Wien, XVI. Ottakringerstr. 114.13. Juli 09.Sehr geehrter Herr Doktor!Ihr freundlicher Brief gab mir gerade jetzt einigen Trost. Mein Geschichtsprofessor nämlich, mit einem
ewigen Bronchialkatarrh behaftet und daher außerordentlichsekant, hat mir die Ehre
erwiesen, mir meine Dissertation zur gänzlichen Umarbeitung zurückzugeben. Hätte der gute Mann bei dieser Abweisung
imponierendes Sachverständnis dokumentiert,so wäre dawider wohl nichts einzuwenden
gewesen. Aber das war nicht allzusehr der Fall. Eine übergroße und malitiöse
Empfindlichkeit modernerem und zugreifenderem Ausdruck und Satzbau gegenüber
verführte ihnsogar dazu, mir fast auf jeder Seite Mängelstilistischer Natur
nachweisen zu wollen. Wozu erstens der Verfasser des langweiligsten Napoleonbuches nicht das Recht hatte,
zweitens – und das ist die komische Seite der Affaire – habe ich einem galizischenKollegen, der nicht gut
Deutsch kann,seine Arbeit durchgesehen und die gröbsten Verstöße darin korrigiert.
Bei dem hat der Hofrat
merkwürdigerweise wenig Stilwidrigkeiten zu registrieren gehabt. Warum? Weil ich dem
Polen den Tric angeraten hatte, dem Professor von vornherein
weiszumachen, er werdeseine Dissertation polnisch drucken lassen. Da begann des Professors Eigenliebe und Nationalgefühl zu funktionieren.
Eine ausseinem, einem Deutschen Seminar hervorgegangene Abhandlungsollte anderswo,
in einer slawischen Sprache erscheinen? Lieber veranlaßte er – was beabsichtigt war –
die Drucklegung des Manuskriptes in Deutscher Sprache, hatte an dem von ihm empfohlenen Werke (von dem er übrigens auch
nicht viel versteht) wenig zu bekritteln und prüfte den Polen nicht,sondern plauschte mit ihm beim
Rigorosum. Unglücklicherweise kann ich nicht magyarisch und daher nicht mit dem magyarischen Erscheinen meines ungarische Verhältnisse glossierenden Elaborates dienen.
Obgleich die Umarbeitung nur 3 Wochen in Ansspruch nahm, wurde ich, da es nur
3 Lehramtsprüfungstermine im Jahr gibt und ich einen durch die Nichtannahme meiner
Dissertation versäumen mußte, aus meiner Bahn geworfen, ich kann meinen
ursprünglichen Plan nicht ausführen, werde um ein halbes Jahrspäter mit dem
lächerlichen Namen- und Zahlenkram fertig werden, und außerdem – ich hatteschon
1908 keine Ferien – gibt es auch heuer keine Erholung für mich. Im
Oktober wird meine Abhandlung in ihrer neuen Form zensiert. Mich noch weiterhin von dem Professor wie einen
Schuldigen behandeln zu lassen, habe ich keine Lust. Es ist kaum ein Verbrechen, wenn
mansich einen bissigen Hofrat mit einem Stückchen Wurst vom Leibe hält, ebensowenig
halte ich es für korrupt, im Regen einen Schirm aufzuspannen. Aus dieser
Weltanschauung heraus muß ich es mit Freude begrüßen, wenn Sie,sehr geehrter Herr
Doktor, die Liebenswürdigkeit besäßen, Herrn Auernheimer gegenüber ein paar Worte über mich fallen zu lassen. Ich möchte
nämlich dann gern Ende Juli Herrn Auernheimer eine Notiz über die im Erscheinen begriffene Dissertation jenes galizischenKollegensowie meinen Baber einsenden. Kurze Kritiken über Belletristiker einschicken,
was mir Auernheimer gestattete, mag ich nicht;
ichsehne mich nicht danach, mich mit irgendwelchen Literaten durch Tauschhandel zu
verfreunden, in meiner gegenwärtigen Stimmung würde ich übrigensselbst den Herrgott
zu diskreditieren versuchen, und das eine wie das andere darf doch eigentlich nur
einer, der durch eigene Schöpfungen öffentlich einen gewissen Befähigungsnachweis
erbracht hat. Die Notiz über die von ihm empfohlene Dissertation würde den Historiker umgänglicher machen, der
Baber – den ichsonst in aller Eile
anderweitig unterzubringen das gefährliche und bei meinem Mangel an Beziehungen auch
aussichtslose Wagnis unternehmen müßte – würde ihm imponieren, den Geographieprofessor, der uns die Memoiren dieses Regenten namhaft machte,
freuen. Daher, umsozusagen als Respektsperson wenigstens Chikanen zu entgehen, wäre
es mir wirklichsehr angenehm, wenn Herr Auernheimer nicht (wie im Feber)sich ausschließlich darauf
beschränkte, in meinen Manuskripten hin und wieder einen Beistrich anzubringen, was
mich belustigte, oder ab und zu ein »Sehrschön« hinzuschreiben, was mich ärgerte.
Heute noch würde es mich freuen und mir in vieler Beziehung helfen, wenn die Presse odersonst ein Blatt mich lancierte, in ein
bis zwei Jahren, wenn ich einen Posten habe, wird es mirsehr gleichgültigsein, ob
mein Name in einer Zeitungsteht, oder ob ich ihn mit dem Spazierstock auf einen in
der Sonne zerrinnenden Schneehaufenschreibe. Die Ehre istschließlichschon jetzt nicht
garso überwältigend. Undspäter, wenn ich einmal bekanntsein werde – ich binschrecklich rachsüchtig – würden die Zeitungen zunächst doch nichts anderes von mir
bekommen als die von ihnenselbst abgelehnten Sachen. Den Luxus, derartige Prinzipien
zu besitzen zu glauben, kann ich mir ja jetzt noch
getrost gestatten.
Indem ich zwar auf eine gnädige Erfüllung meiner unbescheidenen Wünsche hoffe, nichtsdestoweniger auch auf einestrenge
Kritik meiner novellistischen Tastversuche und moralischen Grundsätze gefaßt mache,
verbleibe ich hochachtungsvoll
Ihr ergebenster
Albert Ehrenstein.