Hanslick Edition: Dokumente zu „Vom Musikalisch-Schönen“ Gutachten Habilitation Lott, Franz Carl Wilfing, Alexander Wilfing-Albrecht, Meike FWF Der Wissenschaftsfond.
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ad No. 418. Hochgeehrtes Professoren-Collegium der philosophischen Facultaet an der K: K: Wiener Universitaet.

Unser verehrter Herr Dekan hat mir den Auftrag anvertraut, diesem hochachtbaren Collegium Bericht zu erstatten über das Gesuch des Herrn D.or Eduard Hanslick, welcher in einem mit 11 Beilagen versehenen Gesuche um die Erlaubniß wirbt, über Geschichte und Ästhetik der Tonkunst als Privatdocent Vorlesungen zu halten.

A. Was nun vor Allem den Gegenstand dieser Vorlesungen betrifft: Die Tonkunst, sowohl hinsichtlich ihrer Schönheit, als nach ihrem geschichtlichen Werden, so dürfte schwerlich die Fra ge aufkommen, ob denn dieser Ge genstand auch werth sei und ob ein Bedürfniß bestehe, daß man über denselben Universitäts-Vorträge halte?

Will ja kein Kundiger die Tonkunst hinter Poësie und bildende Kunst zurückstellen, – und wer möchte

den Beruf der Universität zur wissenschaftlichen Behandlung der Poësie und bildenden Kunst, so wie ihrer Geschichte bezweifeln? Für solche Behandlung gerade der Tonkunst spricht übrigens noch ein besonderer Umstand. Die Musik hat anerkann ter Maßen eine seit Jahrhunderten und im Ganzen mit bemerkenswer ther Consequenz sich entwickelnde Theorie, welche an Bestimmtheit der Grundlagen wie an Umfang des sorgfältigen Aufbaues die Theorie jeder andern schönen Kunst weit hinter sich läßt. Dieser sowohl für Geschichte als Ästhetik der Musik gewichtige Umstand bringt es nun mit sich, daß eine wahrhaft wissenschaftliche Betrachtung dieser Gegenstände nur solchen Männern möglich ist, welche sich mit jener gar nicht leicht zugänglichen Theorie vertraut gemacht haben; bloßer Dilettantismus, bloße allgemeine Bildung und natürlicher Geschmack sind hiefür durchaus unzulänglich. Wie könnte die Geschichte die Mu sik fördern, wer nicht die Werke alter und uralter Meister zu studieren vermöchte? und wer

vermöchte diese zu studieren, wer jene Theorien sich nicht gründlichst ange eignet hätte?

Eben so wenig wird, ohne solche An eignung, aus der Beschäftigung mit Ästhetik der Tonkunst; ganz richtig sagt der Herr Candidat in seinem Ge suche (Seite 4): „In sämmtlichen Lehrbüchern der Ästhetik ist das Capitel über Musik weitaus das mangelhafteste, und pflegt mit der Entschuldigung des Verfassers anzuheben, daß ihm die musicali schen Fachkenntniße fehlen.“

Wo die genauere Bekanntschaft mit dem Gegenstande der Beurtheilung fehlt, da sollte sich eben der Urthei lende aller concreteren Beurtheilung enthalten; nun will aber so ein Lehr buch der Ästhetik denn doch bei Behandlung der einzelnen Künste in seinen Urtheilen über das All gemeinste hinaus (über die Sätze vom Schönen überhaupt, vom Erhabenen und Anmuthigen und von dgl. m) und so müssen sich schon Musik, Plastik u. s. w. gefallen lassen, meist nach Analogien mit der Dichtkunst zu recht gemacht zu werden; denn Dicht kunst ist eben diejenige Kunst, welche den Verfasser als Gelehrten

noch am besten bekannt ist!

