Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 13727. Wien, Dienstag, den 11. November 1902 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 13727. Wien, Dienstag, den 11. November 1902 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max 11.11.1902
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Musik. (Erstes Philharmonisches Concert.)

Ed. H. In galanter Vorausnahme des Faschings hat Director Hellmesberger das erste Philharmonische Concert mit Dvořak’sCarneval-Ouvertüre“ eröffnet. Willig überließen wir uns wieder diesem jugendlich pulsirenden Leben voll Klangfrische und herzhafter Natürlichkeit. An Dvořak’s größeren Werken gemessen, mag dieser „Carnevalkaum hervorragend erscheinen. Wer wird auch just im Fasching „bedeutend“ sein wollen! — In grellem Gegen satz dazu, fast wie ein Nachschauer des Allerseelentages, folgte unmittelbar Tschaikowsky’s symphonische Dichtung „ Francesca di Rimini “. Arme Francesca, was hast du nicht Alles durchgemacht! In wie viele Opern, Symphonien, Ouvertüren bist du bereits umgetödtet worden! Nicht weniger als fünfzehn italienische Componisten haben dich auf die Bühne gebracht. Ihre Opern deckt Ver gessenheit, und selbst die Namen der Autoren sind bis auf etwa drei (Zingarelli, Morlacchi, Mercadante) uns fremd geworden oder stets fremd geblieben. Ueber ein Halbjahr hundert blieb es dann still von Rimini-Opern. Da erprobte in neuester Zeit die einst musikalisch so stark umworbene „Francesca“ noch zweimal ihre alte Anziehungs kraft: an einem Deutschen (Hermann Goetz ) und einem Franzosen (Ambroise Thomas ). Beiden gedieh sie nicht zum Segen; ja sie wurde ihnen zur Todverkünderin. Hermann Goetz, dessen „Bezähmte Widerspenstige“ noch immer die deutschen Opernbühnen ziert, starb vor der

Vollendung seiner „Francesca di Rimini“. Ein jüngerer Freund, Ernst Frank , vervollständigte die Partitur und brachte die Oper 1874 in Mannheim zur Aufführung, wo sie ohne weitere Verbreitung bald versickerte. Nicht glück licher erging es Ambroise Thomas, dessen „Francesca 1882 in der Pariser Großen Oper erschien und wieder verschwand. Als ein letztes Andenken sendete mir damals der herzlich verehrte Meister die Partitur seiner Oper mit einer freundschaftlichen Widmung, die mir mehr Freude gemacht hat als das Werk selbst. Einem siebzigjährigen Componisten pflegen in der Oper keine neuen Lorbeern zu blühen. Eine so tief leidenschaftliche Tragödie vollends mit dem unglückseligsten allegorischen „Vorspiel in der Unterwelt“ mußte unseren alten Troubadour erdrücken. Trotz aller peinlichst nachfeilenden Arbeit war die Musik kalt geblieben und das Publicum desgleichen.

Heute haben wir es nicht mit einer OperFran cesca di Rimini“, zu thun, sondern mit der so betitelten Orchester-Phantasie“ von Tschaikowsky . Das Schema der Composition gab sich so gut wie von selbst: im ersten und im dritten Theil die Schrecken der Unterwelt, im Mittelsatz die rührende Erzählung Francesca’s. Francesca, Tochter des Guido da Polenta, Herrn von Ra venna, wurde zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Ge schlechtern Polenta und Malatesta mit dem häßlichen und grausamen Lanciotto Malatesta, Herrn von Rimini, vermält, welcher sie wegen ihrer Neigung zu seinem Stiefbruder Paolo 1289 nebst diesem er mordete. Dante hat in seiner „Divina commedia“ („Inferno“, fünfter Gesang) das Ende der Francesca besungen. Silvio Pellico und Paul Heyse haben den Stoff dramatisch behandelt. Diesen vom Gedicht vorgezeichneten Plan hat Tschaikowsky fest gehalten, aber in welchen Dimensionen! Die wunderbare Schönheit von Dante’s Episode beruht auf ihrer Kürze: sie enthält kaum ein Dutzend Verse. Die Paraphrase Tschaikowsky’s sündigt dagegen durch eine maßlose Aus dehnung: die Einleitung währt so lange, daß man schon vor dem Erscheinen Francesca’s und Paolo’s glaubt, das Stück sei zu Ende. (Dieser erste Theil, die Hölle, füllt fünfzig Partiturseiten; also genau so viel wie die beiden folgenden Sätze zusammen.) Man kennt Talleyrand’s boshaftes Wort: Wenn man den Russen kratzt, so kommt der Barbar zum Vorschein. Es

