Mein lieber Hugo,Fischer hat den Satz von Mimi auf meinen Wunsch bereits ablegen lassen, undso ist die
letzte Gefahr geschwunden. Ich hoffe, Sie haben meinen vorigen, zweiten Brief, in dem
ich Ihnen auf Ihr diesbezügliches Ersuchen geantwortet, erhalten? – Ist es ruhig
geworden im Hause Loeb? – Wie geht
es der geschädigten Verfasserin der Scenen aus
einem Mädchenleben?
– Die Delna hab ichschon gehört; gerade am
Abend bevor Ihr Brief kam, als Orpheus. Sie hat eine mächtige, nicht immer
edle Stimme; eine besondre Höhe der Darstellung und des Gesangs erreichtsie am
Schluss; da bin ich tief ergriffen gewesen – bis dahin hatt’ ich die Papier nicht vergessen können. –
Jetzt eben koe ich von einer Matinée im Français, wo man den Misanthropen gegeben hat. Um hier der absoluten Größe inne zu werden, muss mansich doch
erst historisch montieren, was weder bei Sophokles noch bei Shakespeare notwendig ist. Erst im letzten Akt, wo nicht mehr
le misanthrope,sondern un misanthrope vor einemsteht,spürt man was
ewig menschliches. Es liegt wohl daran, dass alles, was in diesem Stück vorgeht, einfach die Ansicht des
Helden bestätigt; er erfährt nichts neues, dennschon im ersten Auftritt weiss er,
was die Menschen für ein Gesindelsind. Erstsein Entschluss, in die Einsamkeitsich
zurückzuziehen, bewegt uns; wahrscheinlich weil wir wissen, dassseine ganze
Menschenfeindschaft nichts ist als Sehnsucht nach guten
Menschen, die er jetzt ein für alle Malselbst zu etwas unerfüllbarem macht; denn er
wird niemanden mehr kennen lernen. –
Trösten Siesich wegen des gemischten Hausbrotes: Wochenlang hab ich ein weißes
trocknes gegessen (wer niesein Brod mit Thränen
ass– !); und auch jetzt nehm ich meine Mahlzeiten in einer stockfranzösischen Familie ein, wo keine heimatlichen Gulyasdüfte aufsteigen. Sie ahnen nicht, wie viel »ganz
andres« ich esse. Die hiesige Einteilung 12 Uhr Dejeuner, 7 Diner, 9 Theater, behagt
mir außerordentlich.
Schöne Radpartien? Z. B. fahren Sie von der Tini aus über Heiligenkreuz – Alland – Neuhaus (bei Nöstach) – Pottenstein – Vöslau. Oder:
Rohrerhütte – Königstetten (sehr bergig,schieben!) – Tulln, dann an der Donau zurück nach Klosterneuburg. – Sehr hübsch auch die kleine
Tour Tulln – Stockerau. Oder: Rekawinkel – Hütteldorf
(Westbahnstrecke.) Od: Wiener Neustadt – Reichenau. – Ich freue michsehr, we wir zusaen fahren
werden.
Wie lang bleiben Sie de in Wien? Und wie wird heuer der Sommer werden? Ich möchteso gern
zum Arbeiten koen; hierspiele ich höchstens mit
Plänen; aber möglicherweise ist mehrmir durch ein merkwürdiges Zusammenfließen zweier PläneAm überlegte
Schnitzler, die Stoffe »Die Entrüsteten«
und »Rettung« zusammenzufügen. Ersteres handelte vom Zusammenleben ohne zu
heiraten (in Anlehnung an sein Leben mit Marie
Reinhard). Aus der vorliegenden Stelle geht hervor, dass der zweite Plan in Beziehung mit Hermine Benedict steht. Aus dem Projekt, das in diesem
Stadium noch als Stück gedacht war, entwickelte sich im nächsten Jahrzehnt der
Roman Der Weg ins Freie., worunter
einer der mit der Minni, etwas gutes eingefallen. –
Den Götterliebling hoff ich ganz fertig
anzutreffen. Bei dem Stück von
Hirschf. zweifle ich gar nicht daran. – Ist
bei Ben. nach mir gefragt
worden? –
Paul Goldma hat unglaublich viel zu thun, u. we ich ihn nicht
gerade aufseinen Excursionen zwischen Bureau u. Telegraphenamt begleite, wie z. B.
gestern, wo das Brandunglück im Bazar de la Charité den Zeitungenso viel zu thun gab, hab ich
eigentlich wenig von ihm. Abersein Wesen macht mirsehr viel Freude; und er gehört
zu den wenigen, an denen ich mich erhole, von denen aus mir der Weg zu mirselbst am
freiesten und klarsten daliegt.
Herzlich der Ihre
ArthParis6. 5. 97.