Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 13835. Wien, Dienstag, den 3. März 1903 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Picej, Cornelia Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 13835. Wien, Dienstag, den 3. März 1903 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 03.03.1903
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Musik. (Siebentes Philharmonisches Concert. — Der neu scenirte „Tristan“.)

Ed. H. Verschieden in Form, Inhalt und Klangfarbe präsentirten sich die drei Programmnummern des letzten Philharmonie-Concerts — eine weit glücklichere Anordnung als jene des vorletzten Concerts, welches zwei lange Sym phonien ohne jede Zwischennummer aneinanderreihte. Die beiden größeren Werke, Tschaikowsky’sE-moll- Symphonie und BrahmsViolinconcert, sind sattsam bekannt und seinerzeit hier eingehend besprochen worden. Tschaikowsky’s Fünfte Symphonie, durch das stärkere Licht der „Pathetischen“ etwas verdunkelt, theilt mit dieser den zwischen Melancholie und wilder Verzweiflung wechselnden düster leidenschaftlichen Charakter. Auch hier lauert wie dort ein verschwiegenes Programm im Hintergrunde. Zu manchem befremdenden Vor- und Rückblick fehlt uns der poetische Schlüssel; der musikalische allein schließt da nicht auf. Die Pathétique“ steht gegen die E-moll-Symphonie im Vortheil reichlich quellender Erfindung und gedrängter Form. Doch wirkt die letztere stark genug durch ihre melodiöse Frische und Klarheit. Ihre beiden ersten Sätze haben am meisten überzeugende

Logik, relativ auch den reichsten musikalischen Gehalt. Das „Walzer“ betitelte Scherzo wirkt freundlich abspannend nach der Schwermuth der früheren Sätze und macht es uns leichter, den allzu lärmenden Verzweiflungsausbruch des Finale zu ertragen. Die E-moll-Symphonie fand diesmal eine viel wärmere Aufnahme und herzlicheren Beifall, als bei ihrer ersten Aufführung. ... Es folgte das Violinconcert von Brahms. Wir verdanken ihm das Vergnügen, einen der verdienstvollsten classischen Geiger wieder zu begrüßen: Herrn Leopold Auer. In Ungarn geboren (1845), am Wiener Conservatorium dann von Joachim ausgebildet, wirkt Auer seit mehr als 30 Jahren als Concertmeister an der Petersburger kaiser lichen Capelle und Violin-Professor am dortigen Con servatorium. Er hat nicht nur aus jungen Jahren die schöne edle Tonbildung und warme Empfindung sich be wahrt, die Wahl des überaus schwierigen Brahms-Con certes beweist, daß er auch mit der Zeit rüstig, wenngleich nicht ganz ohne technische Einbuße, vor geschritten. Als dieses Violinconcert in Wien zuerst unter Joachim’s Bogen erklang (1879), da hätte man dem kraftvoll männlichen, aber etwas spröden Werke bei aller Bewunderung kaum eine starke Popularität voraus gesagt. Neben den beiden Violinconcerten von Beethoven und Mendelssohn, diesen blumenbekränzten festen Säulen der Geigen-Virtuosität, hat sich in letzter Zeit das Brahms’sche als drittes angereiht; mit weit größerem Recht als das Max Bruch’sche Concert, welches durch lange Zeit diesen dritten Platz im Concertleben einge nommen, ihn aber jetzt so ziemlich wieder geräumt hat. ... Zum Schluß hörten wir eine „Ekkehart“ betitelte neue symphonische Ouvertüre von F. Schrecker. Der junge Tonsetzer stammt aus der Schule unseres Robert Fuchs von dessen zartem, sinnigem Wesen etwas auf die Musik des Jüngeren übergegangen scheint. Das Wiener Publicum hat Herrn Schrecker zuerst vor zwei Jahren kennen gelernt als Componisten des 116. Psalms“ für dreistimmigen Frauenchor und Orchester. Das warm empfundene, fein geformte, wenngleich nicht

