Wien, den 5. Nov. 1917Hochverehrter Herr Doktor!Ich bin, von der Amtsarbeit lange aufgehalten, endlich mit den Änderungen am »Juda« (dem man vielleicht auch den Titel: »Der
Herr naht!« geben könnte) und mit den Strichen mit mir in’s Reine gekommen. Die
Klarstellung der Person des Juda gleich in der ersten Szene (die doch wohl die erste
bleiben muß) hatsich ohne besondere Schwierigkeit bewerkstelligen lassen und hat
eine ziemliche Kürzung des Eingangsdialogs zur Folge, zwingt aber leider auch zur
Ausscheidung mancher charakteristischen Züge. Mir will es auchscheinen, daß als ob durch diese frühzeitige Enthüllung das über
die Gestalt gebreitete mysteriöse Dunkel etwas lichtfleckig würde und daß dadurch manche Stellen folgender Szenen (besonders
der Versammlungsszene im verfallenen Hause und der Schlußszene) an Wirkung ein wenig einbüßten. Vielleicht
irre ich. Jedenfalls teile ich Ihre Ansicht, daß diesofort vorgenommene Feststellung
der Identität des Juda mit dem Judas, dasie das Verständnis des Publikums fördert,
der Bühnenwirksamkeit des ganzen Stückes von Nutzen ist. Ob die Änderung bei einerspäteren Buchausgabe beizubehalten wäre, ist eine weitere Frage, deren Beantwortung
leider in absehbarer Zeit nicht dringlich werden dürfte.
Die zweite Szene (in Ostia) und diesechste (die
Versammlungsszene) habe ich tüchtig zusammengestrichen, indem ich alles das, wassich
auf die Differenzen zwischen den Judenchristen und dem paulinischen Christentum
bezieht, alle Streiterei um Revier und Beschneidung und dergl., einfach eliminierte.
Dadurch würde einem Leser gewiß große Unklarheit geschaffen, aber das Theaterpublikum
dürfte darüber hinwegsehen; in jedem Falle wird auf diese Weise sindnicht nur vieles, was langweilt, aus dem Wege geschafft und eine größere
Konzentration des Interesses erzielt,sondern auch – was nicht zu verachten ist – derschwerste
Zensuranstoß beseitigt. Damit ist zugleich die Möglichkeitstarker Kürzung der Simon-Hermon-Szene (Gasthaus) gegeben. Nur zu einer
Verstümmelung der Hermon-Chloe-Szene, die mirsehr an’s
Herz gewachsen ist, habe ich den Mut nicht gefunden. Diese Schächterarbeit möchte
ich, fallssie unumgänglich nötig ist, dem Dramaturgen überlassen, der ja doch böse
wäre, wenn ihm nichts zu tun übrig bliebe.
Was die von Ihnen berührten Modernismen und Fremdworte betrifft,so lassensich
manche gewiß ohne Weiteres vermeiden, und ich habe keinen Augenblick gezögert, das
Wort »insipid« durch »abgeschmackt« zu ersetzen. Andere aber müssen, meine ich, dochstehen bleiben; ich wüßte z. Beisp. nicht recht, wie ich den Satz des Alityr, mit dem
die vorletzte Szeneschließt: »Ich bin heut indisponiert« umändernsollte; er ist
halt ein Schauspieler und da muß »indisponiertsein« als terminus technicus hingenommen werden; auch »multiplizieren« läßtsichschwer verdeutschen. Daß ich oft absichtlich moderne Redewendungen brauche, haben Sie
ja, hochverehrter Herr Doktor, bemerkt,
und ich möchte nur beifügen, daß ich es just bei einem in der römischen Kaiserzeitspielenden Stücke für direkt ratsam halte,
damit nicht zu kargen; essoll dadurch vermieden werden, daß die Römer der alten Römer-Stücke, Livius-gezeugte Puppen von
hartem Holz und Korn, in traditioneller deutscher Unlebendigkeit dastehen; essoll
gewissermaßen immer wieder betont werden, daß diese Leute modern waren, wie wir
modernsind. Überdies ist der Fremdwörtergebrauch gar kein Anachronismus, da damals
das »gebildete« Lateinisch mit griechischen
Fachausdrücken und Modewörtern und das Griechisch der Orientalen mit orientalischen Wendungen und Floskeln
durchsetzt war. Und daßschließlich meine alten Römer und Juden gute Wienersind, damit
halt ich gar nicht hinter dem Berge.
Sollten Sie, hochverehrter Herr Doktor, wirklich, ohnesich ein Opfer aufzuerlegen,
Zeit finden, mit mir die Einzelheiten durchzusprechen,so wäre ich Ihnen
außerordentlich dankbar.
Mit den ergebensten Grüßen
Ihr
Robert Adam