Wien, 15. Oktober 1904.Lieber Hugo!Dass Sie Lindemann Ihre Stücke verweigerten,
wundert mich, denn dazu liegt meiner Empfindung nach keine Ursache vor. Fischer schrieb mir vor MonatenIm Januar 1904 hatten Verhandlungen über eine
Tournee Lindemanns, bei der Der einsame Weg gegeben werden sollte, stattgefunden. Ab
Mai beherrschte die Frage, ob es eine eine Vorauszahlung hätte
geben sollen, die Korrespondenz Schnitzlers
mit Fischer. Am 29. 8. 1904
schrieb Fischer besagte Aufforderung, dass
die Verlagsautoren gemeinsam agieren sollten., er wolle seinen Autoren das
Ansinnen stellen, aus Ursache des bewussten Streitfalles zwischen ihm und L., resp. zwischen mir und L. in Betreff des »Einsamen
Wegs«, dem L.schen
Unternehmen ihre dramatischen Arbeiten bis auf Weiteres zu verweigern. Ich
sprach mich mit Entschiedenheit dagegen aus, da mir jede Art von Solidarität ziemlich
zuwider ist und ich besonders in dem vorliegenden Fall es auch von jedem andern Autor
unrichtig gefunden hätte, aus einer rein privat-prozessualen Sache eine öffentliche Affäre zu
machen und damit vielleicht noch andere Leute, die
die ganze Geschichte nicht interessiert, materiell zu schädigen. Damit erledigt sich
Ihre Frage von selbst, und ich bitte Sie nur, ohne jede
Rücksicht auf mich, auch bei Lindemann Ihre
Stücke ganz nach Gutdünken zu placieren.
Aber sonst steht die Sache nicht so einfach, und Lindemann ist gewiss nicht so frei von Schuld, als es im Brief des Fräulein
Dumont an Sie in allerbestem Glauben
dargestellt wird.
Insbesondere handelt es sich ja darum, dass L.
nach der matten Aufnahme des Stücks durch das Berliner Publikum weder
von einer vorher, noch von einer nachher zu zahlenden Garantiesumme etwas wissen
wollte, trotzdem vor der Aufführung – ich glaube, am Tage der Aufführung – ein
Telegramm von ihm eingelaufen war, das sich mit den letzten
Bedingungen Fischers einverstanden erklärte, –
womit nicht nur nach allgemeinem Usus, sondern auch nach dem Urteil juridischer
Sachverständiger, ein rechtsgiltiger Vertrag zustande gekommen war; – und dass sich Fischer durchaus nicht hütet, die Angelegenheit auf dem Klageweg zu
erledigen, /wie Frl. Dumont in ihrem Brief sagt/ ersehen Sie am besten aus den zwei
Briefen, die ich Ihnen hier beilege und um deren Rücksendung ich Sie bitte, und aus
denen sie erstens ersehen, dass Justizrat Jonas
die Forderung der sofortigen Zahlung der 5000 M. für begründet hält, und
zweitens dass Fischer nur meine Einwilligung
abwartet, um den Prozess gegen Lindemann
einzuleiten. Diese Einwilligung werde ich ihm natürlich nicht versagen.
Worin ich Fischer Unrecht gebe, ist eigentlich
nur, dass er nicht gleich zu Beginn der Verhandlungen – lange vor Aufführung des Stücks in Berlin – den Lindemann’schen Antrag in seinem ganzen Umfang /5000 M. Garantie und Aufführung
des Stücks in allen von L. angegebenen Städten/ angenommen hat, obwol
ich ihm telegraphisch meine entschiedene Zustimmung kundgab, sondern dass er sich
dann erst in Verhandlungen über einzelne Städte einliess, die von der Tournée
ausgeschlossen sein sollten. Aber »unvornehm« kann ich das auch nicht finden.
Was aber nun eine vorherige Zahlung der Garantiesumme anlangt, so würde ich zu dieser
Forderung in einem ähnlichen Fall meinen Vertreter neuerdings autorisieren; denn
gerade die in dem Brief des Frl. Dumont
angeführten Daten beweisen, wie gering die finanzielle Sicherheit ist, die in einem
Unternehmen in der Art des Lindemann’schen,
selbst bei den besten Absichten und den reinsten künstlerischen Intentionen, den
Autoren geboten werden kann.
Uebrigens hätte ja Lindemann sich mindestens
zu einer teilweisen vorherigen Zahlung verstehen können; aber, ganz im Gegenteil, –
und dies ist wol das Wichtigste bei der Betrachtung des ganzen Streitfalls –, nach
der Berliner Première wollte er, trotz des vor
der Première eingelangten vertragsgleichen Telegramms, weder von einer vorher, noch
von einer nachher zu zahlenden Garantie, noch überhaupt von einer Aufführung des Stückes im Verlauf seiner
Tournée etwas wissen.
Bitte, lieber Hugo, grüssen Sie Frl. Dumont herzlich und teilen Sie ihr doch in
Ihrer Antwort auch mit, was ich Ihnen gleich im Beginn dieses Briefs erzähltgesagt habe: dass es durchaus meinen Intentionen widersprach und widerspricht, wenn
Fischer aus Anlass des bekannten
Streitfalls dem neuen Unternehmen auch Stücke seiner anderen Autoren verweigert, dass
mir im übrigen aber das Vorgehen Fischers in
meiner Sache einwandfrei erscheint.
Herzliche Grüße und auf baldigs Wiedersehen. Mit meinem »burlesken Abend« bei Rhardt ist’s nichts. Er will die Familienscene allein, die ich
aber lieber für bessere Gelegenheit zurückbehalte. Über Kakadu–Abenteurer ist noch
kein Telegramm eingelangt.
Ihr A.