besonders originelle Stück hat damals lebhaften Beifall errungen. Ein Jahr später hörten wir von Schrecker ein kurzes „Intermezzo“ für Streichorchester, das günstig wirkte durch seinen satten Streicherklang und die weiche, schwärmerische Stimmung. Nun tritt uns der Componist mit einem neuen größeren Orchesterwerk entgegen, einer Ouvertüre zu Victor Scheffel’s „Ekkehart“. Die sinnige, warmherzige Erzählung, die aber starke dramatische Wirkungen weder erreicht noch erstrebt, hatte bald nach ihrem Erscheinen zwei deutsche Tondichter zur Dramati sirung verleitet: den Stuttgarter Hofcapellmeister J. J. Abert (1878) und M. Jaffé in Bremen. Beide Opern sind ziemlich rasch und klanglos wieder verschwunden. Ihr Schicksal mag Herrn Schrecker bewogen haben, seinen frommen Helden nur in einem Orchesterstück zu feiern. Wie dessen früher genannte Compositionen zeichnet sich auch die „Ekkehart“-Ouvertüre durch schönen Klang und musterhafte Form aus, ohne starke Originalität zu ver rathen. Sie hat sehr freundliche Aufnahme gefunden, trotz dem sie als letzte Nummer nach zwei langen mehrsätzigen Orchester-Compositionen ein bereits ermüdetes Auditorium vorfand. Herr Director Hellmesberger, der nach seiner Krankheit zum erstenmal wieder dirigirte, wurde mit herzlichem Beifall begrüßt.

Jüngst brachte das Hofoperntheater eine festlich voraus verkündete Aufführung von Wagner’s „Tristan und Isolde“. Was daran neu war, die Decorationen und etliche Neubesetzung, hat mein geehrter College Dr. Korn gold gleich nach der Vorstellung, also nach Mitternacht, in einer fein stylisirten Notiz zum Druck befördert. Das kann ich ihm nicht nachmachen. Zwar habe ich seinerzeit in der Pariser Opéra Comique am selben Abend „Fra Diavolo“ und den „Postillon von Lonjumeau“, also sechs Acte mit Vergnügen angehört, auch im Théâtre Français nach Molière’s „Geizigem“ noch Scribe’s „Damenkrieg“, zusammen zehn Acte — allein für die Aufnahmsfähigkeit des Zuhörers entscheidet nicht blos die Quantität, sondern fast noch mehr die Qualität der Kost. „Tristan und Isolde“, dieses durch volle fünf Stunden in stockender

Handlung und schwerblütiger Musik uns niederdrückende Tondrama stellt andächtigen Hörern und sogar sanft ein nickenden Mode-Wagnerianern eine starke Zumuthung. „Unjung und nicht mehr ganz gesund, wie ich es bin zu dieser Stund’,“ mußte ich, fern vom Opernhause, mich damit begnügen, in verjährten „Tristan“-Erinnerungen zu blättern. Einiges davon dürfte älteren Lesern als Reminiscenz, den jüngeren als Neuigkeit vielleicht willkommen sein. Seltsam genug klingt es, daß Wagner’s „Tristan“ an 25 Jahre lang warten mußte auf seine erste Aufführung in Wien. War doch die Partitur schon 1858 vollendet, 1860 in Druck erschienen. Ein interessantes Vor- und Seitenstück hat dieser lang verzögerte „Tristan“ in dem späten Erscheinen des „Tannhäuser“ im Wiener Hofoperntheater. Vierzehn Jahre waren seit der ersten Aufführung des „Tannhäuser(in Dresden1845) verflossen; fast alle deutschen Bühnen — von österreichischen unter anderen Prag und Grazhatten ihn bereits mit Erfolg gegeben, und noch immer durfte der arme „Tannhäuser“ sich nicht blicken lassen „nächst dem Kärntnerthor“. Die Hoftheater-Censur war unerbittlich; und als sie endlich 1859 ihre Erlaub niß ertheilte, durfte doch bei der Aufführung weder vom Heiligen Vater noch von Rom die Rede sein. Mit dankbarer Heiterkeit gedenken wir jenes Moments im dritten Acte, da Wolfram den rückgekehrten Pilger fragt: „Warst du denn nicht — „dort“?“ und dieser ihm antwortet: „Schweig mir von — „dort“!“ — Was hingegen Tristan und Isolde betrifft, so stellte man diesen Liebesleuten in Wien keine Censurbedenken entgegen. Ja, Wien war thatsächlich ausersehen und sehr nahe daran, Tristan und Isoldezuerst in die Welt einzuführen. Dies ging also zu. An einem schönen Maitage 1861 er scheint Wagner in Wien, unmittelbar nach seinem Pariser Tannhäuser“-Fiasco. Für das „Wüthen des entsetzlichsten Mißerfolges“, wie er sich ausdrückte, findet er in den be geisterten Ovationen des Wiener Publicums die glänzendste Entschädigung. Wagner hört hier zum erstenmale seinen Lohengrin“ und lauscht entzückt dem poetischen Vortrage Ander’s und der Dustmann, dem trefflichen Orchester unter Esser’s Leitung. Mit diesem Eindrucke packt ihn

