Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 13477. Wien, Sonntag, den 2. März 1902 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 13477. Wien, Sonntag, den 2. März 1902 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 02.03.1902
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Hofoperntheater. (Der „ dot mon “. Fastnachtsspiel von Hans Sachs . Musik von Joseph Forster .)

Ed. H. Der „todte Mann“ dürfte bald auf vielen Opernbühnen lebendig werden. Eine glückliche Idee von Joseph Forster, gerade dieses mehr als dreihundert Jahre alte Stück aus den sechzig Fastnachtsspielen des unerschöpf lichen Nürnberger Schusters herauszugreifen und zu com poniren. Auch ganz abgesehen von der Musik ein köst liches Sittenbild. Bald heiter gemüthlich, bald satirisch

sprudelt es in seiner alterthümlich derben, zutreffend naiven Sprache auffrischend in unser modernes Opern-Repertoire. Die erste Scene spielt nur zwischen den beiden Hauptpersonen. Der Mann liegt schläfrig auf einer Sauhaut und schmollt mit seinem Weibe, das ihn mit ihrem wieder holten „Mein lieber Mann“ schmeichelnd zu besänftigen sucht. Sie rühmt sich ihrer großen Liebe und will ihm, wenn er stirbt, ihren rothen Rock in den Sarg mitgeben. Schließlich versöhnen sich die Beiden aufs zärtlichste, und das Weib geht mit dem großen Wäschkorb zur Bleiche. Der Mann streckt sich auf sein Lager nieder und schläft ein. Im Traum sieht er den Himmel sich öffnen; Engelein tanzen zierlich auf und nieder und der heilige Petrus begrüßt ihn in Person. Da kommt sein Weib eiligst in den Himmel nachgelaufen; der heilige Petrus macht den Wirth und stellt ein gedecktes Tischchen vor die Beiden, welche tapfer schmausen und die Malzeit mit einer liebe vollen Umarmung beschließen. (Dieses durchaus pan tomimische Zwischenspiel steht nicht in Hans Sachsens Original, sondern ist vom Componisten geschickt eingeschoben, um einige Abwechslung und eine längere Pause zwischen dem Abgang und der Wiederkehr der Frau zu gewinnen.) Der Traum zerrinnt. Der Mann, allein, wird nachdenklich und beschließt, um die Liebe seiner Frau zu erproben, sich todt zu stellen. Das Weib kommt zurück, hält ihn wirklich für todt und stößt einige Rufe des Er schreckens aus. Sie möchte die Nachbarn rufen, aber da käme sie in dem Wirrwarr nicht mehr zum Essen. „Soll ich vor (zuvor) wein (weinen) oder vor essen?“ Sie wählt das Letztere, denn „Nüchtern tanzen und nüchtern weinen, ist gar nie wol bekummen Keinen.“ Die Nachbarin kommt, dann der Nachbar. Das Weib heuchelt anfangs großen Schmerz, dann kommt ihr Geiz und Egoismus immer lauter zu Wort. Ihren rothen Rock, den sie dem Todten ins Grab mitzugeben versprochen, will sie für eine zweite Heirat sich aufbewahren, den Mann aber in der Sauhaut begraben lassen. All’ ihr Vieh, versichert sie den Nachbar, hätte sie lieber sterben sehen, „Vogel, Hund und Katze, Mäuse und ein Dutzend Ratzen, Wanzen, Flöh’ und Läuse — die wollt’ ich alle darumb geben, das mein lieber Hans nocht tät leben!“ Sie will aber für das Begräbniß kein Geld opfern — keine Kränze,

kein Glockengeläute, weil er kein Gepränge liebte. Der Mann, immer ergrimmter über die Reden seines Weibes, hält in seiner Verstellung nicht länger aus, springt zum Schrecken aller Umstehenden plötzlich auf und macht sich Luft in zornigen Worten. Charakteristisch ist, was ihn zuerst und am meisten betrübt: Du Weib, das will ich dir fein sagen, Du hast fünf Eier ins Schmalz geschlagen, Bist in der Stuben d’rüber g’sessen Und hast sie alle ’raus gefressen. Hast danach ein’ Maß Wein ’rauf tragen, Die hast gesuffen in dein Kragen.

Die Handlung steht hier auf dem gefährlichen Punkte, ins Tragische zu überschlagen. Da rettet ein köstlicher Ein fall die Stimmung und führt sie heil zum Frohsinn zu rück. Schlagfertig antwortet das Weib auf die Vorwürfe ihres Mannes: sie habe ja sofort erkannt, daß er nur Comödie spiele; durch ihr Betragen dachte sie ihn nur zu necken und zu strafen. Ja, wenn er wirklich stürbe, da wollte sie sich ganz anders benehmen. „Versuchs nur!“ lautet die köstliche Pointe ihrer Vertheidigungsrede. Die Nachbarn sprechen nun alle dem Manne beschwichtigend zu; er glaubt ihnen und Alles löst sich in Zufriedenheit und Wohlbehagen auf.

