Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 13465. Wien, Dienstag, den 18. Februar 1902 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 13465. Wien, Dienstag, den 18. Februar 1902 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 18.02.1902
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Sanct Franciscus.“ Oratorium in drei Theilen von P. Hartmann v. An der Lahn-Hochbrunn.

Ed. H. Es mag vier Wochen her sein, daß verschie dene recht weltkundige Musiker Rosé’s Musikhandlung mit der neugierigen Frage stürmten, wer denn der fremde Mönch sei, welcher da in allen möglichen Formaten und unzähligen Exemplaren im Schaufenster mitten unter den bekanntesten Sängerinnen und Schauspielern prangt? Einige Belehrung mit neuem Erstaunen brachten die riesigen Anschlagzettel mit der Ankündigung von drei aufeinander folgenden Aufführungen eines Oratoriums „Sanct Fran ciscus“ von Pater Hartmann im großen Musikvereins saale. Gleich drei Aufführungen eines Oratoriums, das, wie der Componist selbst, hier kaum dem Namen nach bekannt war! Welches Wunder! Man denke nur ein wenig zurück und male sich das ungläubige Erstaunen aus, wenn etwa Felix Mendelssohn im Jahre 1837 drei Auf führungen seines bereits in der ganzen Welt gefeierten, nur in Wien noch unbekannten Meisterwerkes „Paulusangekündigt hätte! Immerhin — die Billette zur ersten Aufführung des „Sanct Franciscus“ waren acht Tage vor her ausverkauft. Was konnte dem Componisten im vor hinein diesen unerhörten Antheil und Zulauf sichern? Offenbar sein geistliches Gewand und der exotische Reiz, einen Mönch sein eigenes Werk dirigiren zu sehen. Mit dieser Vermuthung möchte ich selbstverständlich dem hoch würdigen P. Hartmann nicht nahetreten, dessen schlichtes, echt bescheidenes Wesen ich voll aufrichtiger Freude kennen und hochschätzen gelernt. Nur die weih

rauchduftende Anticipando-Ekstase schien mir sehr auf fallend als ein merkwürdiges Zeichen der Zeit, wie es namentlich in frommen höheren Gesellschaftskreisen Wiens jetzt hervortritt. Wir haben ja Aehnliches mit dem Abbate Perosi erlebt. Von der päpstlichen Curie warm empfohlen, bei Hof und der Wiener Aristokratie mit größter Auszeichnung empfangen und gefördert, sah sich Abbé Perosi auch von unserem Publicum mit hoff nungsvoller Neugierde begrüßt. Gedrängt voller Saal, stürmisch jubelnde Begrüßung. Den Musiker interessirte Perosi’s „Lazarus“ durch die ungewohnte Fassung streng biblischen Inhalts, ohne einen tieferen Eindruck zu hinter lassen. In vielen deutschen Hauptstädten (Berlin, Dresden, Frankfurt) war das Werk beinahe durchgefallen, in Wien geschah eigentlich dasselbe. Sind doch vier Jahre seither verflossen, und noch hat sich hier nicht das leiseste Verlangen geregt, das so schmeichelhaft aufgenommene Oratorium des berühmten Priesters wieder zu hören. Wie lautet doch das hübsche arabische Sprichwort? Man empfängt den Gast nach seinem Gewande Und entläßt ihn nach seinem Verstande.

Wie P. Hartmann durch seinen geistlichen Stand an Perosi, so erinnert er durch den Stoff seines Oratoriums unwillkürlich an den „Heiligen Franciscus“ von Edgar Tinel. Wir haben dieses Werk 1895 unter R. v. Perger’s Leitung gehört. Der Inhalt und die ganze Anordnung von P. Hartmann’s Oratorium stimmt so genau mit dem „Franciscus“ von Tinel überein, daß Manches über diesen Gesagte fast wörtlich auf Jenen anzuwenden wäre. Nur die Exposition ist bei Tinel un gleich lebendiger, weltlicher. Wir sehen da Franciscus (den noch nicht „Heiligen“) in heiterer Geselligkeit mit lebenslustigen Jünglingen verkehren; sogar ein „Tanz stück“ folgt dem fröhlichen Gesang der Gäste. Die Ge schichte gibt hier der Tinel’schen Auffassung Recht. Franciscus (dessen eigentlichen Taufnamen Giovanni der Vater in „Franciscus“ abänderte, wegen der Fertigkeit des Sohnes im Französischen) hatte ein leicht erreg bares Herz und führte als Jüngling ein ausgelassenes Leben, machte auch (1201) einen Kriegszug gegen Perugia mit. Bei Tinel machte die sehr breit ausgeführte lustig lärmende Exposition keinen guten Eindruck; sie stimmt nicht zu dem Styl des Oratoriums, noch weniger zu der so plötzlich sich anschließenden Bußfertigkeit des Helden. Nach meiner Empfindung hat P. Hartmann besser gewählt, indem er

