Hanslick Edition: Dokumente zu „Vom Musikalisch-Schönen“ Gutachten Professur Lott, Franz Carl Wilfing, Alexander Wilfing-Albrecht, Meike FWF Der Wissenschaftsfond.
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ad Ner 194.

Hochgeehrtes Proff. Collegium der philosophischen Facultaet an der kk. Wiener Universität

Ein Dekret (5820/394) unsers hohen Ministeriums fordert die ses Collegium auf zur „grundhältigen Äußerung über die Frage der Zweckmäßigkeit und das Bedürfniß einer dauernden spe ciellen Vertretung des Unterrichts über Ästhetik und Geschichte der Musik an der Universität; dann über die Frage der wissen schaftlichen Befähigung des D.or Hanslik zu derartigen Vorträ gen und der etwaigen Verleihung einer außerordentlichen Professur dieses Gebietes an denselben.“

Im nächstvorigen Jahre mit dem Referat über Herrn D.or Hans licks Privatdocent-Habilitation beauftragt, wurde ich auch im gegenwärtigen Falle mit dem Berichte betraut, welchen ich nun vorzulegen die Ehre habe.

Zuerst beabsichtige ich die Zweckmäßigkeit und das Bedürfniß einer dauernden speciellen Vertretung des Unterrichts über Aesthe tik und Geschichte der Musik an unserer Universität nachzuwei sen, bevor ich zur persönlichen Frage übergehe.

1.) Nicht in Frage ist offenbar daß an einer größern Universität der Unterricht über Ästhetik und Geschichte der schönen Kunst über haupt in dauernder Weise vertreten sein solle; nur dieß soll beantwortet werden, ob es speciell für Musik zu gelten habe? ob eine so weit gehende Theilung der gelehrten Arbeit nicht etwa entbehrlich sein möge?

Sie ist keineswegs entbehrlich, wie sich leicht wird zeigen lassen; vorerst hinsichtlich der Geschichte der Musik, dann hinsichtlich ihrer Ästhetik.

a. Nur Ignoranten könnten heut zu Tage daran zweifeln, daß die Geschichte z. B. der Poësie oder die der Mahlerei und Sculptur, oder

die der Architectur den damit Beschäftigten vollständig in An spruch nimmt; ja gewiß wird Niemand mit der Geschichte irgend einer dieser schönen Künste so vertraut sein, daß er hinsichtlich des Lebens dieser Kunst in allen Zeiten und bei jedem Volke gleichmäßig heimisch wäre. Sicherlich ist es mit der Geschichte der Musik nicht anders; auch sie fordert ihren Mann ganz.

Ja es kommt hier noch ein Grund hinzu, weßhalb gerade sie dieß im höheren Maße fordert als die Geschichte irgend einer andern schönen Kunst. Keine andere erfreut sich nämlich einer so wohl begründeten und durchgebildeten Theorie wie die Musik; der so genannte Generalbaß, die Lehre vom Contrapunkt und d.gl. sind im Wesentlichen so anerkannt wie irgend eine andere Wissenschaft, dieß wird auch durch die Thatsache bezeugt, daß Niemand, der sich dieser Theorie nicht bemächtigt hätte, wagen kann als Compositeur aufzutreten; dieß gilt nicht etwa bloß von den großen oder kirch lichen Tondichtern, auch Donizetti war Professor des Contra punkts. Diese Theorie ist dem Compositeur nicht etwa bloß eine Art Schmuck sondern ein seinen Arbeiten unaufhörlich unent behrliches Werkzeug.

Eine klare Folge des Gesagten ist es nun, daß Niemand zu ge schichtlichen Untersuchungen über das Leben der Musik befähigt ist, der sich nicht jene Theorie angeeignet hat, welche bei Schaffung musikalischer Werke stets maßgebend ist; weßhalb die Geschichte der Musik nicht umhin kann, zugleich Geschichte der Musik-Theorie zu sein. Und es ist notorisch, daß diese Theorie keinesweges leicht zugänglich ist, sondern, unter Voraussetzung einer nicht gerin gen praktisch-musikalischen Ausbildung des Schülers jahre lange ernstliche Verwendung desselben heischt.

Geschichte der Musik verlangt also außer derjenigen Gelehrsam keit, welche die Geschichte überhaupt fordert und außer dem ent wickelten ästhetischen Sinne, ohne welchen die Geschichte keiner

schönen Kunst gedeihen kann, auch noch die eben bezeichnete und schwer erwerbliche praktische und theoretische Ausbildung in Musik.

