Wien, 27. 3. 98Verehrtester Herr Brandes,es war wirklich nicht nothwendig uns für etwas zu danken, was unsselbstso viel
Freude gemacht hat wie die Möglichkeit während Ihres Wiener Aufenthalts einige Stunden mit Ihnen zu verbringen; jedenfalls aber
freut mich Ihre liebe Nachricht aus Sicilien, die
mir von Ihrem Wohlbefindenso angenehme Kunde
gibt. Über Ihre Aufnahme in Rom hatte ichschon
irgendwo gelesen; der ungestörte Fortgang Ihrer Reise ließ mich auch vermuthen, dass
Sie von Hause günstige Mittheilungen erhielten, was mir nun durch Ihren Brief
erfreulich bestätigt wird. Wir haben auch aus Kopenhagen Ihre Bücher geschickt bekommen; herzlichen Dank dafür. Den
Band1897 erschien von Die Hauptströmungen
der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts im Verlag Barsdorf eine »fünfte, gänzlich neu bearbeitete und
bedeutend vermehrte Auflage
« in 27 Lieferungen. aus den Hauptströmungen hab ichschon gekannt, in der
früheren Ausgabe; dagegen habe ich Ihre Rede über das Nationalgefühl
zum ersten Mal gelesen. Ich glaube dsssie als ein wahres Muster ihrer Gattung gelten
kann, dasieschwungvoll undsachlich zugleich ist.
Die AufnahmeFreiwild wurde vom bis zum
26. 2. 1898 am Carl-Theater in
Wien gegeben. des »Freiwild«,
nach der Siesich erkundigen, war hier am ersten Abend einesehr gute; die Kritik war
im ganzen wenig wohlwollend. Sie wissen, dass ichselbst eine geringe Meinung von dem künstlerischen Werth
dieses Stücks habe; aber davon
war wenig die Rede. Dagegen flo ist bei der
Besprechung der angeblichen Tendenzso viel Bornirtheit und Verlogenheit aufgeflogen
– wie Staubwolken, wenn ein galoppirendes Ross über die Landstraße jagt. Insbesondre
die antisemitischen Blätter leisteten unglaubliches in Denunziationen. Es istschließlichso weit gekoen, dass die Direktion des Theaters nachsieben Vorstellungen »auf einen Wink von
oben«, (über den man mirselbst nur unter 4 Augen Aufschluß geben wollte, was ich
nicht annahm) das Stück absetzte. –
Mein neues Schauspiel kot im Herbst in der Burg dran (we die Hofcensur nichts dawider
hat); jetzt habe ich ein paar einaktige Sachen geschrieben und möchte bald wieder an was größeres
gehen. Bei dem neuen Schauspiel ist mirstärker als je ein Grundmangel meines Schaffens zum Bewußtsein gekommen. Ich
finde nemlich, dass mir die Nebenfiguren meistens nicht übel gelingen; hingegen ist meine Hauptperson meistens ier irgend wer, dem wassehr trauriges
passirt.
– und nicht viel mehr. Sie holt ihre Bedeutung aus ihrem Schicksal, nicht aus
ihrem Wesen.
Die »Lust« von d’Annuncio, die Sie auf der Reise gelesen haben, war mir auch nichtsympathisch. Vor allemschien mir einiger Snobismusdrin zustecken; auch Bildungssnobismus. Dagegen wäre möglicherweise nichts einzuwenden,
we nicht gewisse künstlerische Schwächen daraus
hervorgingen. Ein Dichter hat gewiss das Recht zusagen: Siesah aus wie die Madonna von Rafael in Dresden oder er erinnerte mich an ein Portrait von Rembrandt; – aber er darf nicht verlangen, dass ich mir was vorstellensoll,
we erschildert: Sie hat Hände wie die Dame auf dem Bild eines unbekaten Malers das in einer unbekannten Galerie in einer
ganz kleinen italienischenStadt hängt. Derartiges findetsich in der »Lust« nicht geradeselten. – Was ich abersonst
von d’Annuncio kenne, hat mich mit Bewunderung
erfüllt. Ich meine den »Triumph des Todes« und
die »Unschuldige.« –
Wie lange bleiben Sie noch in Italien? Werden
wir bald wieder von Ihnen hören? Ich brauche die
»Wir« nicht näher zu bezeichnen. Paul Goldmann
geht auf etwa ein halbes Jahr nach China und Japan, im Auftragseines Blattes; erschifftsich am
5. April in Genua ein. Ich will
in der Charwoche per Rad vom Breer aus durchs Ampezzothal
nach Venedig.
Von meiner Mama und Beer-Hofmann habe ich Ihnen die besten Grüße zusagen; mögen Sie, verehrtester Herr Brandes,
angenehmes denken und angenehmes erleben und uns, wenn Siesich auf der Rückreise
wieder in Wien aufhalten (was dringend gewünscht
wird) mancherlei davon erzählen.
Herzlichst ergeben
Ihr ArthurSchnitzler