Versuche ichEin Typoskript mit Textabweichungen (6 Bl., 6 S., mit
handschriftlichen Korrekturen Schnitzlers mit Bleistift) findet sich im Nachlass in der Cambridge University Library (A 17,4) und ist abgedruckt in: Briefe 1913–1931, S. 271–273., mein
lieber und verehrter Gerhart Hauptmann, während ich mich in Gedanken mit Ihrem
bevorstehenden Geburtstage beschäftige, mir die einzelnen Momente unserer
Bekanntschaft oder, wenn ich mich kühner ausdrückensoll, die Geschichte unserer
Beziehungen zu vergegenwärtigen,so wundere ich michselbst, wiespärlich an Zahl und
wie kurz gemessen die persönlichen Begegnungensind, die ich in meinem Gedächtnis
verzeichnet finde. Ich denke des Abends bei Brahm.
im Jahre 1896, an dem ich Sie kennenlernte –, eines Spazierganges.
in der Semmeringer Landschaft im
Winter 1899, der grauverhängten, doch warmdurchleuchteten Spätoktobertage 1902.
in Ihrem Agnetendorf, des traurigen
Novembertages 1912.
, an dem wir unserem dahingeschiedenen wunderbaren Freunde in einer dämmerigen Halle
Abschiedsworte in den Sarg nachriefen –, und endlich einer letzten, vorläufig letzten
harmlosen, doch nicht unbeschwingten Unterhaltung in Wien. Wenn ichso, mit anderen mehr oder minder flüchtigen Begegnungen alle
Stunden zusammenrechne, in denen wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenübersaßen,so kommt gewiß keine ganze Woche heraus. Wie erkläre ich’s mir nur, daß mir heute
trotzdem zumute ist, als richtete ich diese Worte nicht nur an den weltberühmten
Dichter,sondern als dürfte ich zugleich zu einem Freundesprechen, zu einem lieben
alten Freunde, der mir das von Jahr zu Jahr in höherem Maße wurde – ohnesein oder
mein Dazutun, einfach durch die Tatsacheseines Daseins und Wirkens? Da ich mich von
aufdringlichen Neigungen ziemlich frei weiß,so ist dieses Gefühl zum Teil gewiß
darin begründet, daß Künstler Ihrer hohen und reinen Art, je entschiedenersie der
Welt gehören, eine immer wärmere Atmosphäre der Menschlichkeit und Beglückung umsich
verbreiten, an der jeder Empfängliche, jeder Dankbare teilnehmen darf. Da aber nicht
alle diese Dankbar-Empfänglichenschon darum allein das Recht fürsich in Anspruch
nehmen dürften, einen Mann wie Sie mit demstolzen Worte Freund zu grüßen,so wage
ich es, meine wirkliche oder eingebildete Berechtigung dazu aus der Empfindung
herzuleiten, daß mir aus Ihrem Wesen, abgesehen von jenem allgemein-zugänglichen
Glanze, etwas entgegenstrahlt, das in irgendeiner Weise mir ganz persönlich gilt –
vielleicht als einem, der ungefähr gleichaltrig mit Ihnen, dem gleichen Berufe
hingegeben, nunseitso langer Zeit in bescheidener Nachbarschaftseine Straße zieht
und dessen innige Bewunderung für Sie und Ihr Werk im Laufe dieser Jahre nicht nur
ihmselbst,sondern auch Ihnen immerstärker bewußt wurde. Wenn der geheimnisvolle
Satz von den Parallelen, diesich erst in der Unendlichkeit begegnen, auch für
Menschenwege zutrifft, die in der gleichen Ebene laufen,so mag er für Dichterwege
ganz besonders gelten, – und je mehr wir abendwärts wandeln, jener Unendlichkeit zu,
die uns einmal alle umfangen wird, umso mehrscheinen für unsersterbliches Augesich diese Wege einander zu nähern und umso vertrauter klingen Rufe aller Art
zwischen den Wanderern hin und her. Wenn Sie heute, Gerhart Hauptmann, aus den meinen
herausgehört haben, was Sie und Ihre Kunft mir bedeuten,so will ich zufriedensein
und Ihnen nicht erst ausdrücklich und ausführlichsagen, welche Wünsche ich Ihnen,
mir und uns allen aus erfüllter Seele darbringe.