Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 13591. Wien, Donnerstag, den 26. Juni 1902 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 13591. Wien, Donnerstag, den 26. Juni 1902 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 26.06.1902
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Joseph Labitzky. (Geboren 1802, gestorben 1881.) Karlsbad, im Juni 1902.

Ed. H. Dem Tanzcomponisten flicht die Nachwelt ebensowenig Kränze wie dem „Mimen“. Ja, in unserer dankbaren Erinnerung leben unsere großen Bühnenkünstler, die Anschütz, Löwe, Fichtner, Roger, Lablache, Staudigl immer noch länger, als die Walzer aus vormärzlicher Zeit. Wir erinnern uns kaum der Anfangstacte der aller berühmtesten, und ihrer Titel schon gar nicht. Und doch — wie viel Köstliches schufen Alt-Strauß, Lanner, Labitzky; Musik, von welcher die jüngere Generation nichts kennt, gar nichts mehr zu hören bekommt. Dem passionirt Tanzenden, der mit einem geliebten Mädchen den Saal durchfliegt, mag es gleich sein, was ihm dazu aufgespielt wird, ob es „Aetherträume“ oder „Schönbrunnerheißt, oder sonst wie. Aber wir musikalisch Hörenden kommen arg zu kurz dabei. Ich habe einmal die Scene erzählt, wie Herbeck, Dumba und ich eine klagende Inter pellation an den jüngst verstorbenen Johann Strauß rich teten, warum man nirgends mehr die reizenden Walzer von Alt-Strauß und Lanner zu hören bekomme — nicht einmal die ältesten Tanzstücke von Strauß Sohn selbst? Entschuldigend erklärte dieser, es seien die Verleger, welche auf die Aufführung der massenhaft producirten Novitäten dringen, und die Componisten erst recht. Mit dem Axiom

„das Publicum will nur Neues“ glaubt man das bessere Alte todtschlagen zu dürfen. In dieser Behauptung ist jedenfalls das „nur“ falsch.

Zu den einst gefeierten, mit Strauß und Lanner ge nannten Tanzcomponisten zählte bekanntlich Joseph La bitzky . Seine Musik erklang so ziemlich in der ganzen Welt — mit Ausnahme von Wien. Hier war allerdings kein Platz für einen Dritten neben Strauß und Lanner. Nicht als ob diese bescheidenen und neidlosen Wiener Meister sich persönlich gegen eine Concurrenz gewehrt hätten; eine Concurrenz war eben in Wien von vornherein unmöglich neben der fabelhaften Fruchtbarkeit und Be liebtheit jener Beiden. Ein Jahr älter als Lanner, drei Jahre älter als Strauß, bildete Labitzky mit diesen beiden Zeitgenossen eine merkwürdige Trias siegreicher Tanz poeten.

Joseph Labitzky war am 4. Juli 1802 zu Schönfeld im böhmischen Kreise Eger geboren. In Petschau, dem classischen Heim der „Karlsbader Harfenistinnen“, empfing er von dem dortigen Schullehrer Unterricht im Clavier- und Violinspiel. Mit zwölf Jahren verwaist, mußte er fortan für sich selbst sorgen. Also die nämlichen armseligen Anfänge, dieselbe trübe Jugend wie bei Strauß und Lanner. Diese, die Schöpfer des Wiener Walzers, waren bekanntlich zwei „Lehrbuben“ aus der ärmeren Wiener Bevölkerung; der eine zum Buchbinder, der andere zum Handschuhmacher bestimmt. Ohne regelmäßigen Unterricht, trieben Beide heimlich auf dem Dachboden ihre verpönten Violinübungen. Gleich ihnen, versuchte sich auch Labitzky früh mit kleinen Tanzstücken, bis er, achtzehnjährig, seine erste Anstellung als Geiger bei der Marienbader, später bei der Karlsbader Curcapelle erhielt. Hier in Karlsbad beginnt Labitzky’s selbstständige künstlerische Thätigkeit, hier hebt er sie zu ihrem Gipfel, hier beschließt er sie, ein Greis von achtzig Jahren. Selten begegnen wir einer so anhaltenden, un unterbrochenen Seßhaftigkeit eines Componisten und Diri genten. Nimmer hätte Labitzky einen Weltruf erlangt, wäre die kleine Stadt Karlsbad nicht zugleich der berühm teste Badeort Europas und stets das Stelldichein vor nehmer, musikliebender Gäste aus allen Welttheilen gewesen. Von Labitzky’s Tänzen entzückt, bewogen ihn einige russische Cavaliere, mit seinem Orchester einen Winter in Petersburg zuzubringen (1839). Zehn Jahre

