Hanslick Edition: Dokumente zu „Vom Musikalisch-Schönen“ Gesuch Habilition Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander Wilfing-Albrecht, Meike FWF Der Wissenschaftsfond.
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1856_Hanslick_Gesuch_Habilition Hanslick, Eduard 1856_Hanslick_Gesuch_Habilition Wien 1856
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10244/745 Unter den mit Bericht vom 28. Juni l. J. Z. 418 dargestellten Umständen nimmt man keinen Anstand, die Habilitirung des Doctors der Rechte und Conceptsadjunkten im k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht Eduard Hanslick als Privatdozen ten an der k. k. Wiener Universität für Vorträ ge über Geschichte und Ästhetik der Tonkunst zu ge nehmigen und schließt dem philosophischen Professoren kollegium in der Anlage die Beilagen des Be richtes zurück.

Wien am 14. Juli 1856.

F[???]

An das philosophische Professorenkollegium der k. k. Wiener Universität

Hochlöbliches Professorencollegium der philosophischen Facultät!

Seit früher Jugend habe ich der Tonkunst u. ihrer Wissenschaft meine beste Kraft u. Muße so beharrlich gewidmet, daß ich gegenwärtig hoffen darf und wünschen muß, mit den Resultaten dieses Studiums nun auch Andern nützlich zu werden. Ich wage es daher, mich an das verehrliche ProfessorenCollegium, welches noch keiner Belebung u. Erweiterung des wissenschaftlichen Verkehrs seinen Schutz versagt hat, mit der Bitte zu wenden, meine Habilitation als Privatdozent für Geschichte u. Aesthetik der Tonkunst bewilligen zu wollen.

Rücksichtlich I.) der Eignung des Gegenstandes und II.) meiner persönlichen Befähigung erlaube ich mir, Nachstehendes anzuführen:

ad I. den Nutzen einer systematischen Behandlung der Geschichte u. Aesthetik der Tonkunst zu beweisen, dürfte heutzutage selbst in jener Beschränkung unnöthig sein, innerhalb welcher überhaupt über den Nutzen einer Wissenschaft diskutirt werden kann.

Die Musik, weder an Alter u. Ruhm noch an großen Genien u. monumentalen Werken einer andern Kunst nachstehend, in’s Leben der Völker einflußreich wie keine zweite dringend, u. gegenwärtig die gepflegteste von allen, – die Tonkunst drängt, wie jede jahrhundertlang bethätigte Kraft des Menschengeistes über die empirische Ausübung u. den momentanen Genuß hinaus zur Ergründung ihrer geschichtlichen Entwicklung u. ihrer philosophischen Grundlage. Für die Gründung von Vorträgen

über Geschichte u. Aesthetik der Musik sprechen ganz dieselben Gründe welche die Geschichte u. Aesthetik der bildenden Kunst unterstützen, eine Wissenschaft, welche bekanntlich an der Wiener Universität auf das Erfolgreichste vertreten ist. – Das Bedürfniß nach einem wissenschaftlichen Studium der Tonkunst, u. die diesem Bedürfniß entsprechende Pflicht wurde auch längst an vielen deutschen u. ausländischen Universitäten anerkannt. Universitätsprofessoren der Musik ( – nicht bloß Lehrer oder Musikdirectoren – ) bestehen in Berlin (Prof. A. B. Marx) und in Bonn (Professor Breidenstein.) In Halle war Türk, in GöttingenForkel in Leipzig W. Fink Professor der Musikwissenschaft. Außerdem giebt es an jeder preußischen Universität einen (oder 2) Musikdirectoren, welche neben praktischen Leistungen auch das Recht haben Vorlesungen über Musik zu halten. Mit anerkanntem Erfolg wird dies Recht ausgeübt: von Knaut (Franz) in Halle, von Mosewius in Breslau, von Kümann in Königsberg u. A. In Heidelberg u. Tübingen (das reiche Musikanstalten besitzt) werden gleichfalls Vorlesungen über Musikwissenschaft gehalten. In Paris ist Fétis Professor an der Universität, in Edinburgh ist neuerdings eine Musikprofessur gegründet worden. – Ohne Zweifel würde die Zahl der musikalischen Professuren noch viel größer sein, wenn hin reichende wissenschaftlich gebildete Bewerber dafür sich fänden.

Doppelt gewichtig wird jeder Grund, der im Allgemeinen für die Errichtung solcher Lehrkanzeln geltend gemacht wird, wenn man die speziellen Verhältnisse Wiens ins Auge faßt.

Wien ist unbestritten die erste Musikstadt Deutschlands u. war es, solange es eine Geschichte deutscher Musik giebt. Die größten Tondichter: Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven

lebten u. wirkten in Wien, vieler bedeutender Tonsetzer 2ten Ranges nicht zu gedenken. Dieses Wirken mußte ebensowohl einen vorzüglichen musikalischen Boden hier vorgefunden als auch wieder auf die Befruchtung desselben kräftigen Einfluß geübt haben. – Dieser unvergänglichen historischen Bedeutung Wiens, welche an sich hinreichen würde die Vertretung der Musik wissenschaft an der Hochschule zur Ehrensache zu machen, steht eine nicht minder bedeutungsvolle Gegenwart zur Seite.