Wie selten sich all diese Requisite in Einer Person zusammen finden, liegt auf der Hand und findet seine Bestätigung durch einen Blick auf den thatsächlichen Zustand der musikalisch-geschichtlichen Lite ratur. Es gehört der ganze gewaltige Aufschwung der geschichtlichen Studien überhaupt und der culturgeschichtlichen insbesondere dazu, um endlich auch ins Gebiet der Geschichte der Musik einiges Leben zu brin gen und durch Fortsetzung der Materialiensammlungen, die auf diesem Gebiete außerordentlich schwierig, kostspielig und zeitraubend sind, so wie auch durch Höheres anstrebende Monographien, die Möglich keit einer wahren Geschichte der Musik herbeizuführen. Wie Vieles ist auf diesem Gebiete zu schaffen und nachzuholen!

b.) Allein nicht blos für die Geschichte der schönen Künste, gleichsam für die Darstellung und Physio- und Pathologie des Kunstlebens, ist Theilung der gelehrten Arbeit nöthig (und jeder Universitäts lehrer soll auch Gelehrter sein), sondern eben so sehr für die ästhetische Würdigung (Werthbestimmung) der Kunstwerke.

Lange genug hat sich die Ästhetik in den allergemein sten Categorieen, in den Begriff von Schönheit, Erhabenheit, vom Komischen und Tragischen, Klassischen und Romantischen, Natur und Kunst u. dgl. m. umhergetrieben, bis man endlich müde ge worden ist und den Weg eingeschlagen hat, durch Vertiefung in die schönen Gegenstände selbst tiefergehende Werthbestimmungen der selben zu gewinnen; ist ja eine haltbare Beurtheilung überall nur aus klarer Auffassung der zu beurtheilenden Gegenstände zu schöpfen!

Da nun aber Niemand vermag, mit den Werken aller schönen Künste vertraut zu werden, so ergibt sich eben auch auf ästhetischem Standpunkt die Nothwendigkeit, daß die Hoffnung des wissenschaft lichen Fortschritts auch hier wieder dadurch bedingt ist, daß der Forscher sich auf Eins dieser großen Kunstgebiete beschränke.

Und am meisten fordert auch hier wieder das musikalische Gebiet solche ausschließliche Hingebung, weil ohne mehrerwähnte musi kalisch-theoretische Durchbildung keine genaue Auffassung grö ßerer musikalischer Werke möglich ist, vielweniger eine objek tive Werthbeurtheilung derselben. Ohne Zweifel sind bisher mu sikalische Fachtheorie und sogenannte Ästhetik darum einander so fremd geblieben, weil jene Theoretiker so selten mit Ästhetik bekannt sind wie die Ästhetiker mit jener Theorie.

Nach all dem Gesagten darf ich wohl als gesichertes Ergebniß hinstel len, daß an einer größeren Universität Geschichte und Aesthetik der Musik speciell vertreten sein sollten.

Und dieß gilt ganz besonders gerade von der Wiener Universität.

In Wien haben Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert ge lebt und gewirkt, in Wien strömen die reichen und manigfaltigen musikalischen Kräfte unserer Kronländer zusammen. Wien hat seine hohe Stelle in der Geschichte der Musik zu wahren – oder soll ich sagen: diese Stelle wieder zu erringen? Ich fürchte, man werde gestehen müssen, die musikalische Productivität Wiens hat ihr früheres Übergewicht über die auswärtige Pro duction eingebüßt.

Nun freilich wird sich die frühere musikalische Würde Wiens nicht blos durch die Wissenschaft, nicht bloß durch Geschichte und Ästhetik der Musik behaupten oder wiedergewinnen lassen, son dern hiezu wird Herbeiziehung der ersten musikalischen Pro ductivkräfte erforderlich sein, welche Schüler um sich sammeln würden und der wärmsten Empfänglichkeit und Anerkennung von Seite des Wiener Publikums gewiß wären, – nichts desto weniger würde die Pflege der genannten Wissen schaft nicht blos aus rein wissenschaftlichen Motiven, wovon ich bereits handelte, dringend zu empfehlen sein an unserer Universität, sondern zugleich auch für das wirkliche Musikleben Wiens, für einen alten Ruhm der österreichischen Culturgeschichte.

Kann durch die Wissenschaft auch die Praxis nicht ersetzt oder ge schaffen werden, so ist doch jene für diese unfruchtbar. Sie trägt bei, dem Sinne, in welchem Kunstwerke producirt und aufgenom men werden, den rechten Ernst zu wahren, gegenüber der bloßen Ge nußsucht die auch in dieses Gebiet eindringt, gegenüber den Tagesmo den, gegenüber dem blos persönlichen Treiben, das sich oft genug an die Stelle der Kunst selbst setzen möchte. Die Wissenschaft erhält den Sinn klar, da wo ihn die große Verschiedenartigkeit der Werke von vielerlei Völkern und Zeiten zu verwirren droht; ja wo die echte Wissenschaft mangelt, da schalten desto unumschränkter die Vorurtheile mancher Art und die Blendwerke tendentiöser Theorie.

Hiernach dürfte denn nicht bloß vom Standpunkt des wissen schaftlichen Interesses aus, sondern auch von dem des wirklichen Mu siklebens Wien und mittelbar Österreichs die Zweckmäßigkeit und das Bedürfniß einer speziellen Vertretung der Geschichte und Ästhetik der Musik an der Wiener Universität außer Zweifel gestellt sein.