zugleich der Gedanke, Wien sei der prädestinirte Schauplatz für seinen noch nirgends gegebenen „Tristan“. Ein kurz vorausgegangener Versuch, das Werk in Karlsruhe zur Aufführung zu bringen, war nach wenigen Proben erlahmt, obwol die Großherzogin (der auch die Partitur gewidmet ist) sich dessen eifrig annahm. Dann ward Wagner stark verlockt von einer Einladung des Kaisers von Bra silien, nach Rio-de-Janeiro zu kommen und dort „Alles in Hülle und Fülle zu haben“. Wirklich faßte Wagner die aben teuerliche Idee, „Tristan und Isolde“ ins Italienische übersetzen zu lassen und dem Theater in Rio „als italienisches Opus zur ersten Repräsentation“ anzubieten. Seltsam genug hält er den „Tristan“ für „ein durchaus prakticables Opus, das ihm bald und schnell gute Revenüen abwerfen werde“. Vernünftigerweise ließ er diesen Plan doch bald wieder fallen. Er kehrt in sein Züricher Exil zurück und reist dann nach Paris, von wo er am 15. Juni 1861Liszt seinen Wunsch mittheilt, „Tristan“ in Deutschland aufzu führen. „Ich habe Wien im Auge, das noch immer die besten Sänger besitzt und — als einziges Phänomen dieser Art — von einem sachverständigen Musiker dirigirt wird, mit dem man sich verständigen kann.“ Wagner’s Urtheil war immer unberechenbar; hatte er doch kurz zuvor Liszt vor dessen Abreise zum Wiener Mozartfest zugerufen: „Ich gratulire zum Wiener Schmutz!“ (Und in einem andern Briefe: „Mir graut vor dieser asiatischen Stadt.“)

In Wien wurde „Tristan“ sofort zur Aufführung angenommen, und die Sänger machten sich mit hin gebendem Eifer an das Studium ihrer Rollen. Vier Jahre später erzählt Wagner in einem Briefe an Friedrich Uhl vom 18. April 1865: „Im Herbst 1861 sollten die Proben beginnen. Eine andauernde Stimmkrankheit machte Ander für diesen ganzen Winter zu einer anstrengenden Beschäftigung unfähig; ein anderer Sänger war um diese Zeit nicht zu gewinnen. Im Sommer 1862 verzweifelte ich bereits an der Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Werkes in Wien, als die Direction zu meiner Ueberraschung mir anzeigte, Herr Ander fühle sich vollkommen wieder hergestellt. Meine Wiener Sänger machten mir endlich, durch Esser’s ungemein intelligenten Fleiß und Eifer angeleitet,