Die österr. Monarchie beherbergt in ihrem Complex die musi kalischesten Nationen der Welt u. besitzt in dem ton künstlerischen Talent derselben, in dem Schatz von Volksliedern, endlich in dem fortwährend regen Musikleben der Städte eine musikalische Grundmacht, wie sie kein europäischer Staat sein nennen kann. Aus allen diesen Nationalitäten strömen die befähigtesten Musiker in Wien zusammen. Leider fehlt dem größten Theil derselben jede andere als die rein technische Einsicht in ihre Kunst. Die ungleich höhere Bildung welche man bei norddeutschen Musikern findet, rührt zum grosten Theil von den Universitätsvorlesungen über Musik her u. wo solche fehlen von der höheren wissenschaftlichen Einrichtung der Conservatorien. – Das Wiener Conservatorium, (– eine ziemlich beschränkte Privatanstalt, die mit der k.k. Akademie der bildenden Künste auch nicht entfernt verglichen werden darf –,) bietet den Schülern eine höhere wissenschaftliche Ausbildung nicht: die gegenwärtige Direction hat sich sogar prinzipiell dafür erklärt, daß das Conservatorium eine Elementarschule für die practische Heranbildung von Musikern (namentlich Orchester mitgliedern) zu sein hat. Die Conservatoristen, meist Knaben ohne alle Vorbildung, haben auch das Bedürfniß noch nicht, über die geschichtliche Entwicklung u. die Schönheitsgesetze ihrer Kunst systematisch belehrt zu werden. Später, bei einer reiferen Bildung bleibt dies Bedürfniß selten aus, u. nur die Universität wäre dann in der Lage, es zu befriedigen.

Für die höhere Ausbildung in den Künsten ist somit in Wien, – welches doch immer vorzugsweise Musikstadt war u. ist, – sehr ungleich vorgesorgt. Die Tonkunst hätte wenigstens einen gleichen Anspruch wie die Malerei, auch von ihrer wissenschaftlichen Seite hier gepflegt zu werden. – Der günstige Einfluß musikwissenschaftlicher Vorträge dürfte, zwar nicht augenblicklich, gewiß aber allmälig sich in der höheren Bildung der Musiker u. Musiklehrer, in dem bessern Geschmack des Publikums, in der größeren Tüchtigkeit der Kritik kundgeben.

Für die abgetrennte Behandlung des Gegenstandes als „Geschichte u. Aesthetik der Tonkunst“, im Gegensatz zu der einst gewöhnlichen Unterordnung unter die Rubriken der „allgem. Aesthetik“ braucht es wohl kaum erst der Begründung. Niemand zweifelt mehr, daß die historische u. aesthetische Erforschung Einer Kunst die Kräfte eines Mannes vollständig in Anspruch nimmt. Auch die Kunstjünger fassen in unserer Zeit ihr Studium viel tiefer u. erwarten eine fruchtbringende Belehrung nur von einem vollkommen Fachkundigen. Die Aesthetiken der einzlen Künste, die doch eben nur aus dem spezifischen Wesen dieser Künste entwickelt werden können, scheiden sich demnach in enger Verbindung mit der Kunstgeschichte immer mehr aus dem alten Complex aus, u. lassen die „allgemeine Aesthetik“ eigentlich nur als einen Theil der Metaphysik selbstständig gelten. Daß aber von allen Künsten die Musik die speziellsten Kenntnisse voraussetzt, ist bekannt. In sämtlichen Lehr büchern der „Aesthetik“ ist das Capitel über Musik weitaus das mangelhafteste u. pflegt mit der Entschuldigung des Verfassers anzuheben, daß ihm die musikalischen Fachkenntnisse fehlen.

II. Uiber meine persönliche Befähigung kann ich zwar gegenwärtig nur geringe Beweise beibringen u. muß hoffen, daß das hochlöbl. Professorencollegium in Erwägung der Neuheit des Gegenstandes einen billigen Maßstab daranlegen werde. – Der formellen Bedingungen ent sprechend, erlaube ich mir gehorsamst vorzulegen:

(Beilagen:) 1.) Einen biographischen Abriß (Curriculum vitae.) ./1.

2.) Das Absolutorium der philosophischen Studien. ./2.

3.) } 4.) Die Prüfungszeugnisse aus der Geschichte. ./3. ./4.

5.) Das Absolutorium der juridischen Studien. ./5.

6.) Das Doctordiplom in vidim. Abschrift. ./6.

7.) und 8.) Zwei Zeugniße des anerkannt vortrefflichen Theoretikers u. Componisten W. J. Tomaschek in Prag über den bei ihm vollständig gehörten dreijährigen Curses über alle Theile der Compositionslehre. ./7. ./8.