Gegen dieses Ästhetisiren, nicht aus der Natur der ästhetisch zu beurthei lenden Gegenstände heraus, sondern nach vagen, schiefen, oft sehr gewalt samen Parallelen, regt sich nun schon überall eine gesunde Reaktion namentlich auf dem Gebiete der Architectur u. dgl. Es beginnt auch im Bereiche der Ästhetik die so nothwendige Theilung der Arbeit und man hofft auch hier nur mehr von intimen Kennern ihres Gegen standes wissenschaftliche Förderung.

Das mag genügen über den Gegenstand der fraglichen Vorlesun gen und über den Anspruch desselben an die Universität. Der Petent führt eine lange Reihe von Universitäten (in Deutschland, in Paris u. Edinburgh) an, wo hiefür theils eigene Professoren bestehen, theils wenigstens die daselbst angestellten Musik-Direktoren das Recht haben, Vorträge an der Universität über Musik zu hal ten. Einen guten Theil dieser Bei spiele kann ich aus eigener Kenntniß als richtig bezeugen.

Es ist nicht nöthig auszuführen, wie die geschichtliche Berühmtheit Wien’s in Sachen der Musik die Hinwendung

des vollen wissenschaftlichen Ernstes an dieselbe bei uns dringend befür wortet.

Und ist’s, wie ich glaube, wahr, daß Wien in dieser Beziehung nicht mehr seine frühere Höhe behauptet, so sind desto mehr Kräfte zur Wiedererhe bung erforderlich, jede daher um so willkommener.

Gehen wir nun auf den 2ten Haupt punkt über, nämlich auf die persön liche Qualification des Bittstel lers, so ist hierüber, natürlich im Anschluß an die bezüglich der Habilitirung von Privatdocenten am 19. Dezember 1848 erlassene provisorische Anordnung, folgendes zu sagen:

1.) das an der Wiener Universität im Jahre 1849 erworbene Doctordi plom liegt in vidirirter Abschrift dem Gesuche bei. Außerdem je doch auch das Absolutorium der philosophischen Studien samt Prü fungszeugnissen aus der Welt- und Staatengeschichte, so wie das Absolutorium der juridischen Studien. Der größte Theil dieser Studien ist an der Prager Universität zurückgelegt worden, der geringere

und spätere an der Wiener Univ; überall in ausgezeichneter Weise.

2.) Aus dem Curriculum vitae mag etwa folgendes heraus gehoben werden: Der Bittsteller, geboren zu Prag 1825, Sohn des dortigen kk. Univ. Bibliotheks- Scriptors Joh. A. Hans lick, widmete sich neben seinen Schulstudien mit Vorliebe der Mu sik, zuerst unter Anleitung J. F. Kittl, gegenwärtig Direktors des Conservatoriums, später unter (der bekanntlich strengen) Leitung des berühmten Theoretikers und Tonsetzers W. J. Tomaschek; bei diesem studierte H. Hanslick über 4 Jahre Musik, wovon 3 Jah re allein für Compositionslehre in ihrem ganzen Umfange verwende[t] wurden; um diese Studien ungestört bei Tomaschek vollenden zu können unterbrach Bittsteller ein Jahr lang und zwar nach Absolvirung der philosophischen, seine Universitäts- Studien.

Diese Angaben sind durch zwei von W. J. Tomaschek ausgestellte Zeug niße belegt.

Nach Abgang von der Universität trat der Herr Candidat als Conceptsprakti kant, bei der Hof- und nö. Kammer

prokuratur ein; bald wurde er als Aushilfsreferent zum Fiscal-Amt nach Klagenfurt gesendet, wurde im Jahre 1852 als Concepts-Adjunct zum k.k. Finanz-Ministerium einberufen, endlich im Jahre 1854 zum Concepts-Adjuncten beim hohen k.k. Ministerium für Cul tus und Unterricht ernannt, in welcher Anstellung er sich derzeit noch befindet.

3. Unsere provisor. Habilitationsnorm verlangt auch die Vorlegung eines Programms der Vorlesungen, woraus Gegenstand und Behand lungsart desselben ersichtlich sei.