gilt, mehr oder minder, von allen russischen Componisten; selbst von Rubinstein, der doch am engsten sich west europäischem Wesen angeschmiegt hat. An Tschaikowsky’s Francesca“ braucht man nicht lange zu kratzen. Ein „Andante lugubre“ leitet in langer doppelter Steigerung zu dem Allegro vivo, welches die Hauptgebilde dieses Theiles entfaltet. Da kreisen die Schaaren der Verdammten; wilde, gequälte Musik voll Sturmwind und Kettengerassel — doch auch voll harmonischer Feinheiten. Daß die Bässe durch volle 30 Tacte unbarmherzig nur die Töne c h, c h, c h streichen, ist echter Tschaikowsky. Endlich beruhigt sich der höl lische Orcan, und langgezogene feierliche Klänge verkünden das Herannahen Francesca’s und ihres Paolo. Eine zarte rührende Melodie der Clarinette über entzückenden Orchester-Harmo nien eröffnet diesen Moll-Satz Andante cantabile. Tschai kowsky hat ihn mit besonderer Liebe entworfen und uns mit den musikalischen Qualen des ersten Satzes versöhnt. Einen besonders charakteristischen Reiz erhält diese geistvoll instrumentirte Scene durch ein das Hauptthema begleiten des Flötentrio. Mit dem erneuerten Ansturm der höllischen Schaaren verschwindet das Liebespaar, und abermals stürzen die Schrecken des ersten Theiles, in kürzerer Fassung, aber noch gesteigerter Wuth, über uns herein.

Francesca di Rimini“ zählt zu den interessantesten, stellenweise fesselndsten Werken Tschaikowsky’s. Das un glücklich einschränkende „stellenweise“ läßt sich hier so wenig unterdrücken wie gegenüber den meisten größeren Compo sitionen dieses Meisters. Völlig rein und unverkümmert genießen wir ja wenige seiner Tondichtungen. Der un befangenste Kritiker wird über seine Werke sehr ungleich urtheilen, weil eben Tschaikowsky sehr ungleich componirt. Dicht neben seinen besten, reifsten Schöpfungen stehen nichtssagende oder geradezu häßliche; ja in ein und demselben Stück wechseln oft reizende Ein fälle mit barbarischen. Die reinste und ideenreichste seiner symphonischen Dichtungen ist die „Pathétiquein H-moll, die von national-russischem Colorit sich gänz lich fernhält. Ihre Nachbarin, die so bezaubernd anhebende E-moll-Symphonie Nr. 3, schließt leider mit einem wüsten betäubenden Finale. Ein trauriger Spectakel be schließt auch die so hübsche, zierliche Serenade für

Streichquartett, op. 48, und verunstaltet als dritten Satz die Suite op. 53. Und gleich darauf (op. 55) entzückt uns Tschaikowsky wieder durch den berauschenden Klang zauber der dritten Orchester-Suite in G-dur. In kleinen Formen zeigt er sich besonders graziös und liebenswürdig. Alle Welt kennt sein durch Rubinstein eingeführtes „Lied ohne Worte“ in F-dur (op. 2). Es bleibt von Anfang bis zu Ende rein und einheitlich. Aber wie anders die so lieblich beginnende F-moll-Romanze in op. 5. Ihr Andante cantabile stürzt plötzlich in ein barbarisches B-moll-Allegro; hierauf erklingt wieder das erste Andante, um gegen das Ende abermals durch zwölf Tacte lang in das wilde Allegro zu gerathen, das ganz zum Schlusse unversehens in einem kurzen Adagio ausathmet. Zwischen Tschaikowsky’s reifere, sorgsamer gefeilte Werke drängen sich immer wieder nachlässig und kritiklos hingeworfene. Ich erinnere an das Violinconcert, an die „Manfred“- Symphonie, an die beiden schrecklichen Ouvertüren zu Hamlet“ und „Romeo und Julia“. Wie lieblich und warm klingen viele seiner Lieder und gleich daneben wie kalt und gekünstelt die nächsten! Trotz alledem — Tschai kowsky hat uns mehr zu sagen, als irgend ein russischer Componist, und er sagt es besser.

Die äußerst schwierige Aufgabe, welche Tschaikowsky’s Francesca“ dem Orchester stellt, ist von unseren bewährten Philharmonikern unter der Leitung Director Hellmes berger’s glänzend gelöst worden. Tschaikowsky und Dvořak fanden höflichen Beifall; hingegen entfesselte Beethoven’s Eroica“ einen Sturm von Applaus.