später folgte er einer ähnlichen dringenden Ein ladung nach London; er concertirte dort abwech selnd mit Balfe in Her Majesty’s Theatre. Zahlreiche Dedicationen an die glänzendsten Vertreter der russischen und englischen Aristokratie erinnern an diese beiden Kunst reisen Labitzky’s, seine erfolgreichsten und letzten. Seitdem wirkte er ausschließlich in Karlsbad. Erst im Jahre 1868 trat er nach 48jähriger Thätigkeit von der Direction der Curcapelle ab, deren Leitung nunmehr sein Sohn August übernahm. Es war ihm noch vergönnt, sein 50jähriges Dienstjubiläum und seine goldene Hochzeit zu feiern, bevor er 1881 die Augen schloß. Lanner war in seinem 42. Jahre gestorben, Strauß in seinem 45; Labitzky hat die Beiden fast um ein halbes Jahrhundert über lebt. Ihm war eine erfolgreiche, lohnende Künstler laufbahn und ein glückliches Familienleben beschieden. Karlsbad dankt ihm nicht blos den musikalischen Ruhm, die Vergrößerung und Vervollkommnung seines Orchesters, sondern auch den gemeinsam mit Dr. Rudolph Mannl begründeten städtischen Musikverein und die damit ver bundene Gesangschule. Seine beiden talentvollen Söhne schickte er zur musikalischen Ausbildung an das Prager Conservatorium, dann auch zu den Leipziger Meistern Ferdinand David und Moriz Hauptmann . Der ältere, Wilhelm Labitzky, lebt in Toronto (Canadien); der jüngere, August , ist als Director der Curcapelle in Karlsbad mit rühmlichem Erfolge bereits über 25 Jahre thätig. Eine Tochter Joseph Labitzky’s, Toni, von der Marchesi zur tüchtigen Opernsängerin ausgebildet, hat als beliebte Primadonna in Frankfurt a. M. gewirkt bis sie 1872 als verehelichte Frau Cahn-Speyer sich ins Privatleben zurückzog.

Joseph Labitzky hat weit über 200 Werke hinterlassen. Soll ich die Titel seiner Tänze nennen? Wer könnte sich dabei etwas denken! Staunen muß ich nur stets von neuem, daß den Walzercomponisten noch immer unverbrauchte Namen einfallen für ihre zahlreichen Kindlein. Dazu ge hört fast ebensoviel Erfindungsgeist, wie für ein neues Walzerthema. Am häufigsten erscheinen die Frauennamen: die Sophien-, Louisen- und Marienwalzer u. s. w. Sodann die geographischen Titel: Prager Galopp, Karlsbader Polka, Pester Walzer. Endlich die mythologischen: Apollotänze, Aurorawalzer, Themisklänge, Irispolka und ähnliche. Als

Labitzky’sche Titel-Curiosa citirte ich nur den Walzer „Seelen spiegel“ (op. 126), die „Podagra-Polka“ und „Curpolka“. Die größte Verbreitung und Beliebtheit haben wol Labitzky’s Aurorawalzer“ (op. 34) genossen und sein „Immergrün galopp“. Ein Versuch, einzelne seiner Tänze hier mit Worten zu charakterisiren, scheint mir verlorene Mühe — wer kennt sie denn heute? Im Walzer stand Labitzky dem sinnigen und singenden, melodisch weicheren Ton Lanner’s näher als dem rhythmisch zuckenden Feuer Strauß’; seine beste Eigenart steckt in der Polka, dann im Galopp. Wie der Walzer eine Wiener Specialität, so ist die Polka böhmisches Eigengewächs. Die Einflüsse des Zeitfortschrittes, die sich in verlängerten Rhythmen, pikanierer Harmoni sirung, reicherer Orchestration kundgeben, treten in Labitzky’s späteren Werken ebenso merklich hervor wie bei Lanner und vollends bei Strauß. Die älteren acht- oder sechzehn tactigen Walzerthemen erweitern sich später bei Labitzky häufig auf 24 bis 26 Tacte, und die Harmonisirung über rascht uns nicht selten durch kleine Pikanterien, Disso nanzen, Gegenbewegungen. Immer jedoch bleibt Labitzky melodienreich, anmuthig, natürlich. Im Walzer weniger blendend und erfindungsreich als Strauß und Lanner, konnte doch Labitzky auch hier alles Mögliche sein: zart, witzig, naiv. Seine Tanzmusik bestand die Probe jeder guten Musik: sie war gesättigt von der anzuregenden Empfindung, sie versetzte unmittelbar in die beabsichtigte Stimmung, erwies sich unwiderstehlich in ihrer Wirkung. Labitzky band in seine Sträußchen meist fünf bis sechs Blumen, umgab sie mit einem Blätterwerk von Introduction und Finale, aus denen recht hübsch die Knospen der Haupt motive hervorgucken. Mehr als diesen leichten Fluß und die elektrische Wärme der Melodie gab sein Talent nicht her — im Anlauf zu höherem Styl (in manchen Intro ductionen) wurde er, wie Johann Strauß, leicht unbeholfen und phrasenhaft.