Es ist seit Hans Sachs ein vielfach benütztes Lust spielmotiv, daß Einer sich todt stellt, um die Anderen zu beobachten oder zu foppen. In der Opernliteratur finden wir es bei C. M. Weber. Seine komische Oper „ Abu Hassan “ — wie trefflich war unser Georg Müller in der Titelrolle! — bringt statt des todten Mannes ein verschmitztes todtes Ehepaar. Auch in neuester Zeit hat G. Schillings in seiner Oper „Der Pfeifertag“ das gleiche Motiv benützt. Der „dot Mon“ ist eine allerliebste Posse, voll echten derben Humors. Die Reden der vier Personen gestaltet Hans Sachs so einzig charakteristisch, daß es eigentlich schade ist, sie durchaus gesungen zu hören, also größtentheils undeutlich. Das ist der Ruhm und die Gefahr guter Dichtungen, daß sie mit Vorliebe componirt werden. Das Wort wird von der Tonfluth zugleich gehoben und ertränkt. Man konnte Hans Sachs, den unser Opern publicum nur aus Richard Wagner’s stark idealisierenden

Meistersingern“ kennt, nicht besser bei uns einführen, als mit seinem „dot Mon“. Goethe , der in dem Gedicht Hans Sachs’ poetische Sendung“ dem alten Poeten das ehrendste Denkmal gesetzt hat, erklärte dessen Fastnachts spiele „der Nachahmung und Aufführung werth“. Und mein berühmter College Wilhelm Scherer erklärte ihn in seinen Wiener Vorlesungen für das größte rein poetische Talent seit den Minnesängern. Hans Sachs, fuhr Scherer fort, hatte, obgleich Protestant, nicht das kriege rische Temperament eines Hutten. Ihm weckte nicht der Zorn die poetische Stimmung. Seine Seele blieb rein von Haß. Er wußte sich in seinem Innern einen Tempel des Friedens zu erbauen, wohin die Stürme des Tages nicht drangen. Aus dem Frieden der Seele floß ihm die Kraft des behaglichen Bildens. Er sah die Welt mit reinem Blick und mit selbstloser Versenkung; und was er beobachtet hatte, das wußte er auch in Worte zu kleiden. Alle Formen hat er benützt, um mannigfaltige Kenntnisse in weitere Kreise zu bringen. Er war insoferne ein Lehrer seines Volkes, und seine Lehre kam tröstend und versöhnend aus einem milden Gemüthe. Seine eigentliche Kunst besteht im Schildern. Er schildert Alles, was äußerlich wahrgenommen werden kann: leblose Dinge, Beschäftigungen, Affecte. Speciell von dieser Seite seiner Kunst haben wir jetzt im „dot Mon“ die köstichsten Bei spiele erhalten.

Herr Joseph Forster wolle mir verzeihen, daß ich so lange bei seinem Textdichter verweilte. Ist doch Hans Sachs über dreihundert Jahre alt, somit unserem Publicum weitaus nicht in so deutlicher Erinnerung, wie der gottlob lebendig und rüstig unter uns weilende Componist der beiden erfolgreichen Ballette „Die Assassinen“, „Der Spiel mann“ und der einartigen Oper „Die Rose von Ponte vedra“. Letztere hat bekanntlich bei der Preisausschreibung des Herzogs Ernst von Coburg-Gotha den Sieg über 120 Concurrenten davongetragen. Der „todte Mannist mir lieber. Wie in der „Cavalleria“ und den Pagliacci“ ist es in der „Rose von Pontevedra“ das Messer, welches den unentwirrbaren Knoten der Handlung durchschneidet. Die Leichen liegen beim Fallen des Vor hanges nur so herum. Ich erlaubte mir damals den Vor schlag, es wären bei künftigen Preisausschreibungen

die Handlungen, deren Lösung durch das Messer erfolgt, ausdrücklich vom Wettbewerb auszuschließen. Im „dot Mon“ spielt kein Messer und keine Flinte mit, und der Titelheld ist ebensowenig todt oder todtkrank wie Forster’s Musik. Diese erfreut sich im Gegentheile rother Wangen und rüstiger Glieder. Schade nur, daß der hübschen Oper eine Ouvertüre vorausgeht, die in ihrer anspruchsvollen Länge und Vornehmthuerei eine falsche Vorstellung gibt von dem heiteren Fastnachtsspiel. Ihre pathetische Ein leitung klingt, als käme Lohengrin nicht mit Einem, son dern mit vier Schwänen herangezogen. Ein anderes Stück übel angebrachter Wagner-Tragik ertönt im Orchester, als der Bauer sich schläfrig auf die Sauhaut legen will: ein sich fünfmal auf immer höherer Tonstufe wieder holendes einschneidend chromatisches Motiv, etwa im Ton von Tristan’s Sterbescene. Möchten doch unsere jüngeren Componisten einsehen, daß wir solch bekannter Wagner- Klänge aus zweiter Hand längst überdrüssig ge worden sind.