das weltfreudige Vorspiel von Franciscus’ heiligem Leben, das Tinel mit breitem Farbenpinsel ausmalt, nur flüchtig mit zartem Bleistift andeutet. Für den reinen keuschen Sinn P. Hartmann’s spricht es, daß er seinen Franciscus gleich als heiligen Mann einführt und auf das effectvolle Vorspiel Tinel’s verzichtet. Von da an wandern aber Tinel und P. Hartmann gleichen Schrittes. Die Handlung in beiden Oratorien, wenn auch nicht das Wort, ist völlig identisch. „Voll von Gottes Erleuchtung“ vertheilt Fran ciscus sein Geld unter die Armen, verläßt seine Genossen und erwählt zu seiner Braut — die Armuth. Er stiftet den Fransiscaner-Orden. Von da an besteht sein ganzes Leben in Beten, Fasten und Predigen. Die zweite Ab theilung zeigt uns den Heiligen, der Welt völlig abge storben, beseligt von dem Wunder, daß die Wundmale Christi sich an seinem Leibe wiederholen. Den dritten Theil des Oratoriums füllt ausschließlich des Heiligen Sterben und Begräbniß.

Tondichter und Franciscanermönch zugleich, fühlte P. Hartmann sich fast unwiderstehlich gedrängt, gerade seinen Ordensstifter und speciellen Heiligen in einem Oratorium zu verherrlichen. So fromme Absicht konnte aber nicht hindern, daß die breit ausgedehnte Dichtung in eine Monotonie verfiel, welcher die Kunst kaum irgend eines Componisten gewachsen erscheint. Liszt hat, wenigstens in einem Clavierstück, dargestellt, wie der heilige Franciscus den Vögeln predigt — ein idyllisches Intermezzo, das P. Hartmann sich leider hat entgehen lassen. Blos von Frömmigkeit und Entsagung, von Beten und Fasten kann selbst ein Oratorium nicht leben, Der Held muß mit seinen heiligen Gesinnungen auch ein mal thätig an die Außenwelt herantreten, mit ihr in Conflict gerathen. Man denke an Savonarola, der, ein Prediger und Bettelmönch wie Franciscus und von gleichem Eifer für die katholische Kirche erfüllt, sein kühnes Auf treten gegen die verderbte Clerisei und Aristokratie von Florenz mit dem Leben büßte. Dem frommen Lebens wandel des demüthigen Franz von Assisi hingegen ist nie mals ein Stein in den Weg gelegt worden. Papst Innocenz III. ertheilt ihm das Recht der freien Predigt; er darf sogar vor Honorius III. predigen. Er lebt und lehrt unbehindert und stirbt ruhig inmitten einer zahl reichen, ihn vergötternden Gemeinde. Nicht einmal jenes Minimum dramatischen Interesses gewährt er uns, das doch jedem Oratorium unentbehrlich ist. Bei P. Hart

mann bleibt Franciscus von Anfang bis zu Ende ein durchaus passiver Charakter, welchen kein Kampf für seinen Glauben aus der Ruhe seines Klosterlebens hinausruft. Der hoch würdige Componist wollte eben ein von allen weltlichen Momenten losgelöstes, rein beschauliches Oratorium schreiben; mehr für die Kirche als für den Concertsaal. Diese Tendenz, der eminent ultramontane Charakter, äußert sich auch noch darin, daß P. Hartmann sein Oratorium in lateinischer Sprache singen läßt, obgleich der Partitur eine brauchbare deutsche Uebersetzung unterlegt, und P. Hartmann als guter Deutscher geboren und erzogen ist wie seine Wiener Zuhörer. Dem Werke gedeiht es keineswegs zum Vortheil, wenn es in einer fremden, obendrein todten Sprache gesungen, also dem Verständniß und intimeren Antheil des Hörers gewaltsam ent zogen wird.

