Ja, bei Strauß sehen wir den neudeutschen dramatischen Styl beinahe schon ad absurdum geführt. Die Tyrannei des Orchesters beginnt bereits auch das dramatische Princip zu bedrohen.

Von der Aufführung der Novität, welche den Sängern und Instrumentalisten die schwierigsten Aufgaben stellt, kann man nur mit Bewunderung sprechen. Das Orchester vollbringt da, unter Director Mahler’s Commando, wahre Heldenthaten. Wer sich entschließt, die „Feuers noth“ ein zweitesmal mitzumachen, dem möchten wir em pfehlen, seine Aufmerksamkeit ganz und ungetheilt dem Orchester zuzuwenden. Da kann er eine ununterbrochene Kette seltener Orchester-Combinationen und Instrumental- Effecte verfolgen und den Componisten von seiner glän zendsten Seite kennen lernen. Unter den Sängern verdienen das erste Lob — die Kinder. Wir staunten, wie rein sie die widerhaarigsten Intonationen im Eingangschor sangen, ja daß sie überhaupt diese Musik auswendig zu behalten vermochten. Gibt es keinen musikalischen Kinderschutzverein? Die Oper enthält nur zwei Hauptrollen; Fräulein Michalek ist eine reizende Jungfer Diemut, Herr Demuth ein vornehmer, muster haft declamirender Kunrad. Sehr tapfer hielten sich die Darsteller der vielen kleineren, ebenso schwierigen wie un dankbaren Nebenrollen. Ob die Oper einen wirklichen Er folg gehabt, möchten wir vorläufig nicht entscheiden. Das Parquet verhielt sich nach dem Fallen des Vorhanges sehr reservirt, aber die Galerie tobte in so gewaltigem unaus gesetzten Beifallslärmen, daß der Componist ein halbdutzend mal dankend auf der Bühne erscheinen mußte. Als Zugabe zur Oper bekamen wir ein altes abgespieltes Ballet, „ Rouge et noir “, zu sehen. Die feuergeprüften Zuhörer blieben diesmal vollzählig auf ihren Plätzen und schienen bei dieser einfachen, lustigen, miserablen Balletmusik förmlich auf zuathmen.