Frankfurter ZeitungParis, 29. Juli.(Gazette de
Francfort).FondateurM. L. Sonnemann.Journal politique, financier,commercial et littéraire.Paraissant trois fois par jour.Bureaux à Paris:24. Rue Feydeau.Mein lieber Freund,Du hast einsehrschönes Siegel.
Zweitens bitte ich Dich um einen Dienst:seiso gut und bring mir umgehend die
Adresse von Hildegard Mitis in Erfahrung. Die Familie wohnt, wie ich glaube, IX. Alserstrasse 42. Der Vater, der Landesgerichts-Mitglied ist,steht übrigenssicher
im Adreßbuch. Bitte,schick’ Jemanden hin undsage: man wolle die Adresse der jungen Dame wissen, umsie zur Mitarbeiterschaft an einem Blatte aufzufordern, oderso etwas! Die Hauptsache ist, daß Du mir bald einen
Bescheid gibst. Ja?
Mit Deinem Bruder und Deiner
Schwägerin habe ichschöne Stunden verlebt. Es ist aberschwer, diese Eindrücke zu analysiren. Es war
kein Entzücken,sondern ein langsam entstehendes Behagen, ein Sich-Zuhause-Fühlen bei liebenlieben Menschen. Es ist etwas wie das Gefühl der Treue, das mich mit ihnen
verbunden hat – obwohl doch dazu eigentlich eine lange Zeitdauer oder eine Entfernung
gehört. Aber ich weiß wirklich nicht, wie ichs nennensoll. Etwas von
Heimaths-Empfindung, wie gesagt, war auch dabei.
Denn die zwei bringen eine Atmosphäre von Einfachheit, Sanftheit, Güte, Gefühlstiefe,
Liebenswürdigkeit und Natürlichkeit – das vollendet Wienerische mit einem Worte – mit, in der ich Vaterlandsloser allein, man ein Stück Heimat habe. Bei Deinem Bruder ahne ich das Alles mehr. Du weißt, er verschließtsich – er hilft Einem nicht dazu, ihn zu verstehen – und man mußsichselbst auf die
Suche machen, um, den verschiedenen Zügen folgend, die hier und daseine äußere Maske
von Schweigsamkeit und IroneIronie durchdringen,sich das Bildseiner, wie
ich glaube, bedeutenden Individualität zusammenzufinden. Auch habe ich ihn besser
verstanden, als er mich. Er geht nichtsehr auf mich ein – ich bin ihm zu fremd und
zu verschieden – auch ist ja Menschensuchen nichtsein Metier, wie es das meine ist. Er war mit mir verbunden durch allerlei
Äußeres – »netter Freund von Arthur« – A AmseeAlmsee.
– Pariser Beisammensein. Ich habe ihn
aber voll zu genießen gesucht und habe ihnsehr gern. Deine Schwägerin hingegen ist eine Seele, in die
man klar hineinsieht, wie in den lichten Tag. So mild undso gut! So wirklich! So verblüffend gescheit!
Und im Grunde von diesem lieben kleinen Ding vermuthe ich eine großeseelische Stärke, wie übrigens
bei Deinemstillen Bruder
auch. Die Beiden
passen zusammen, als hätte mansie auf Bestellung füreinander angefertigt. Nur
zwischen zweisolchen Leuten ist eine anständige Ehe möglich (obwohl es gewiß nicht
immer friedlich bei ihnen zugehen wird, dennsiesind beide, wie gesagt,stolz undstark.) Mir war es eine große, tiefgehende Freude,
und der Abschied hat mir wehgethan (was mirschon lange nicht vorgekommen).
Was das Äußere anlangt,so muß ich ein Zeugnißseltenen Wohlverhaltens ausstellen.
Ich habe Deinen Bruder nicht
ein einziges Mal den Vornamenseiner Frau aussprechen gehört. Allerdings war er immersehr müde.
Dann gäbe es noch den Tag in Versailles, den die Herrschaften, wenn ich nicht irre, damit verbracht haben,sich Brotkrumen in
den Mund zu werfen,statt in die Trianons zu gehen. Auch hat dein Brudereine nicht immer ganz berechtigte Vorliebe für die
Dampftramway. Im Übrigen aber muß ich von einer äußeren Correctheit bekunden, die mich umsomehr überrascht hat, als ichsie nie vorher
bei einem jungen Ehepaar gefunden
Ich danke Dir herzlichst für Deinen lieben Brief. Die Übersetzung finde ich, unter
uns gesagt, nicht gutAuch Schnitzler kommentierte am in seinem Tagebuch: »Schlecht übersetzt.