Und dieß Bedürfniß von Seite der musikalischen Praxis ist auch von dieser selbst gefühlt und anerkannt, wie schon allein das Ge such beweist, welches unser Musik-Conservatorium an Se. Excellenz den Herrn kk. Minister des Cultus und Unterricht gerichtet hat, – ein Gesuch, welches eben den Auftrag des hohen Ministe riums an dieses Collegium veranlaßt hat, worüber ich gegenwärtig zu berichten die Ehre habe. In diesem Gesuche erklärt die Di rektion der Gesellschaft der Musikfreunde ausdrücklich den oft ge nannten Unterricht „ein dringendes Bedürfniß“ und nur die „Unzu länglichkeit der Geldmittel“ dieser Gesellschaft, ihr Mangel an Raum für die Vorlesungen“ so wie „der Abgang einer entsprechenden Lehrkraft“ habe die Direktion genöthiget, die vor einigen Jahren „versuchsweise eingeführten Vorlesungen über Ästhetik und Geschichte der Musik wieder einzustellen.“

II. Der zweite und letzte Theil des hochministeriellen Auftrages heischt unsere Äußerung über D.or E. Hanslick’s „wissenschaftliche Befähigung

zu derartigen Vorträgen und der etwaigen Verleihung einer außer ordentlichen Professur an denselben.“

Über die wissenschaftliche Qualification des Herrn D.or Hanslick hat sich bereits, als sich derselbe habilitirte, mein vorjähriger Bericht (ad N.er 418) ausgesprochen, welcher Bericht sich Ihrer verehrlichen Zustimmung zu erfreuen hatte. Ich darf mich wohl einfach auf jenen Bericht beziehen und mir solche Data vor führen, welche seit jener Zeit hinzugekommen sind. Diese Data betreffen seine damals nach unerprobte Lehrfähigkeit. Hinsichtlich der Wintersemester-Vorlesung des H. D.or Hanslick ist es mir gelungen, folgende verläßliche Auskünfte zu er halten.

Die Quästur weist hiefür 88 inscribirte Zuhörer aus und dieselben hielten großentheils bis zum Schluß des Semesters aus. Das schon erwähnte, vom H. Fürst Schönburg unterzeich nete Gesuch der Direktion der Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates enthält wörtlich folgende Stelle über die Vorlesung des Herrn D.ors Hanslick:

„Diese Vorlesungen, welche von einem sehr gewählten Kreise von Männern aus den gebildeten Ständen und von vielen Studierenden mit großem Eifer besucht wurden, haben die doppelte Über zeugung von der Nothwendigkeit dieses Lehrfaches für die all gemein-wissenschaftliche und speziell musikalische höhere Aus bildung so wie von der ausgezeichneten Befähigung des Herrn D.or Hanslick für dieses Lehrfach erst recht lebhaft bestärkt. Mehrere Mitglieder der gehorsamstgefertigten Direktion haben, obwohl in ihren Berufsgeschäften vielseitig in Anspruch genommen, den Plan und Erfolg dieser Vorlesung aus eigener Wahrnehmung kennen gelernt und sich über deren wissenschaftlichen Werth und Nutzen auf die anerkennendeste Weise ausgesprochen.“

Aus meinem vorjährigen Berichte erhellte, daß Herr D.or Hanslick auf Grundlage einer allgemeinen Universitätsbildung und einer speziell

musikalischen, durch den anerkannten Compositeur und Theoretiker Tomaschek in Prag geleiteten Unterweisung eine literarische Thätigkeit durch eine Reihe von Jahren hin entwickelt, die ihn zur musikalischen Autorität erhob nicht blos in den Augen des Publicums sondern auch der Behörden, wo sie ein Gutachten über musikalische Din ge wünschten; aber für diese ganze Thätigkeit so wie für seine auf die so eben gerühmten Universitäts-Vorlesungen verwandte, konnte Hanslick bloß diejenige Zeit verwenden, welche ihm der Staatsdienst übrig ließ, in dem er bereits 10 Jahre sich befindet. Ich meinte, diesen Umstand ausdrücklich hervorheben zu müssen, weil ohne seine Berücksichtigung die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit des Herrn D.or Hanslick unterschätzt werden müßte. Arbeitet Jemand mit un getheilter Seele in seiner Wissenschaft und nicht blos während der Zeitabschnitzel, welche ein anderweitiger Beruf gönnt, so werden seine Leistungen ohne Zweifel höher stehen als im Gegenfalle.

Da mir nun die wissenschaftliche und Lehrbefähigung des Herrn D.ors Hanslick außer Zweifel ist, wohl auch in der ganzen musikalischen Welt anerkannt ist, so kann ich nur den dringenden Wunsch hegen, daß unser hohes Ministerium denselben aus seiner Doppelstellung erlösen möge, in welcher seine Kraft sich endlich aufreiben muß, – indem es demselben eine außerordentliche Professur der Geschichte und Ästhetik der Musik an unserer Universität verleihen wolle.

Gmunden den 16. Juli 1857.

Lott rp.

Vidi Littrow [???]