die große Freude, die ganze Oper mir fehlerfrei und wirklich ergreifend am Clavier vorzusingen. Wie es ihnen später beikommen konnte, wiederum zu behaupten, sie hätten ihre Partien nicht erlernen können — denn so ist mir berichtet worden — bleibt mir ein Räthsel. ...“ Die Ferien (1863) gingen vorüber und von „Tristan“ war nicht mehr die Rede. In diesem Briefe führt Wagner auch einige Seitenhiebe auf „die musikalische Presse, die sich mit besonderer Vor liebe der Aufgabe hingegeben, zu beweisen, kein Sänger könne die Noten treffen, noch behalten“. Das konnten die Journalisten jedenfalls nur von den Sängern selbst er fahren haben. Und das haben sie auch. Auf meine Frage, wie es mit dem „Tristan“ vorwärts gehe, antwortete mir eines Tages Ander: „Den zweiten Act können wir beinahe schon auswendig, aber inzwischen haben wir den ersten wieder vergessen.“ Ander wäre in der That selbst bei vollständiger geistiger Be herrschung damals physisch nicht mehr im Stande gewesen, die Tristan-Rolle zu bewältigen. Diese Ueberzeugung klingt ja auch vernehmlich aus Wagner’s eigenen Worten. Wagner sah überall, wo es sich um seine Interessen handelte, durch gefärbte Brillen; leidenschaftlich, parteiisch, im Haß wie in der Liebe. Ein merkwürdiges Beispiel ist seine eifrige Parteinahme für den damaligen Director des Hofoperntheaters Salvi, in dessen Hand er eben das Schicksal seines „Tristan“ wähnte. Wie ein von Wagner herrührender Aufsatz über das Wiener Hofoperntheater be weist, erblickte er damals in Salvi einen trefflichen deutschen Operndirector, obwol wir Alle wußten, daß er einer der unfähigsten war. Der Gedanke, es habe Matteo Salvi, der italienische Gesanglehrer und Verdi-Schwärmer, sich durch wirkliches Ver ständniß des „Tristan“ ausgezeichnet, hat etwas Komisches. Allerdings hatte er als „vernünftiger Theater-Director“ gerne nach einer Novität desselben Componisten gegriffen, dessen „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ volle Häuser machten. Sobald er aber inne ward, daß dieser Tristan ein von jenen himmelweit verschiedener, undankbarer Patron sei, gab er ihn ohne Zaudern auf. Zudem sah er durch die zahllosen anstrengenden Proben sein wichtigsten Mit

glieder geradezu lahmgelegt. Die sorgfältig geführten Bücher des Hofoperntheaters aus den Jahren 1862 und 1863 verzeichnen wohlgezählte 54 Proben, welche von „Tristan und Isolde“ unter Esser’s Leitung abge halten wurden mit Frau Dustmann, Fräulein Destinn, den Herren Ander, Beck, Hrabanek, Lay und Campe. Die erste Probe hat am 29. November 1862, die letzte am 24. März 1863 stattgefunden. Von diesem Tage an scheint das Studium von Tristan und Isolde“ abgebrochen worden zu sein. Hierauf änderte sich natür lich auch Wagner’s Urtheil über Salvi so gründlich, daß er am 22. März 1870 ohneweiters an Herbeck schreibt: „Der Personalzustand des Hofoperntheaters ist gerade so tief herabgekommen, als ich dies zu jener Zeit voraus setzen mußte, da dieses Theater der Direction eines Herrn Salvi — völlig wie mit der Absicht der Verwahrlosung — übergeben wurde.“