Tschaikowsky’s „Francesca“ zwingt uns zu einem Seitenblick auf Liszt . Der Russe nennt seine Orchester- Phantasie bescheiden „Francesca di Rimini“; bei Liszt heißt sie pompöser „ Dante “. Liszt hatte, um ein Lieblingswort Richard Wagner’s zu gebrauchen, allezeit „große Rosinen im Kopf“: Dante, Hamlet, Faust, Tasso, Hunnenschlacht etc. Aber auf dem Papier wurden sie meist recht kleine Rosinchen. Als Liszt, seine Virtuosenlaufbahn schließend, plötzlich daran ging, die Welt mit dem Groß artigsten zu überraschen, dünkte ihm kein Vorwurf zu groß; da fühlte er sich allmälig als Poet, als Maler, als Philosoph. Schritt er dann als Musiker ans Werk, diese immensen Ideen in Töne zu übertragen, da mußte er sich gewaltsam

aufstacheln, seine stockende Phantasie durch Röhren pressen und mit blendendem Instrumentalpomp die Blößen seiner Erfindung decken. Wenn Tschaikowsky seiner genialen Kraft die Zügel schießen läßt, so passirt es ihm wol mitunter, daß er vom Pegasus herabfällt und sich dann einige zwanzig Tacte lang die Hosen abstaubt. Liszt hingegen gibt sich stets den Anschein, als ob er fliege, erhebt sich aber mit gewaltsamer Anstrengung selten über den Boden. Wer die besten, originellsten Schöpfungen Tschaikowsky’s kennt, wird es nicht wagen, ihn neben Liszt als den Geringeren herab zusetzen. Das geschieht aber in einer Erläuterung der Francesca di Rimini, welche als „Musikführer“ sich aller wärts anbietet und fast mehr von Liszt spricht, als von Tschaikowsky. Wir haben gesehen, wie viele Tondichter vor und neben Liszt den Francesca-Stoff behandelt haben. Ja, Tschaikowsky kannte auch Liszt’s Dante-Symphonie, und sehr gut, denn er hat ihr „Mangel an Erfindungs kraft, an Neuheit der Hauptgedanken und an organischem Zusammenhang“ vorgeworfen. „Trotzdem,“ behauptet unser Musikführer, „muß der Vergleich zu Ungunsten des russischen Tondichters ausfallen. In der musikalischen Wiedergabe der Francesca-Episode erscheint Tschaikowsky, mit Liszt verglichen, matt, kurzatmig, an äußerer Wirkung zurückstehend. An Plastik und Themenbildung ist hier Liszt in keiner Weise von Tschaikowsky erreicht worden.“ Warum nicht gar! Weit ehrlicher erscheint mir der enthusia stische Ausruf Bülow’s, er sei „entzückt von der Frische, Kraft, Tiefe und Originalität der Tschaikowsky’schen Orchester- Phantasie“. Das sind gerade die Eigenschaften, die wir an Liszt’s „Dante“ schmerzlich vermissen. Auch uns mißfällt der unersättliche Höllenlärm bei Tschaikowsky, aber wer dessen langsamen Mittelsatz hört, wird sich sagen müssen, daß Liszt in seinem Leben nichts Gleiches zu Stande gebracht hat.

Die dichtende und die bildende Kunst haben bis auf die neueste Zeit nicht aufgehört, sich Stoffe und An regungen aus Dante zu holen; für die Musik strömt eine sichtbare Quelle weder in der Persönlichkeit noch (mit Ausnahme der kurzen Francesca-Episode) in dem Gedichte des großen Florentiners. Einige schwungvolle, die Macht der Töne preisende Terzinen bezeugen wol, daß Dante diesem Zauber nicht verschlossen war; ein näheres

