Frankfurter ZeitungParis, 28. November.(Gazette de
Francfort).FondateurM. L. Sonnemann.Journal politique, financier,commercial et littéraire.Paraissant trois fois par jour.Bureaux à Paris:24. Rue Feydeau.Mein lieber Freund,Ich danke Dir von Herzen für die Übersendung von »Sterben«. Als ich den Schluß las, hatte ich das Gefühl, daßsich der durch die verfluchten
Fortsetzungen unterbrochene Strom wieder herstellte. Der große Schauer kam –
Ergriffenheit und Entzücken. Das Sterben ist meisterhaft geschildert. Michstört nur
das Erwürgen., – dieses plötzliche Verfallen in die kriminalistische Brutalität, nachdem
es vorher Alles
Alles eitel Freiheit, Seele, Stimmung gewesen. Ich glaube, das hätte zweiselhaft bleiben müssen. Vielleichtstelltesich das die überhitzte Phantasie des Mädchens nurso vor?
Vielleicht wollte ersie umarmen? Wiestört das noch rückwärts etwas das Bild des
Unglücklichen. Ersoll Einersein, der leidet, bis
zum Schluß. Das Handeln istso unheimlich,so gegenseine Natur. Der erwürgt nicht,
glaub’ mirs. Er weint nur, weilsie nicht mit ihmsterben will, das Sterbenselbst
wird ihm dadurch zur noch größeren Qual, er wird noch mehr leidend zum Schluß. So denke ichs mir. Und das Alles könnte erreicht werden, wenn nur ein einziger kleiner Satz am Schlusse
gestrichen würde, wo das Mädel es klarsagt: »Er hattesie erwürgen wollen.Schnitzler änderte den Satz in späteren Auflagen nicht.«
Vielleicht habe ich übrigens Unrecht. Denn ich habe das Buch mit überscharfer Kritik gelesen, weil ich
mir Dirselbst gegenüber ein unparteiisches zu fällen mich verpflichtet fühlte undstets auf der Lauer war, um nicht von meiner Freundschaft überrumpelt zu werden.
Sonst ist es wohl gelungen, das Buch –schön und reich. In der Literatur weist es Dir, meiner Ansicht nach, einen Platz neben d’Annunzio an.; nur ist Deine Art etwas blasser, weniger raffinirt,sanfter, als dieseine.
Laß’ Dich von Herzen beglückwünschen.
Ich habesofort Schritte gethan, um Dir eine Besprechung in der Pariser Presse, und zwar in der großen, zu verschaffen. Ich bin
zum »Journal des Débats« gegangen und habe Sturm geläutet über die Wiener Literatur. Pierre Lalo, ein charmanter und feinsinniger College, hat mir BesprechungenPierre Lalo schrieb selbst: P. L.: Au jour le jour. M. Arthur Schnitzler. In: Journal des débats, Jg. 107,
21. 3. 1895, S. 1. versprochen.
Ob ers halten wird, weiß ich nicht. Jedenfallsschicke ihm ein Buch undschreibe hinein: À Monsieur Pierre Lalo, hommage de l’auteurfranzösisch: Widmung des
Verfassers, mit Deiner Unterschrift. Ebensosoll Richard ihmsein Buchschicken.
Er wohnt 19. Boulevard de Courcelles, Paris. Unter keinen Umständen aber bitte ich Bahr die Adresse zu geben.
Ich will nicht, daß ersich durch meine Vermittelung in der Pariser Presse lancirt. Sei mir nicht böse: »Ich weiß es wohl, es ist ein
VorurtheilMephistopheles im Urfaust: »Ich weis es wohl, es ist ein Vorurtheil /
Allein genung mir ists einmal zuwieder
«. etc.«.
Bei der »Frankfurter
Zeitung« habe ich gestern Schritte gethan. Ich
hoffe, diesmal wird Alles glatt gehen. Hast Du die liebenswürdige Erwähnung Deines Namens durch Uhl inseinem Briefe über
das Stück von LublinerAm hatte die Uraufführung von Das neue Stück von Hugo Lubliner am Deutschen
Volkstheater stattgefunden. Uhl
schrieb: »Am lautesten lachten die dienstfreien Schauspieler des Volkstheaters im Zuschauerraum, besonders
die stets Aufschauen erregende Schwärmerin Frl. Sandrock in einer Loge des ersten Ranges und der geistreiche Lustspieldichter Dr.
