Verehrter Herr Brandes,gestern hab ich Ihren Brief bekommen und aus dem erfahren, dss Sie wieder zu Bette
liegen. Abendsstand es in einer Berliner Zeitung zu lesenVgl.
V. A.: Bei Georg Brandes. In: Berliner
Tageblatt, Jg. 28, Nr. 16, 9. 1. 1899, Abend-Ausgabe,
S. 3: »Aus Kopenhagenschreibt uns unser dortiger Korrespondent:
Dr. Georg Brandes muß leider
wieder das Bett hüten und zwar wegen seines alten Leidens: Venenentzündung.
Ich besuchte gestern den berühmten Autor. ›Und jetzt liege ich hier seit drei Wochen auf meinem
Schmerzenslager,‹ sagte Brandes mit
einem matten Lächeln; ›wann und wie die Aerzte mir wieder auf die Beine
helfen können, wissen sie ja selber nicht.‹
Eine Besserung ist jedoch augenscheinlich eingetreten, welche
hoffentlich fortschreiten wird.
«, mit dem Beisatz, dss Siesichschon auf dem Weg der Besserung
befinden. Ich hoffe, dass essichso verhält und dass Sie bald ganz gesund istsind. Meine innigsten Wünschesind bei Ihnen, das wissen Sie. Auch von Ihrem Streit mit den Deutschen hab ich durch die ZeitungVgl. [O. V.]: Köllers
Erfolge. In: Berliner Tageblatt,
Jg. 28, Nr. 9, 5. 1. 1899, Abend-Ausgabe, S. 2: »Georg Brandes, der vom ›Verein Berliner Presse‹ aufgefordert worden war, nach Berlin
zu kommen, um einen Vortrag zum Besten der Hilfskasse des genannten Vereins zu
halten, hat geantwortet, daß ein dänischerAutor während der gegenwärtigen Verhältnisse in Nordschleswig unmöglich Vorträge in Berlin halten könne.
«
erfahren; Siesollen irgend einen Vortrag abgesagt haben, im Verein »Berliner Presse«, aus »polit. Gründen«. Fügen Sie
Ihren Antipathien gegen DePreußen und Frankreich nur getrost die gegen Oesterreich bei. Lesen Sie manchmal Wiener Zeitungen, Parlaments- und
Gemeinderathsberichte? Es iststaunenswerth, unter was für Schweinen wir hier
leben; – und ich denke immer,selbst Antisemiten müßte es doch auffallen, dass
der Antisemitismus – von allem andern abgesehen – jedenfalls diesonderbare Kraft
hat, die verlogensten Gemeinheiten der menschlichen Natur zu Tage zu fördern undsie
aufs höchste auszubilden. Wie merkwürdig, dasssogar die offenbaren Mängel, Fehler,
meinetwegen Verbrechen der Judenpresse, die man alssospezifisch jüdisch hinstellen
wollte, von der Antisemitenpresse ins
ungeheuerliche ausgebildet wordensind. Aber wir wollen über diese widerlichen Dinge
lieber gar nicht reden.
Ich freue mich, dss das »Vermächtnis« einigen
Beifall bei Ihnen gefunden hat. Mirselbst ist nur der erste Akt lieb; dann gewisse
Partien des letzten. Solange die Hauptperson auf der Scene ist, hab ich das Stück
nicht gern. Die ist ganz unpersönlich geblieben find ich. Während der Proben fiel mir
mancherlei ein, wodurch ich das Stück hätte höher bringen können; vor allem hätt ich
das Kind müssen am Leben lassen; – aber esscheint ich bin nicht anständig genug, um ein Stück noch auf der Probe zurückzuziehn,selbst wenn ich weiss, wie es besser zu machen wäre. Es
hat in Berlin undWien bei der Erstaufführung viel Erfolg gehabt; in
Berlin verschwand es bald; hierscheint essich zu halten. Irgend eine Zukunft hat es gewiss nicht – und wahrhaftig nicht nur
wegenseiner Traurigkeit –! – Nun hab ich was geschrieben, das mir lieber ist; drei
kleine Stücke, von denen das eine »Der grüne Kakadu«, das beste, großen
Schwierigkeiten begegnet. In Berlin habensie es
verboten; – hier will die Hofcensur die unmöglichsten Aenderungen. Esspielt am Abend
der Bastillenerstürmung zu Paris – aber ichsoll den »Blutgeruch« herausstreichen. Auch
dass ein Herzog umgebracht wird, will den Leuten nicht gefallen. Ich freu mich Ihnen
das Ding bald zuschicken; es wird Sie wahrscheinlich amusiren.