Mit dem ersten Duett bringt uns der Componist wieder in die allerbeste, in die allein richtige Stimmung. Das reizende Thema: „Du lieber Mann!“, womit das Weib den Schmollenden immer von neuem besänftigt, er klingt auch in unauffälliger, geistreicher Anwendung als Erinnerungsmotiv an einigen Stellen der Oper. Dieses Eingangsduett in seiner warmen, durchsichtigen Klarheit ist die Perle des ganzen Werkes, das noch manches Hübsche bringt, aber doch häufig aus dem so glücklich angeschlagenen einfach naiven Ton herausfällt. Nur zu oft verschlingt das Orchester mit seinem unermüdlich geigenden und blasenden Hochmuth das Wort und den Gesang. Die Orchester-Begleitung in Lortzing’s und Auber’s Spielopern wäre für solche Aufgaben mit Vortheil zu studiren. Als ein er freuliches Seitenstück zu jenem Duett wäre allenfalls das kleine Terzett in Es-dur hervorzuheben, welches dem unerwarteten zornigen Aufspringen des Todtgeglaubten vorangeht. Die hier besonders wichtigen Worte des Mannes verschwinden leider unter den unbarmherzigen Deckfarben des Orchesters. Der Schlußgesang „der Weiber Lieb’ darf nit durch List und Ränke wern angfacht“ biegt wieder glücklich in die schlichte Gemüthlichkeit des Anfangs ein. Es ließe sich noch manches gelungene Detail hervorheben, aber auf

„schöne Einzelheiten“ war der Componist offenbar nicht ausgegangen. Ja, er ist so besorgt um den einheitlichen Charakter seiner Musik und den historischen alten Adel der Dichtung, daß er die beiden Chorlieder („Dort nieden an dem Rhein“ und „Das Hirn macht er ersaufen“) alten Tabulaturbüchern aus dem 16. Jahrhundert unverändert entnimmt. Wir kennen die Melodie aus dem ehemals beliebten Sing spiel „Der engelländische Roland“ (1599 gedruck), welches gleichfalls einen sich todtstellenden Ehemann zum Helden hat. Diese Melodie erscheint auch in dem Virginalbuch der Königin Elisabeth (nach 1620), gesetzt von William Bird . Sie ist in Holland viel gesungen, erscheint auch in deutschen Lautenbüchern unter dem Titel: „O Roland, lieber Roland.“

Ob Forster mit dieser historischen Treue wohlgethan, möchte ich fast bezweifeln; er hätte gewiß minder steife, frischere Melodien selbst erfunden, — und ist doch alles Uebrige modern Forster’sche Musik!

Die von Director Mahler liebevoll einstudirte und dirigirte Novität hat die günstigste Aufnahme ge funden. Enthusiastischer Jubel war allerdings kaum zu erwarten für das naive Stück, das nicht mit Sensation und Secession arbeitet. Hoffentlich wird der „todte Mann“ noch zahlreiche Auferstehungen bei uns erleben. Wie viele, das läßt sich nach dem Applausspectakel einer Première niemals vorhersagen. Man denke an R. StraußFeuersnoth“ und die unzähligen Hervorrufe des Autors. Erstaufführungen in Gegenwart des Componisten spielen nicht vor einem Publicum, das urtheilen, sondern vor einem, das unbedingt hervorrufen und applau diren will.

Forster’sdot Mon“ zählt zu den allerbesten Vorstellungen des Hofoperntheaters. Frau Gutheil- Schoder , eine vollendete Schauspielerin, wie man sie selten an einer Opernbühne finden wird, singt und spielt mit hinreißender Lebendigkeit. Sie wird von Frau Hilgermann (deren deutliche Aussprache ein specielles Lob verdient), den Herren Stehmann und Breuer vortrefflich unterstützt. Die Sänger und Herr Forster wurden wiederholt stürmisch gerufen. Auch das den Abend vervollständigende Ballet Forster’sDer Spielmannerntete reichlichen Beifall.