Schnitzler, der über das Kapitel ›Dichter im Wiener
Volkstheater‹ eine Leidensgeschichte erzählen könnte. Aber Frl. Sandrock konnte auch dieses Stück nicht
retten.
« [Friedrich Uhl]:
Wiener Brief. In: Frankfurter Zeitung, Jg. 39, Nr. 322,
20. 11. 1894, Abendblatt, S. 1. gelesen?
Ich wünschte nur, daß ich Dir auch in den Schritten für Dein Stück behilflichsein könnte., um Dir ein wenig von dem Passionswege zu ersparen. Ich habe mir den Kopf
zerbrochen, wie ich eingreifen könnte, finde aber nichts. Oder glaubst Du vielleicht,
daß Uhl etwas in der Sache thun könnte? Dannschreib’ mir darüber, und ich wills
unternehmen. Jedenfalls wiederhole ich Dir von Neuem: laß’ Dich nicht niederdrücken
und entmuthigen. Die Schwierigkeiten waren vorauszusehen. Wenn man ein Stück nur zuschreiben und einzureichen brauchte, um es aufgeführt zusehen,so wäre es ein
Vergnügen, Theaterdichter zusein. Außerdem bringst Du Neues, das heißt etwas
Anti-Dummes, folglich hast Du die Dummheit gegen Dich. Das ist doch ganz natürlich.
Aber man findetschon Mittel, um mit der Dummheit
fertig zu werden. Nur Zeit, Geduld und Geschick gehört dazu. Mit diesen drei
Kampfmitteln we mußt Du Dich unter allen Umständen ausrüsten. Ich bin überzeugt, Du wirst am Ende durchdringen, und zwar gerade beim Burgtheater. Laß’ Dich also nicht verstimmen.
Denk’ auch an denschönen Haß und Hohn, den diese Erfahrungen in Dir aufhäufen und
der befruchtend wirken wird für schspätere Werke.
Und, bitte, mach’ mir nach wie vor von jedem weiteren Vorkomniß Mittheilung. SpeidelSpeidel war ein enger Berater des Burgtheater-Direktors Burckhard. , . ? Vielleicht. Wenn Gott will,schießt ein Besenjüdisches Sprichwort. Und die Erfahrung lehrt, daß
hier und da ein Besenschon geschossen hat. Man ve
verleumdet den lieben Gott, wenn manso ganzseine Existenz leugnet. Ein wenig
existirt er doch, auch für junge Poeten.
Dringend bitte ich Dich, mich bei Frl. Sandrock zu entschuldigen. Ichschreibe ihr,sobald ich einensreien Augenblick
habe.
Herr Sokalsoll gut aufgenommenBezug unklar werden, um dessentwillen, von dem er kommt, und, wenn er
will, auchseinetwegen.
Wie geht die »Zeit«? Und wassagst Du dazu?
Unter Discretion: Ich höre, daß Benedict Erkundigungen über mich einzieht. Natürlich werde ich nie an Herzls Stelle.
kommen,schon weil Herzl dagegen ist, und aus andern Gründen. Aber kennst Du zufällig Jemanden, der dem
hochmögenden Herrn, natürlich mit unendlicher
Vorsicht, in einem Gespräche gelegentlich mittheilen könnte, daß ich ein großer Mann bin? Um nicht Alles
unversucht zu lassen!
Die gütigen Worte, die Du über michschreibst, haben mich tief bewegt. Was ich an Dir habe, weiß ich längst; aber es thut wohl, es
wieder einmal zu fühlen. Wiesich mein Bild bei Andern malt,sehe ich täglich undstündlich, und diese Erfahrungensprechenschreienden, brüllenden Hohn zu Deinen
lieben Zeilen. Wenn ich dann Dein Buch lese und dann an meine Thätigkeit denke –
es ist beinahe komisch. Nein, ehrlich gesagt,
das ist es nicht: es ist traurig
Du erhälst anbei ein paar kuriose
ArtikelBeilage nicht erhalten
aller Art.
Wassoll ich mit den 30 Francs 30 ct. machen, die ich Dirschulde? Dusetzest mich einerstarken Versuchung aus. Ein Anderer hättesie längst
unterschlagen. Ichsehe mit Befriedigung, wie ehrlich ehrlich ich bin.
Grüße, bitte, Mutter, Bruder und Schwägerin.
In alter Treue
Dein
Paul Goldmann.