Und jetzt bin ich mit einer ganz phantastischen fünfactigen Sache
beschäftigt; mirscheint überhaupt als käme ich jetzt in andere Gegenden. Wer weiss,
ob alles bisherige nicht doch nur Tagebuch war; wenigstens von einer gewissen Zeit
an. (Denn früher einmal, von meinem 9. bis zu meinem 20. Jahr hab ich geschrieben,
»wie der Vogelsingt« – ich muss damalssehr glücklich gewesensein; denn ich erinnere mich gar
nicht, wie ichs eigentlich gemacht habe. Ich habe noch manches; Trauerspiele und
Fastnachtsspiele und komische Romane; nahezu
durchaus blödsinnig; aber ich habeselbst zu der Zeit, da ich diese Dingeschrieb,
nie das Bedürfnis gehabt, es irgend wem zu zeigen. So wird man zudringlicher,
niedriger und unfröhlicher von Jahr zu Jahr. –)
Hoffentlichschwingtsich Beer-Hofmann auf, Ihnenselbst zuschreiben; faul ist er allerdings enorm. Sie wissen
wahrscheinlich nicht einmal, dss er geheiratetBeer-Hofmanns Hochzeit hatte am
14. 5. 1898 in einer Synagoge in Wien stattgefunden. hat, Paula, die Sie kennen auch hat erschon
zwei Töchter, die Mirjam und Naëmie heißen. Aberseine neue Novelle (was ich davon kenne ist wunderschön) ist noch
nicht fertig.
Ist Ihnen ein Roman bekannt, die Juden von
Zirndorf, von Wassermann? Ich glaube,
das ist derjenige Mensch, der den deutschen Roman vom Anfang
des nächsten Jahrhundertsschreiben wird. Sind Ihnen die Novelletten zugekommen, die ich Ihnen im Frühjahrschickte? (»Frau des
Weisen«. –)
Von Ihrem Ausflug nach Polen und Ihrem Empfang
haben wir hier gelesenDie Wiener Zeitungen hatten mehrfach über den Besuch Brandes’ in Lemberg
berichtet, so etwa die Neue Freie Presse in
der ungezeichneten Meldung Georg Brandes in
Lemberg ([O. V.], Nr. 12.300, 19. 11. 1898,
Morgenausgabe, S. 4): »Georg Brandes, der einer Einladung nach
Lemberg zu der am
20. November stattfindenden Enthüllung des Sobiesky-Denkmals Folge gegeben hat, wurde bei seiner
Ankunft daselbst von einer Deputation feierlich empfangen. Die Spitzen der
Gesellschaft wetteifern in dem Bestreben, sich dem großen dänischen Schriftsteller für die in
seinem ebenso geistvollen als anregenden Werke ›Polen‹ zum Ausdrucke gebrachten Sympathien erkenntlich
zu zeigen.
« ; dagegen hab ich von Ihren Gedichten absolut nichts gewußt?. Werden Siesie übersetzenEine deutsche Übersetzung
der Jugendgedichte erschien nicht. lassen? Sindsieschön? Haben Siesie
gern? Wie viele Stunden hat Ihr Tag! Zu allem haben Sie Zeit. Und alles bewahren Sie
auf, das ist das Bewunderungswürdige, und darum sind Sieso reich.
Ich wünschte, Sie würden gleich gesund, reisten wieder nach Italien, und blieben wieder ein paar Tage in Wien. Ein Wort von Ihnen, wie’s Ihnen geht, brächte mir
jedenfalls viel Freude.
Herzlich grüßt Sie Ihr Ihnen
treuergebener
ArthurSchnitzlerWien12. 1. 99.