Näher herantretend an die Musik von P. Hartmann’s Oratorium, sehen wir uns abermals an dessen Verwandt schaft mit dem „Franciscus“ von Tinel gemahnt. Letzterer ist farbenreicher, moderner, aber ungleichartiger in seinen einzelnen Theilen, als das Werk P. Hartmann’s das durchaus ebenmäßig dahinfließt. Tinel bietet das ganze Rüstzeug des modernen Orchesters auf; kein Liszt- Wagner’scher Effect ist ihm unbekannt, mit keinem geizt er. Damit wirkt er allerdings in der ersten, weltlicher ge färbten Abtheilung, verhindert aber nicht im zweiten und dritten Theil unseren Sturz in einen wahren Abgrund von Langweile. Während Tinel auf Kosten der Styl einheit zahlreiche Anklänge an weltliche Compositionen von Berlioz, Meyerbeer, Gounod heranzieht, hält P. Hart mann sich dergleichen Einflüsse streng vom Leibe, über schreitet nicht um eine Linie das kirchliche Decorum. Sein Sanct Franciscus“ ist einförmiger, weltfremder, als der Tinel’s; trotzdem hat er mich mehr angesprochen, fast weniger gelangweilt. Es liegt dies in dem eigenartigen, nicht näher zu definirenden Zug von Ehrlichkeit und Ueber zeugung in P. Hartmann’s Musik. Einfach und prunklos spricht er aus, was ihm auf dem Herzen liegt; er macht kein Anlehen bei anderen Componisten und will sich nicht größer strecken, als er gewachsen ist. Entschieden Indivi duelles, höchst Persönliches klingt allerdings nicht aus seiner Musik heraus. Niemand wird sie als „genial“ charakterisiren, aber auch Niemand ein falsches Genialthun ihr vorwerfen. Manche bewährte kirchliche Redewendung gebraucht er ohne

weiters, bleibt aber einig in sich und fern von jeder Gefall sucht. Sein „Franciscus“ ist weniger Oratorienmusik, wie sie seit Haydn und noch mehr seit Mendelssohn sich heran gebildet hat, als vielmehr Kirchenmusik. Allerdings bringen die katholische Messe und das Requiem in viel engerem Rahmen doch weit mehr und stärkere Contraste (man denke blos an das „Dies irae“!), als der Heilige Franciscus“ enthält und dem Texte nach enthalten konnte. Von P. Hartmann’s Oratorium scheiden wir ohne Begeisterung, aber mit einem harmonischen, würdigen Eindrucke. Die unerbittlich strenge, einheitlich geschlossene Haltung des ganzen Werkes macht es schwer, fast auch überflüssig, einzelne Stücke daraus losgelöst zu besprechen. P. Hartmann will nicht durch Einzelheiten wirken, er möchte überhaupt (wie einst Händel von seinem „Messiassagte) seine Zuhörer nicht ergötzen, sondern bessern. Dennoch ist mehr als Ein Vorzug an dem Oratorium her vorzuheben. Zunächst die schöne, stimmgemäße Führung der Singstimmen, denen Unsangliches nirgends zugemuthet wird. Sodann die klangvolle Instrumentirung, die gleich falls nicht durch vordringliche Soli zu gefallen sucht — man denke an die unermüdliche Trompete bei Don Perosi! Nur ganz zum Schluß, bei dem Tode des heiligen Franciscus, zieht er die Harfe herbei, und hier ist dieses Verklärungs-Instrument an seinem erbgesessenen richtigen Platz. Der musikalische Satz bleibt durchwegs rein, wohlklingend und ungezwungen, selbst in den polyphonen Geweben und den fugirten Stücken. Im Ganzen also ein würdiges, sympathisches Werk, weniger fürs Concert als für die Kirche geschaffen, weniger für den Musiker als für die Frommen. Mit noch größerem Recht als einst Oskar v. Redwitz dürfte P. Hartmann unter sein Porträt die Verse setzen: Am Kreuze hängt mein Saitenspiel, Den Herrn zu preisen ist mein Ziel.

Die Aufführung des Oratoriums hat allgemein sehr befriedigt. P. Hartmann bewies als Dirigent eine überraschend geübte Hand; energisch leitete sie das Ganze, ohne einen einzigen Einsatz des einzelnen Sängers oder Spielers zu übersehen. Die vier Solopartien waren mit Frau Gutheil-Schoder, Frau Hilgermann, den Herren Schmedes und Frauscher vortrefflich besetzt. Der Beifall erscholl einhellig und enthusiastisch.