künstlerisches Verhältniß zur Musik scheint er nicht gehabt zu haben. Versuchte doch die Tonkunst eben ihre ersten unbeholfenen Schritte, als die Poesie bereits einen Wunder bau wie die „Divina commedia“ aufgeführt hatte. Die Tonkunst war damals kaum in den Besitz der Notirung, der Mensur, der nothwendigsten harmonischen Gesetze ge langt. Noch waren die Niederländer, die 200 Jahre später den Contrapunkt nach Italien verpflanzten, nicht hervor getreten; noch bestand das ganze Musikleben in theoretischer Speculation und den ungeregelten Rhapsodien der Trou badours. Dritthalb Jahrhunderte liegen zwischen der Geburt Dante’s und jener Palestrina’s. Die „Göttliche Comödieselbst, mit ihrem theils concret-historischen, theils mystisch- speculativen Inhalt, mit den riesigen Dimensionen ihres kaum übersehbaren und doch so fest zusammenhängenden Baues, mußte jede Mitwirkung der Musik eher abwehren als anlocken. So ist es denn nicht zu verwundern, daß im Mai 1865, als ganz Italien sich rüstete, den sechshundertsten Geburtstag Dante’s zu feiern, große Noth herrschte an ruhmvollen Dante-Componisten. Wenn irgend einem modernen italienischen Tondichter eine innere Ver wandtschaft mit Dante und die Befähigung zugesprochen werden durfte, sich diesem Dichter musikalisch zu nähern, so war es dessen großer Landsmann Cherubini . Cheru bini, der musikalische Stolz der Florentiner, wie Dante ihr poetischer, hat in seinem ernsten vornehmen Wesen ein Etwas, das an Dante erinnert. Wie Dante der schmelzen den Süßigkeit der italienischen Sprache durch lateinische Anklänge und Formen eine so wunderbar herbe Kraft ver leiht, so durchströmt Cherubini’s Musik unbeschadet ihres echt italienischen Charakters eine kräftige eisenhältige Ader, die nach deutschen Schachten weist. Hätte er es unter nommen, Dante musikalisch zu feiern, er wäre dem Dichter wenigstens auf richtigem Pfade und als verwandter Geist entgegengetreten. Leider ruhte Cherubini zur Zeit unseres Dante-Jubiläums bereits auf dem Père-Lachaise. So wendete sich denn das italienische Festcomité von einem berühmten Maëstro zum andern mit der fle hentlichen Bitte, die Feier mit einer neuen großen Dante- Symphonie zu schmücken. Rossini , Mercadante , Verdi — sie Alle lehnten höflich ab und thaten sehr wohl daran. Schließlich begab sich der Satan in Gestalt

des Dante-Comités zu Pacini , dem halbverstorbenen Componisten der „Saffo“, zeigte ihm ringsum ganze Lorbeerwälder von Ruhm, und der alte Herr, anstatt „Apage Satanas!“ zu rufen wie die Anderen, fiel richtig nieder und betete an. Mit unsäglicher Mühe muß er die Große Dante-Symphonie componirt haben, deren Wiener Aufführung eine der heitersten Stationen meiner musikalischen Lebensreise bildet. Der geduldige Leser gestatte mir eine kurze Erinnerung an dieses Ungethüm. Es hatte vier Sätze: Die Hölle, das Fegefeuer, das Paradies und die triumphirende Rückkehr Dante’s auf die Erde. „Die Hölle“, ein unabsehbares „Largo infernale“ im Sechs-Achteltact, trägt mit unbe wußter köstlicher Ironie die Extra-Aufschrift: „Tormenti senza speranza.“ An einen wirklichen Symphoniesatz durfte man dabei nicht denken; das Ganze spinnt sich wie eine wüste Melodram-Musik ab. Darin kein Thema, nur ein kleines lumpiges Motiv, an dem unser Maëstro herumnagt, wie Ugolino an dem Schädel des Erzbischofs Ruggiero, dazu wüthendes Kettengerassel, gellende Piccolopfiffe, Schreie verdammter Seelen, die zu stark gezwickt oder gebrannt werden — Alles ohne eine Spur von musikalischem Ge danken. Der zweite Satz „Il Purgatorio“ beginnt mit einer Art Polka-Mazur. Einen Unterschied zwischen Hölle und Fegefeuer wird es gewiß geben, aber gar so freundlich hätten wir letzteres uns doch nicht vorgestellt. Leider bleibt der Aufenthalt trotzdem nicht ungetrübt; der barbarische Lärm von vorhin erhebt sich wieder. Da fällt plötzlich ein Clavier mit einem brillanten Solo von Passagen und Trillerketten ein: wir sind im Paradies. Selig sind die Clavier-Virtuosen, denn ihrer ist das Himmelreich! Zu den Claviertrillern und Harfen-Arpeggien gesellt sich ein unersättlich lustiges Klingen vieler gestimmter Glöckchen und ein albernes Fiedeln, Blasen, Blöken des Orchesters. Schon beginnen wir aus dieser namenlos kindischen und langweiligen „Seligkeit“ uns nach dem Fegefeuer zurück zusehnen, als, erst leise, dann immer stärker und stärker, endlich mit Husarengewalt ein Regiments-Triumphmarsch angeblasen kommt. Das ist „Dante’s Rückkehr auf die Erde“ — der gottlob letzte Satz einer Symphonie, die gewiß Niemand vergessen, noch weniger sich ein zweitesmal wünschen wird. An jenem Tage hörten wir nicht weiter.