Wien, 7. Juli 1925mein lieber und verehrter Freund, Sie haben mich während Ihres
diesmaligen Aufenthalts in Wien »nicht heiter«
gefunden, – und so muß ich fast befürchten, daß Sie nicht ganz bemerkt haben, wie
glücklich mich Ihre Anwesenheit gemacht hat und wie froh ich war, daß Sie mir Ihre
Sympathie – eines der Geschenke, für die ich dem Schicksal besonders dankbar bin –
all die Jahre hindurch, die wir einander schon kennen, ungehindert erhalten haben.
Darf ich Ihnen heute in diesen Zeilen zum Ausdruck bringen, was von Angesicht zu
Angesicht auszusprechen, was in meinem Betragen zu verdeutlichen ich, mehr meinem
ganzen Wesen nach, als aus vorübergehenden Stiungen
heraus, nicht so recht im Stande war und bin? Es ist richtig, (und es bewegt mich
sehr, dass Sie es empfunden haben, we es mir auch ein
bischen leid thut), dass ich zuweilen ein wenig
melancholisch bin, oder doch bedrückt. Hauptanlaß wohl mein Ohrenleiden, an dem nicht
nur die langsam aber sicher zunehmende Schwerhörigkeit, sondern, mehr noch, die
ununterbrochenen subjectiven Geräusche, ein Klingen, ein Sausen, und ein nicht stetes Vogelzwitschern (das sich bis zu einem mäßigen Papageiengekreisch
verstärken kann) recht quälend sind. Und, sonderbar genug, es gibt doch Stunden, ja
Tage, an denen mir diese Geräusche, – so continuirlich sie ier (seit bald dreißig Jahren!) kaum zu Bewußtsein koen. Im ganzen verläuft ja die Sache etwas langsamer,
als ich zu Beginn der Erkrankung gefürchtet habe – man gewöhnts auch allmälig (öffnende Klammer am Zeilenende gestrichen und in der neuen Zeile erneut
ausgeführtzu mindesten manchmal) aber es ist doch schli, dass mir insbesondere der Theaterbesuch schon
ziemlich vergällt ist und auch bei musikalischen Genüssen viel, sehr viel entgeht.
Und schli, daß es
eine eigentliche »Stille« für mich längst nicht mehr gibt. Glücklicherweise werd ich
im Schlafen nicht gestört, – wenn auch diese Geräusche auf mancherlei, oft ganz
phantastische Art sich in meine Träume drängen.
Auch meine persönliche Existenz ist ja nicht ganz einfach, wie Sie wissen; aber es
würde zu weit führen, da in Einzelheiten einzugehen; – an Conflicten seelischer Art
mangelt es ja in diesen Grenzjahren (es ist vielleicht kühn, mit 63 noch von
Grenzjahren zu reden, aber gerade Sie werden mich verstehen) nie.
Dabei fühl ich doch, dass ich im Grunde nicht klagen dürfte (ich thu’s auch
selten), – besonders darum weil meine beiden Kinder sehr wohl gerathen sind
(auch steh ich jetzt mit meiner früheren Gattin, die in Baden-Baden lebt, in sehr freundschaftlichen, natürlich nicht immer ungetrübten Beziehungen), und ferner weil ich mich in
meiner Schaffenslust eher noch wachsen als abnehmen fühle. Auch an äußeren Erfolgen
fehlt es nicht; und nach einer Periode, die sich ein wenig bedenklich anließ, glaub
ich auch materiell – ach nicht durch das Vorhandensein eines Vermögens – wer besitzt
de jetzt etwas!, – aber durch das Ansteigen meiner
Einnahmen, – mit Ruhe in die Zukunft blicken zu dürfen. Und blasirt bin ich ja nicht
– mir macht eigentlich alles mehr Freude als es mir in meiner Jugend gemacht hat, –
jede Blume, jeder Spaziergang, jedes schöne Buch und Herzlichkeit mancher Art, die
mir entgegengebracht wird. »So wollen wirs de noch eine
Weile weiter treiben« wie ein sehr Großer gesagt haben köte und wahrscheinlich irgendwo gesagt hat – und Sie sollen wissen, liebster Freund,
dass ich, we auch gelegentlich ein wenig verdüstert,
mich gar nicht übel befinde; – und hoffentlich
mach ich auch Ihnen einen vergnügtem Eindruck, we wir
uns wiedersehen.
Wie gut begreife ich, dass Sie nicht nach »Leningrad« gehen wollen – auch ich, (selbst we
ich dort nicht reden müßte,) hätte nicht die geringste Lust dazu. Kennen Sie das (kleine)Buch von Bucharin über den Bolschewismus? Wenn die
deutsche Übersetzung nicht etwaunsicher zu lesen; wohl zur Verdeutlichung
gestrichen und über der Zeile wiederholt zu dem Zwecke gefälscht ist, um
die Idee – (die Idee!!) des Bolschewismus zu compromittieren, da hat es Bucharin
selbst in unübertrefflicher Weise gethan. –
Ihren Brief hab ich in Bozen erhalten, (Bolzano) von wo ich erst vor ein paar Tagen nach
Wien zurückgekehrt bin. Ich bleibe nur den
Juli über hier, und fahre im August wahrscheinlich
wieder in die Dolomiten. Für den Herbst steht
mir allerlei bevor: in BerlinDie geplante Inszenierung von Victor Barnowsky wurde nicht realisiert
(vgl. Briefe 1913–1931, S. 468). die
Aufführung der Komödie der Verführung, – in
Wien ReprisenDas weite Land wurde ab
4. 9. 1925 am Deutschen
Volkstheater gegeben, wo auch Der einsame
Weg am 14. 11. 1925 im Zuge eines Gastspiels von Albert Bassermann aufgeführt wurde.
von »Das weite Land« und »der einsame Weg«, vielleicht auch ein neues Stück (in Versen). Ein paar Novellen sind auch fertig. In
ParisNicht realisiert, das Stück wurde erst
1931 gegeben. wird vielleicht »das weite Land« gespielt werden; und nach Amerika bin ich zur Premiere des »einsamen Wegs« im Guild TheaterDas Stück wurde erst 1931 auf den Spielplan
genommen. u. des »Ruf des Lebens« am
Astor TheaterProduziert vom Astor Theater, wurde The Call of
Life im Comedy Theatre am
9. 10. 1925 zum ersten Mal und in Folge neunzehnmal gegeben. Die
Bearbeitung stammte von Dorothy
Donnelli. eingeladen (Ich werde aber kaum hinreisen.) –
– Ich lese immer noch, aufs stärkste angeregt, Ihren wunderbaren Julius Caesar. Und erwarte Ihr »Hellas«. –
Bleiben Sie mir weiter, und lange noch der Freund, der Sie mir immer waren; es ist
schön zu wissen, daß Sie auf der Welt sind! Ich grüße Sie von Herzen!
Ihr
Arthur Schnitzler