Das Nichtzustandekommen der „Tristan“-Aufführungen in den Jahren 1861 bis 1863 darf man bedauern, ohne deßhalb die Künstler der Hofoper anzuklagen. Heute freilich sieht jeder Opernbesucher in der Aufführung von „Tristan und Isolde“ nur eine verfluchte Schuldigkeit der Direction. Er versetze sich aber, um nicht ungerecht zu urtheilen, in die musikalischen Zustände vor 40 Jahren. Unsere Sänger kannten von Wagner nur den Tannhäuser, Holländer und Lohengrin — Partien, deren hohe An forderungen doch bescheiden dastehen gegen die Aufgaben von Tristan und Isolde. Wagner selbst betont in einem Brief an Uhl „die großen und durchaus ungewohnten Schwierigkeiten der im Tristan den Sängern gestellten Aufgaben“ und bewundert Bülow, „welcher das Un mögliche leistete, indem er einen spielbaren Clavierauszug zu Stande brachte, von dem noch Keiner begreift, wie er dies angefangen hat“. Ueber die „Spielbarkeit“ des Bülow’schen Clavierauszuges lauten die Urtheile freilich sehr verschieden; Esser sah sich durch dessen Unspielbarkeit veranlaßt, sich selber einen neuen Clavierauszug zu machen.

Wagner gesteht selbst, daß es geradezu des „schöpfe rischen Willens eines Königs“ bedurfte, um die würdige Aufführung von „Tristan und Isolde“ zu ermöglichen. Dieselbe fand auf Geheiß Ludwig’s II.1865 in München statt. Die Münchener Aufführungen sind es übrigens allein gewesen, welche ein Jahrzehnt hindurch den „Tristan“ auf der Bühne gehalten haben. Der Grund ist (nach dem

Zeungniß des bekannten Wagnerianers Richard Pohl) „zunächst in dem durchaus neuen Style zu suchen, in welchem sogar Wagner’s Verehrer sich erst einarbeiten mußten; sodann in der Schwierigkeit, für die Titelrollen Künstler zu finden, die ihre großen Aufgaben erschöpfend lösen konnten“. (Der athletische Tenorist Schott, der erste Tristan in München, ist bekanntlich nach der vierten Auf führung den Anstrengungen erlegen.) Es dauerte in der That noch lange, bevor die übrigen Bühnen mit „Tristan und Isolde“ nachfolgten — Weimar erst im Jahre 1874, Berlin1875, ganz zuletzt Hamburg — während doch die viel späteren „Meistersinger“ trotz ihres weit complicirteren musikalischen und scenischen Apparates sich rasch die meisten Bühnen erobert haben. Ein deutlicher Wink, daß es keines falls blos an den technischen Schwierigkeiten, sondern ebenso sehr an dem Charakter des Werkes selbst lag, warum Tristan“ sich so langsam und spärlich verbreitet hat und noch heute viel seltener als die übrigen Wagner-Opern zur Wiederholung gelangt.

Indessen war das „Tristan“-Project der Wiener Hof oper keineswegs verstorben, nur gründlich eingeschlafen. Unter Salvi’s Nachfolgern hat zuerst Herbeck es wieder erweckt. In einem umfangreichen Bericht hatte Herbeck 1874 seinem obersten Chef vier Opernnovitäten vorge schlagen, darunter „Tristan und Isolde“. Alle vier wurden kurzweg verworfen. Auch Director Jauner, der die Nibelungen-Trilogie so glänzend in Wien eingeführt hatte, dachte wieder an „Tristan“ und wollte zur Schonung der einheimischen Sänger das Ehepaar Vogl aus München dazu berufen. An der Weigerung dieses Künstlerpaares scheiterte abermals das Project. So hat denn die „Tristan“- Frage in Wien sich schwerfällig und unerlöst von einer Direction zur andern fortgeschleppt, bis endlich unter Direc tor Jahn (1883) das Engagement Winkelmann’s (des bewährten Hamburger Tristan) und die Bayreuther Triumphe der Materna den letzten entscheidenden Anlaß gaben. So erhob sich denn endlich das Gebäude, zu welchem hier vor mehr als 40 Jahren der erste Spatenstich so mühevoll und fruchtlos geführt worden. Und heute sehen wir dieses Gebäude, neuerdings durch Director Mahler kräftig gestützt und herrlich geschmückt, die Schaar der Ver ehrer und der Neugierigen heranlocken.