Heute scheint die Tanzmusik dem Tanze selbst über den Kopf gewachsen. Sie hat sich vervollkommt, sucht nach allen möglichen Pointen und Effecten und will etwas für sich darstellen, während die Tänze selbst entschieden ver kommen und verflachen. Namentlich die Quadrille scheint in noble Lümmelhaftigkeit umschlagen zu wollen. Durch unseren ganzen Bildungsgang zieht ein gewisses nivelliren des Wesen, das alle Originalität darniederhält, das selbst

auf das Tanzen zurückwirkt und besonders die National tänze in ihrer sanguinischen Ungebundenheit allmälig dahinsiechen macht. Diese Tänze verschwinden selbst im Volke immer mehr oder sie verlieren Zug um Zug ihr charakteristisches Gepräge, und parallel damit geht die Auf lösung der Nationaltrachten und Volkslieder. Um so höher steigt der Werth von Tanzmusiken, welche, wie die Strauß- Lanner-Labitzky’schen, bei aller musikalischen Verfeinerung den Reiz und die Kraft des echt Volksthümlichen sich erhalten haben. Vom rein künstlerischen Standpunkte erscheint die Tanz musik jedenfalls untergeordneten Ranges, indem sie, blos unterstützende und beigesellte Kunst, zunächst einem fremden Zwecke dient, nämlich den Tanzschritt mit Tact und Rhythmus zu begleiten. Wenn die Tanzmusik nicht höher hinaus will, so thun Castagnetten denselben Dienst. Der Werth jeder Kunstgattung steigt oder fällt jedoch mit den An forderungen, die man ihr stellt. Vor mehr als 50 Jahren schrieb ich darüber ungefähr Folgendes: Unsere Anforde rung an die Tanzmusik geht dahin, daß sie nicht blos das Stampfen der Tänzer im Tacte erhalte, sondern deren Seelenleben verstehe, ihre Stimmung und Leidenschaft interpretire, steigere, veredle. Der unterste Grad der Tanz musik hat nur mit den Füßen zu thun, auf höherer Stufe spricht sie zur Phantasie, zum Gefühl, zum Geist. Um diese höhere Stufe zu behaupten, wird freilich nöthig sein, daß sich der Componist von einer blos gymnastischen An schauung des Tanzes zu dessen geselliger und idealer Be deutung erhebe. In unserer gebildeten Gesellschaft ist der Tanz von seiner ursprünglichen Bedeutung längst zu einer höheren gediehen. Wollte man in demselben nur körperliche Uebung sehen, so würde man ihn in Turnschulen pflegen. Unsere heutigen Tanzunterhaltungen, so oft sie auch zur Caricatur herabsinken, sind und bleiben die Asyle zärt licher Bedürfnisse und Bestrebungen. Die Musik nun, wie sie die äußere Bewegung der Tanzenden aneifert, begleitet auch ununterbrochen all das innere Leben, das sich still und heimlich in ihnen zuträgt. Gelingt es einer Tanz melodie, einen Moment dieses inneren Lebens mit jener Göttermacht zu erfassen, deren die Tonkunst fähig ist, und singt sie es laut und rauschend aus, was inmitten des Festes still geblieben, dann hat sie eine schöne Mission er füllt und kann tief und unvergeßlich in das Herz eines Menschen hineinwachsen. So wie ein Marsch, ein Gelegen

heitslied oder andere aus äußeren Beziehungen hervor getretene Kunstformen Gewalt erlangen können über ein ganzes Volk, wenn sie das Geistige dieser äußeren Be ziehung stark und wahr wiedergeben, so kann in kleineren Kreisen ein Tanzstück mit einer physischen Gewalt wirken, die weit über seinem blos musikalischen Inhalt liegt. Es bedeutet eine Musik nicht lediglich das, was sie ist, sondern oft auch das Höhere, wozu sie ist.