«. Es fehlt die
Farbe. Daran ist wohl zunächst die Spracheschuld, dieselbstso chauvinistisch ist,
daßsiesich entschieden weigert, etwas auszudrücken, das nichtsranzösisch ist. Dann
aber auch ein wenig der Übersetzer, obwohl ersich
ehrlich gemüht hat
Am 15. oder 20. August
würde ich irgendwohin gehen, nach der Schweiz
oder nach Tirol, wenn ich irgend ein Ziel
hätte. Wäre es nicht möglich, Dichschon um diese Zeit irgendwo zu treffenSchnitzler und Goldmann trafen sich erst am in Bad Ischl.?
Was das Zusammentreffen mit den Andern anlangt,so grüble ich darüber nach und kann
zu keinem Schlusse kommen. Laß’ Dir ein Wort von meinem Gemüthszuftande erzählen: Ich
habe Wien verlassen, und das Leben dort ist ohne
mich weitergegangen. Es konnte nicht gut e etwas Anderes thun, mir aber bereitet das
Schmerz, trotz dieser Einsicht. Über den Platze, auf dem ich gestanden, ist Gras
gesprossen – ein wenig auch in Euer Mitte (täuschen wir uns nicht!) Erst wieder durch
das Beisammensein mit Deinem Bruder bekam ich ein Echo von einem »Wien
ohne mich«, – und da ich altes dummes Thier mir das, aller Vernunft zum Trotze,
anders vorgestellt,so thut gab mir das blutende Stiche ins Herz. Man kann sichselbst eben nicht von einem Orte abwesend
vorstellen, und die Phantasiespinnt weiter von dem Augenblick an, als man noch da
war. Hermann Bahr brachte mir den ersten fakalten Wind von draußen, Dein Bruder (ohne es zu wissen und zu wollen) war der Zweite.
Darum fürchte ich zunächst ein Beisammensein mit Euch Allen. Ich habe Angst, ich würde nur den Eindruck davon
forttragen, daß ich nicht mehr da bin. Ich fürchte,
ich werde mich fremd aus Eurem Kreise zurückspiegeln – nicht ganz fremd, gewiß, aber doch im tiefsten Innern – und ich möchte nicht
gern dieses mein Gespenstsehen. Bleibe ich fort,sosagt
mir immer noch die Illusion, daß dies Alles nicht wahr ist, und ich kann mich langsam
et entwöhnen. Dieses Persönliche verschmilzt mit dem Materiellen: Essprießt da
allerlei Zukunftsvolles bei Euch in Wien auf. Ich
aber bin nicht dabei, bin in einer andern fernen Bahn, und Niemand mehr denkt an
mich, ich gehöre nirgends mehr hin, zu keiner Gruppe, zu den Jungen nicht und nicht
zu den Alten. Ichsteheso in der zweiten Reihe undsehe keine Aussicht, in die erste zu kommen. Ich könnte vielleicht mehr, als
politische Correspondenzenschreiben und hier und da ein Feuilleton – aber ich bringe
nichts zuftande. Die Erfolge, die ich erziele,stehen inschreiendem Mißverhältniß zu
dem effortfranzösisch: Anstrengung, den
ich aufwende. Du weißt, wie mich der Ehrgeiz verzehrt. Uns Undso fürchte ich bei diesem Zusammentreffen auch in dieser Hinsicht
allerlei Schmerzliches – unabsichtliche Nuancen natürlich,
die deren leise Berührung eben nur einer Seele
wehthun kön kann, wie der meinigen, der alle Haut
abgeschunden ist, weilsiesich fortwährend an den harten äußern Dingen reibt
Dies, mein lieber Freund,sollst Du lesen, ohne Zorn und ohne Spott –sollst darauf
eingehen mit Deinem feinen Verständniß – undsollst mir dann in Kürze hnsagen, ob ich es räthlich für mich ist zu kommen
oder nicht. Dassoll dann die Entscheidungsein
Von ganzem Herzen freut es mich, aus Deinen Zeilen eine gewisse Befriedigung
herauszulesen, über das, was Du jetztschreibstSchnitzler arbeitete an Liebelei.. Wenn wir uns treffen,so liest Du es mir
natürlich vor. Einstweilen aber beglückwünsche
ich Dich, daß Du die Arbeitsoweit gefördert. Ich habeso eine unbestimmte Ahnung, daßsie gelungensein muß.
Denn ichsehe aus Allerlei, daß Deine Kunst jene Reife und Ruhe gewinnt, welche das Meisterwerkschaffen
helfen
Sei von Herzen und in Treue begrüßt, mein lieber Arthur!
Dein
Paul GoldmannTeufel, ist das ein langer Brief!