In Betreff des Programms zu den Vorträgen über Geschichte der Musik erklärt sich Candidat in folgender Weise (7 S. des Gesuchs): „Aus innigster Überzeugung dem historischen Principe zugethan, wür de ich im 1. Jahre nur Geschichte der Musik vortragen. Nachdem diese ihrem materiellen Inhalt und der äußeren Anordnung nach in Überein stimmung mit den bewährtesten Handbüchern bleibt, glaube ich ein eigenes Program über diese Vorträge nicht beilegen zu müssen.“

Ich kann mich dieser Erklärung nur beistimmend anschließen.

Hinsichtlich der Vorlesungen über Ästhetik der Tonkunst muß bil ligerweise das beiliegende Büch lein „vom Musikalisch-Schönenzugleich als Programm angesehen werden; denn es enthält dasselbe nicht bloß eine durchgreifende Critik der bisherigen ästhetischen Musik-Betrachtung, sondern läßt auch Grundlinien einer an deren Betrachtungsweise sichtbar werden, für ein Programm immerhin bestimmt genug.

4.) Weiters schreibt unser Gesetz die Vorlage einer Abhandlung oder eines größeren Werkes des Ha bilitanden aus dem Gebiete der bezüglichen Wissenschaft vor.

In unserem Falle liegt die be reits erwähnte Arbeit vor, deren vollständiger Titel so lautet: Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst. V. D.or Eduard Hans lick. Leipzig1854.“

Ich habe diese Arbeit, deren Verfasser mir persönlich völlig unbekannt war, schon sogleich nach ihrem Erscheinen mit lebhaften Interesse gelesen.

Sie ist namentlich durch die geistige Energie und Frische bemerkens werth, womit sie sich über sehr all gemeine Vorurtheile der musikali schen Welt erhebt, und zwar ohne alle Überhebung und mit nicht gewöhnlicher Gewalt über die Spra che. Daß ihr Inhalt sich durchaus nicht auf bloß negative Critik beschränkt, hatte ich bereits zu erwähnen Gelegenheit.

Die Brochüre hatte auch einen seltenen Erfolg: In den vorzüg lichsten Zeitschriften des In- und Auslandes wurde sie eingehend bespro chen und kaum wird es von einem der seither erschienenen Fachwerke über gangen. Julian Schmidt’s „Geschichte der deutschen National-Literatur(2. Aufl. III. Bd, S. 243.)

nennt das Werkchen geradezu einen Be weis für „den ungeheuren Abstand der Bildung“ zwischen den gegenwärtigen musik-ästhetischen Arbeiten und jenen der angesehensten Critiker der vorigen Epochen.

Eine zweite, vermehrte und verbesser te Auflage dieser Schrift steht unmittelbar bevor.

Durch all diese Anführungen scheint mir die Frage hinlänglich vorbereitet, ob das hochverehrliche Professoren-

Collegium genöthigt ist, erst noch ein mit dem Habilitanden vorzu nehmendes Colloquium über Geschich te und Ästhetik der Tonkunst zu Hülfe zu nehmen, um dessen Ansu chen zu bewilligen? oder ob dassel be nicht Motive zur Erlassung eines Colloquiums habe.

Ich spreche mich mit voller Überzeugung für Erlassung desselben aus.

Einen Billigkeitsgrund hiefür will ich deßhalb voranschicken, weil es der jenige ist, worauf Candidat selbst seine ergebenste Bitte stützt, ihn mit Nach sicht des Colloquiums und der Pro bevorlesung als Privatdocenten der Geschichte und Ästhetik der Tonkunst zulassen zu wollen. Es wurde ihm nämlich durch die Gnade I.o Excellenz des Herrn Unterrichtsmi nisters ein Urlaub für die Sommermonate bewilliget zur Voll endung und Sichtung seiner histori schen Studien über Musik. Der Beurlaubte muß diese Zeit aber auf dringendes ärztliches Geheiß zugleich einer Brunnen- und Wasser- Cur in Gleichenberg widmen, und bittet, diese Cur nicht durch eine Rückreise nach Wien behufs eines Colloquiums und einer Probevorle sung, unterbrechen und verkürzen zu müssen.

