Karl KrausWien I., Maximilianstrasse
13.Ischl21. Juli, 1893Mein liebster, verehrter Herr Doctor!Dass Sieso »spurlos«sich auch dem Staube gemacht haben, thut mirsehr leid. Seit
Ihrer Vorstellung haben wir uns ja gar nicht gesprochen.
»Sieh’st du, dashätt’ (!!!!) ich dir doch
nicht gesagt!« – ich werde diesen genialen Zug in Frl. Falkner’s Darstellung nie vergessen. Und darauf noch dröhnender
Abgangsapplaus, der d auch die zweiteSchlusspointe (»Es ist ja leicht gegangen etc«) unmöglich machte! Von dem
»Bordellstück« »Abschiedsouper« wird hier viel
gesprochen.
Meine herzlichste Gratulation zur Kritik[O. V.]: [Aus Ischl, 14. Juli, schreibt man
uns]. In: Neue Freie Presse,
Nr. 10.381, 18. 7. 1893, S. 6. in N. Fr. Presse (und Bauer[Julius Bauer]: [Abschiedssouper in Ischl]. In: Illustrirtes Wiener Extrablatt, Jg. 22,
Nr. 196, 18. 7. 1893, S. 5. im Extrablatt)! Sehr dämlich hatsich Herr SkreinStefan: Ischler Brief. In: Wiener Allgemeine
Zeitung, Jg. 14, Nr. 4593, 18. 7. 1893,
S. 2. in der »Allgemeinen« geäußert.
Dies mal haben N. Fr. Pr. u. Allgemeine die Rollen getauscht.
Ich habe eine Notiz an das Wiener Tagblattgeschickt[O. V.]: Ischler Sommertheater. In: Wiener Abendblatt, Jg. 29, Nr. 199,
21. 7. 1893, S. 4.; hoffentlichwird (oder, wenn Sie diesen Brief erhalten) wurde es gedruckt. Im Magazin wird nichts erscheinen. Allerdings bin ich nichtschuld. Damit Sie meinen guten
Willensehen,sende ich Ihnen beiliegend meine KritikNotiz, die mir heute Neumann-Hofer
zurücksandte – mit der Bemerkung:
»Eine Vorstellung in Ischl kann in einem
Wochenblatte nicht besprochen werden. Solche gelegentlichen Ereignissesind auf die
Notiznahmeseitens der Tagesblätter beschränkt.« Na, also! –
Devrient’s Vorlesung war famos: namentlich Fontane.
Ich habe ihm gleich nach unsererseinerzeit. Unterredung nach Wien geschrieben, ersolle Liliencron lesen. Nun hat er mich –selbst
aufgesucht. Liebenswürdig, was? Wie gedruckt; Liliencron, den ersich gleich kaufte, hat ihn entzückt u. er wird ihn bestimmt in Wien vorlesen. Er fragte mich auch, ob ich Gedichte von Ihnen hätte; er wolltesie nämlich in Marienbad, wohin ersich noch am Tage des Besuches begab, vorlesen. Da nun
aber die Vorlesung gleich auf den nächsten Tag angesetzt war, lehnte er auch eine
eventuelles Telegramm an Sie (zu dem ich mich bereit erklärte) ab. Aber im
Winter will er’s nachholen.
Leben Sie wohl, bitte beste Grüße an Loris u
Salten auszurichten!
Herzlichst Ihrsehr ergebener
KarlKrausN.B. Wassagen Sie zur »Freien Bühne« in Wien, die – Elbogen aufführt. Ist das nicht zum Todtlachen? Die Veranstaltersind
Revolverjournalisten.
KARL KRAUSWien I., Maximilianstrasse 13.Ischl15. VII 1893
Arthur Schnitzlers einaktige Komödie »Abschiedssouper« fand im Ischler Stadttheater ihre Probeaufführung. Das kleine oberösterreichische Curorttheater ist die erste
Bühne, diesich des prächtigen Stückleins angenommen hat.
Der überaus lebendige, geistreiche Einakter, der eine geradezu bravouröse Technik
aufweist, ist die wirksamste dersieben »Anatol«studien (siehe Besprechung[O. V.]: Arthur Schnitzler. In: Das Magazin für Litteratur, Jg. 62, Nr. 18,
6. 5. 1893, S. 294. in Nr. 18) und fand den lebhaftesten Beifall, den nur einige »verschämte«, in
ihren heiligsten Gefühlen verletzte Curgäste im Interesse der publiken und privatenprivaten und publikenSicherheit abwehren zu müssen glaubten. Gespielt
wurde recht brav; namentlich zeichnetesich der treffliche Jarno vom berliner Residenztheater als Max aus. Die famose
Schlusspointe gieng leider wirkungslos, weil unverstanden, vorüber. –
Arthur Schnitzler, neben Loris der
talentvollste unter den wenigen talentierten Wienern, musste hat an diesem Abend die
Concurrenz – der Herren MoserMisch aushalten müssen, deren dreiaktigerSchwank »Fräulein
Frau« gegeben wurde. Nach dem grobkörnigen Schablonenmachwerk das graziöse
Kunstwerkchen! Das war denn nun ein beschämend leichter Sieg für Arthur Schnitzler.
Dasssich gleichwohl die beiden Schwankherren mit ihrem »Fräulein Frau« die Bühnen früher erobert haben als Schnitzler, der ja doch
zu den bösen Modernen i. e. »Unsittlichen« gehört, mit irgend einemseiner Werke, ist
bei der Einsichtslosigkeit unserer Bühnenleiter begreiflich. (K.K.)