Dem älteren Triumpirat Lanner-Strauß-Labitzky war noch eine glänzende Fortsetzung beschieden in unserem genialen Johann Strauß Sohn. Mit ihm scheint die ruhmvolle, fruchtbare Aera der Tanzmusik vorläufig beschlossen, jener Tanzmusik, die nicht blos die Füße im Tacte erhält, sondern das musikalische Ohr fesselt. Jede Kunst erlebt solche Perioden zeitweiliger Erstarrung; in der Musik dämmert sie heute allenthalben. Blicken wir auf die Oper. Sie fristet sich, von dem einzigen Wagner abgesehen, fast nur mit dem alten Repertoire. Wie wenig ist seit dem Nibelungen-Cyklus, also seit 24 Jahren, hier Lebenskräf tiges, Bleibendes erschienen! Vergleichen wir damit das Repertoire der Dreißiger- und Vierziger-Jahre, da Meyer beer, Marschner, Lortzing, Nicolai, Kreutzer, Auber, Halévy, Adam, Donizetti, Verdi, etwas später noch Gounod und Ambroise Thomas die Bühnen ununterbrochen mit Neuem versorgten. Und in der Instrumental-Musik: Mendelssohn, Schumann, Berlioz, Chopin! Klammern wir uns denn vorläufig an den Trost, daß gleichzeitig mit dem Versiegen des schöpferischen Genies die reproducirenden Kräfte, vor Allem die Orchester, sich erstaunlich vervoll kommt haben. Auch die Tanzmusiken, die Garten- und Curorchester wissen davon zu erzählen. Wie kindisch klein haben Strauß und Lanner begonnen — mit einem Orchester von fünf bis sechs Mann! Aber der Glanz ihrer Einfälle siegte über die Dürftigkeit ihrer Mittel. Auch Labitzky begann seine Karlsbader Curmusik vor siebzig Jahren mit einem höchst bescheidenen Orchester. Ich selbst habe ihm noch gelauscht, als ich, ein junger Gymnasiast, meine Mutter nach Karlsbad begleiten durfte. Da spielte Labitzky des Morgens beim Theresienbrunn, dem kleinen, jetzt verlassenen Tempelchen oberhalb des Mühlbrunns; Nachmittags in dem längst verschollenen „böhmischen“ und sächsischen Saal“ auf der Alten Wiese. Labitzky’s Walzer erklangen mir, der ich bei Mozart und Beethoven

meilenfern von jeder Tanzmusik aufgewachsen war, als ein absolut Neues, dem ich mit neugierigem Entzücken lauschte. Mit der Tanzmusik ließ das Brunnen-Orchester damals einige wenige ältere Ouvertüren und Opern-Potpourris ab wechseln. Um den ungeheuren Umschwung zu ermessen, braucht man heute nur eine der Orchester-Productionen August Labitzky’s zu hören, welche dreimal wöchentlich im „Posthof“ ein dichtgedrängtes Publicum versammeln. Da haben wir in diesem Frühjahr nicht blos Mozart- und Beethoven’sche Symphonien in präciser Aufführung ge hört, sondern auch die schwierigsten modernen Orchester stücke von Schumann, Berlioz, Bizet, Tschaikowsky und manchem allerneuesten, in Wien noch ungekannten Com ponisten. Die anderen Curorte des brunnengesegneten Böhmen eifern dem musikalischen Vorbilde Karlsbads rüstig nach: Marienbad, Franzensbad, Teplitz. Ihre Orchester haben sich längst über die alten mageren Tanz- und Pot pourri-Programme hinausgeschwungen. In Franzensbad durfte ich einem Morgenständchen lauschen, das den kunst sinnigen Bewohnerinnen der Villa des kaiserlichen Rathes Dr. Fellner dargebracht wurde. Beethoven’s „Egmont“- Ouvertüre, „Am Meere“ von Schubert, Finale aus Lohengrin“ — Alles unter der Leitung des Musik directors Oelschlegel vortrefflich ausgeführt. Das musika lische Schaffen ist verarmt — für wie lange, steht dahin — aber in Decadencezeiten, auch der übrigen Künste, blüht die Technik immer zu kaum geahnter Höhe empor.

Kehren wir zurück zu unserem Ausgangspunkt. Die Stadt Karlsbad rüstet sich, den 100. Geburtstag Labitzky’s, ihres Ehrenbürgers und Ehrenkünstlers, würdig zu feiern. Ein Porträtmedaillon desselben (von dem Wiener Bild hauer Max Hiller) soll Labitzky’s Wohnhaus „zum Kaiser von Rußland“ in der Marienbaderstraße schmücken. Der um Karlsbads Musikcultur hochverdiente Director Jare tschek bringt in der Pfarrkirche eine Labitzky’sche Messe zu Aufführung. Director August Labitzky endlich erlöst aus dem Archiv einige allzu lang dort vergrabene Walzer partien seines Vaters, um sie mit seinem verstärkten und vervollkommten Orchester neu zu beleben. Die ganze Cur gesellschaft Karlsbads, also halb Europa, wird vergnügt diesen heiteren Klängen lauschen und das Andenken des Tondichters dankbar feiern.