Wien14. 12. 904mein lieber Hermann, es beschämt mich fast, dass du über ein im
Ganzen doch ziemlich unbeträchtliches Ding wie es der Puppenspieler ist (er gehörte in den Cyclus Lebendg Stunden.
, aber wegen zu großer Länge des Abends mußte er
zurückgesetzt werden) –soschöne Worte.
sagst. Vielleicht
drücke ich mich besser aus, we ichsage: anläßlich des Puppenspielers. Denn deiner Auffassung des kleinen Stücks muss ich
widersprechen. Vielleicht hab ich nicht das Recht dazu, denn es werden ja doch
wahrscheinlich künstlerische Mängel der Sacheschuld daransein, dass du eine Lebensanschauung darin
findest, die ich nicht hineinlegen wollte und die mir persönlich fremd ist. Ebenso
verhält essich mit dem Eins. Weg. Ichsteheso
wenig auf Seite des Oboëspielers, als ich auf Seiten des Professor Wegrath gestanden
habe – freilich auch nicht auf der des Julian und des Puppenspielers. Aber warum?
Weilsie eben nicht ganze Kerlesind, keine Leute die – nach
der dir bekannten Anekdote von der alten Streitmann – »brav genugBerliner Tageblatt, Jg. 54, Nr. 227, 14. 5. 1925, Abend-Blatt, S. 2: »Arthur Schnitzler unterhält sich mit
einem Freund über Leutnants Bilses
Schlüsselroman ›Aus einer kleinen
Garnison‹, und es entsteht die Frage, inwieweit ein Autor ein Recht habe,
wirkliche Vorkommnisse und Namen in ein Werk aufzunehmen, ›Die Frage‹, sagt Schnitzler, ›erinnert mich an eine
reizende Episode ans dem Leben des Tenors Streitmann; der war nämlich schon ein berühmter Operettenheld, ohne
daß ihn seine auf dem Land lebende Mutter je auf den Brettern gesehen hatte.
Eines Tages fährt sie nach Wien, begibt sich
– auf dem Zettel steht die ›Fledermaus‹ –
ins Theater, wo ihr Sohn auftritt. ›Nun?‹ fragt am Ende der Vorstellung Streitmannseine Mutter, ›wie habe ich dir gefallen?‹ – ›Sehr gut,
sehr brav, mein Kind – aber‹, und sie wird bedrückt, ›warum hast du nicht das
schöne Lied gesungen: ›Ach,
ich hab’ sie ja nur auf die Schulter geküßt?‹ – ›Aber Mama,‹ sagte der
Tenor, ›das kommt ja gar nicht in dieser Operette vor.‹ – ›Schön, kommt nicht
vor aber warum hast du’s nicht doch gesungen?‹ –
›Aber Mama, verstehst du nicht – ich hätt’ es ja gar nicht singen dürfen.‹
Darauf ein langer, mißtrauischer Blick der Mutter: ›Wenn man brav ist, mein Kind, darf man
alles.‹ ›Das ist‹, fügt Schnitzler hinzu,
›auch meine Meinung über den Schlüsselroman.‹
««sind – um alles
zu dürfen. Wäre der Puppenspieler
wirklich ein »Großer«,so bräuchte ersich nicht in Lügen einzuspinnen, um der
größere zu bleiben – wäre Julian wirklich ein Großer –so würde das besteseines Wesens nicht mit
seiner Jugend auslöschen. Gegen die Herzöge und gegen die Sala’s hab ich nichts – und vor den »Großen Räubern«salutir ich, gleich dir, in
Ehrfurcht. Du hast ganz recht: »Entsagung ist nicht immer Reife.« – – nursetze ich
hinzu: nicht bei allen. Wenn Individuen wie Wegrath in irgend einem Moment ihrer Existenz die Grenzen ihrer Begabung erkennen, –
so ist diese Entsagung, wie jede Erketnis innere Reife, oder wenigstens ein
Symptom innerer Reife. Ebenso ist für den Oboëspieler wirklich der »Innere Friede und
dieschuldbefreite Brust« das einzig erreichbare Glück. Und dass ein Mensch wie der
»Puppenspieler« nicht, wie
es eben den Beschränkungenseines Wesens angemessen wäre, zu
entsagen im Stande ist,sich vielmehr dieser Entsagung
und daher den andern usich ein falsches Eigenschicksal
vorspielt – ist ein Zeichen, dass er innere Reife nicht erlangte, welche eben nur in
Selbsterkenntnis bestehen kann. Daher Es ist also nur natürlich,
dass bei manchen Menschen, insbesondre bei klugen, von mäßigem Talente undstillem
Temperamente das was ihnen an innerer Reife überhaupt beschieden ist, in einer Art
von »Entsagung« den entsprechenden Ausdruck findet.
Wohl denen, die’s nicht nöthig haben, – wohl uns, die wir wie mirscheint zu diesen
gehören – und hoffentlich nicht allein wegen Mangels an Klugheit. Sospricht also
nichts dagegen, mein lieber Hermann, dass wir beide uns an die Arbeit machen, die du
in meine Hände legst:
»Das Werk von der letzten Nacht einer alten
Zeit« – Undschließlich können es auch andre Werkesein.
Zu »Mahler« haben wir noch
SitzeMahler dirigierte seine 3. Symphonie im Musikvereinssaal.bekommen,soseh ich dich hoffentlich auch heute Abend.
Jedenfalls aber sage oder schreibe mir pneumatisch, ob du vielleicht Lust hättest, am
Samstag bei uns zu nachtmahlen.
Herzlichst der deine
ArthurOlga grüßt dich herzlich undsagt dir, dass
sie dasvon dem was du anläßlich desP.
geschrieben hast, erschüttert war.