9. u. 10.) Zwei Dekrete der h. Statthalterei in Wien, als Beweis des ehrenden Vertrauens, welches die Behörden in meine musikalische Spruchfähigkeit setzen, obgleich ich keinerlei musikalische Stellung bekleide. Auch das kk Unterrichtsministerium fand sich wiederholt bewogen, musikalische Gutachten mir abzuverlangen. ./9. ./10.

11.) Meine bei R. Weigel in Leipzig erschienene Abhandlung Vom Musikalisch-Schönen.“ ./11.

In dieser Schrift versuchte ich die Unhaltbarkeit der bisherigen aesthetischen Behandlungsweise der Musik

kritisch nachzuweisen u. die Grundzüge festzustellen, nach welchen eine wahrhaft wissenschaftliche Aesthetik der Tonkunst zu gewinnen wäre. –

Vor der Unvollkommenheit dieser Arbeit ist niemand tiefer überzeugt, als der Verfasser selbst, dem das Geleistete mit jedem Tage fortschreitenden Lernens ungenügender erscheint. Indeß hat die Schrift eine so überaus günstige Aufnahme gefunden, daß ich wenigstens auf diesen Erfolg mir hinzuweisen erlauben darf. In den vorzüglichsten in- u. ausländischen Blättern wurde die Ab handlung sowohl von musikalischen als von philosophischen Fachmännern eingehend und lobend besprochen, u. in allen seither erschienenen bedeutendern Werken dieses Fachs zitirt. So berufen sich Prof. Zamminer in Gießen in seinem Werk „die Musik u. die musikalischen Instrumente“ (Gießen1855. S. 172) ferner Prof. Adolf Zeising in Leipzig in seinen „Aesthetischen Forschungen“ (Frankfurt, 1855, S. 248) ohne Vorbehalt auf die von mir gewonnenen Resultate für die musikalische Aesthetik. Sogar in Julian Schmidt’s „Geschichte der deutschen National literatur“ (2. Auflage. Leipzig1855, III. Band, S. 243) wird meine Abhandlung genannt als ein Beweis für „den ungeheuren Abstand der Bildung“ zwischen den gegenwärtigen musik-aesthetischen Arbeiten u. jenen der berühmtesten Kritiker der vorigen Epoche. –

Schon jetzt wird die 2te vermehrte u. verbesserte Auflage meiner Schrift vorbereitet. Ich bitte um die Erlaubniß,

dem hochlöbl. Professorencollegium ein Exemplar dieser neuen Bearbeitung sogleich nach deren Erscheinen, als Nachtrag zu dieser Eingabe gehorsamst überreichen zu dürfen.

Aus innigster Uiberzeugung dem historischen Prinzip zugethan, würde ich im ersten Jahre nur Geschichte der Musik vortragen. Nachdem diese ihrem materiellen Inhalt u. der äußeren Anordnung nach in Uibereinstimmung mit den bewährtesten Handbüchern bleibt, glaube ich ein eigenes Programm über diese Vorträge nicht beilegen zu müssen. –

Mein Prinzip, die aesthetischen Grundsätze einer Kunst aus deren eigenster, spezifischer Natur zu gewinnen, hält mich von rein metaphysischen Erörterungen fast gänzlich fern. Am nächsten stehe ich jedoch dem philosophischen System Herbarts, das ich als bevorzugter Schüler Exners genau kennen zu lernen Gelegenheit hatte. Als Beweis dieser meiner philosophischen Grund richtung zitire ich die Kritik des Herbartianers Prof. Rob. Zimmermann in den österr. Literaturblättern v 1854, Nr. 47. und den Ausspruch des Aesthetikers Dr Ambros der in seiner Schrift „Die Grenzen der Musik u. Poesie“ (Prag1856, S. 10) auf die „große Befriedigung“ hinweist, welche „die Herbartische Philosophie“ über meine Schrift empfand. –

Durch die Gnade Sr Exzellenz des Herrn Unterrichts Ministers ist mir zur Vollendung u. Sichtung der mir gegenwärtig obliegenden histor. Studien über Musik ein Urlaub für die Sommermonate bewilligt worden. Da ich auf dringendes ärztliches Geheiß diesen Urlaub leider zugleich zu einer Brunnen- u. Wasserkur benutzen muß, welche mich von Wien abruft, – würde mir die Abhaltung eines Colloquiums u. einer Probevorlesung sehr mühsam fallen. Ich wage es daher, die ergebenste Bitte zu stellen: das hochlöbliche Professoren Collegium wolle mich als Privatdozenten der Geschichte u. Aesthetik der Tonkunst mit Nachsicht des Colloquiums u. der Probevorlesung zulassen, respective dieses Ansuchen dem hohen Unterrichts Ministerium zur günstigen Entscheidung vorlegen.

Den Bescheid über dieses Gesuch bitte ich ergebenst, mir durch das h. Präsidium des kk Unterrichts Ministeriums zustellen lassen zu wollen, wo der Präsidialconzipist H. Vincenz von Ehrhart die all sogleiche Weiterbeförderung an mich gefälligst übernehmen wird.

Des hochlöbl. Professorencollegiums ehrfurchtsvoll ergebener Diener Dr Eduard Hanslick.

Wien am 27 April 1856.