Ein weiterer der Gründe, derent willen ich mir diesem hochverehr lichen Collegium Dispens des Habilitanden vom Colloquium vor zuschlagen erlaube, besteht in der bereits ausgesprochenen Bedeut samkeit seiner Druckschrift.

Ein nicht geringerer Grund meines Vorschlages liegt in der bereits er wiesenen seltenen Vorbildung des Candidaten für sein Unternehmen: Auf der einen Seite die höchstgründ liche Fachbildung, welche ihm ein 4jäh riger Unterricht bei Tomaschek gewährte, – andererseits die für einen musikalisch Gebildeten so sehr seltene allgemeine Bildung, welche in seinen ausgebreiteten Univ. Studien begründet ist und schon aus seiner trefflichen Schreibweise hervorleuchtet.

Und da seine ersten Aufsätze über Musik bereits im Jahre 1844 (in der Zeitschrift Ost. u. West) ge druckt erschienen und der Autor seitdem in den besten musikalischen Zeitschriften und dgl. thätig war, so kann man wohl sagen, er oblie ge dem Studium der musikal-Ästhe tik seit mindestens 12 Jahren.

Es bleibt nun noch, auf Pro ben der allgemeinen Anerkennung hinzuweisen, die D.or Hanslick’s

Thätigkeit auf diesem Gebiete bereits und zum Theile vor länge rer Zeit, errungen hat. Bei einiger Umfrage und Orientirung in der Wiener Musikwelt wird man se hen, wie Hanslick’s Autorität in diesen Dingen als eine notori sche gilt. Und diese Autorität ist nicht bloß, wie man sagt: im Publicum anerkannt, sondern auch bei hohen Behörden. So liegen dem Gesuche zwei Dekrete unserer H. Statthalterei bei, worin Herr D.or Hanslick, der doch gar keine förmliche musikal Stellung be kleidet, um musikalische Gutach ten ersucht wird: eines dieser Dekrete fällt schon vor die Zeit der Erscheinung jener Druckschrift, welche offenbar zur Erhöhung des Vertrauens auf die musikalische Spruchfähigkeit des Autor beige tragen haben muß.

Derselbe versichert, daß auch das H. Ministerium des Unterrichts von ihm musikal. Gutachten abver langt habe – eine Versicherung, die schon wegen der Stellung des D.ors Hanslick in diesem Mini sterium keiner Belege bedarf.

Diese Gründe zusammen bilden das Motiv zu meinem Vorschlage,

es könne dem Herrn D.or Hanslick der ihm so wohlthätige Erlaß des Colloquiums mit vollster Beruhi gung bewilliget werden.

Gewiß aber wird dieses hochachtbare Collegium den Petenten nicht blos zur Abhaltung einer Probevorlesung aus Gleichenberg abberufen mögen. Mein Vorschlag geht vielmehr dahin:

Das verehrliche Collegium wolle schon jetzt die Zulässigkeit des Herrn D.ors Eduard Hanslick zum Privatdociren über Geschichte und Ästhetik der Musik aus sprechen und dem hohen Ministe rium zur Bestätigung vorlegen.

Hiedurch wäre Candidat in den Stand gesetzt, rechtzeitig im nächsten Semester seine Vorlesungen anzukündigen und nichts desto weniger gleich zu Anfang desselben in einer Art Antritts-Vorlesung dem studierenden Publicum vorge stellt werden.

Ein Mann von so ungewöhnlicher Befähigung für das oft genannte Fach verdient gewiß solche För derung.

Dornbach nächst Wien Fr. C. Lott rp. 21. Juni 1856.