Frankfurter Zeitung.(Gazette de
Francfort).Paris, 19. Juni.Fondateur M. L. Sonnemann.Journal politique, financier,commercial et littéraire.Paraissant trois fois par jour.Bureau à Paris:24. Rue Feydeau.Mein lieber Freund,Gern hätte ich Dirschon vor einigen Tagen geschrieben, weil mich Dein letzter Briefso hoch erfreut hat und ich Dir den frischen Eindruck davon geben wollte. Esstandso
viel Schönes darin; er warso frei undso leicht. Heut
lagern wieder alle Nebel über meinem Gehirn. Mein Kopf ist wüst. Eindrücke und
Sprachesind unsicher. Und über demschönen Lichtbild, das ich von Deinem letzten
Briefe gehabt, liegtschon wieder allerlei
Schwarzes und Verfinsterndes.
Ichschreib’ Dir trotzdem heute, um meinen guten
Willen zu zeigen.
Reden wir zunächst einmal von dem Praktischen, von der ReiseVom bis zum
verbrachten Schnitzler und Goldmann einige Zeit gemeinsam in Bad Ischl und Bad
Aussee. Dem Tagebuch ist zu entnehmen,
dass sie auch viel Zeit mit Richard
Beer-Hofmann verbrachten.. Ich hab’ mir meinen Urlaub diesmal
überhaupt nur in der Form eines Beisammenseins mit Euch vorgestellt. Es wäre
traurig, wenn daraus nichts würde. Die äußerste Concession, die ich machen kann, ist
die: am 15. August wegzugehen bis zum 15. September. Aber
ich muß jedenfalls vor Ende September zurücksein, weil die
Kammern wegen der Präsidenten-WahlIn Frankreich wurde am
27. 6. 1894Jean Casimir-Perier zum neuen Präsidenten
gewählt. diesmal zeitiger zusammentreten. Nun könntest Du vielleicht in der
letzten August-Woche fort. Oder ich könnte mich vielleicht mit einem
der andern ZweiNeben Richard Beer-Hofmann dürfte Hugo von
Hofmannsthal gemeint sein, der jedoch nur gelegentlich seinen Urlaub mit
Goldmann und Schnitzler verbrachte. inzwischen treffen, und Du
kämest nach. Ich möchte freilich nicht gerne die oberitalienischen Seen, denn ich war dort erst
im vorigen Jahre. Hingegen kenne ich Florenz noch nicht und möchte gern irgend ein Itinerariumlateinisch: Reiseroute haben, das
dorthin abzielt. Ich bitte
Dich also: überleg’ Dirs undsprich’ mit den Freunden und mach’ mir dann nähere
Vorschläge. Vielleicht können wir doch etwas
zusammencombiniren. Es wäresoschön! Nur muß ich Dich um möglichst baldige Antwort
bitten. Zwei, drei Tage mit Dir zusein ist mir zu wenig. Man brauchtsoviel, um
wieder den alten Ton zu finden. Im Augenblick, wo mansich a dann gerade gefunden hat, geht man auseinander. Außerdem hast Du bekanntlich
in den zwei bis drei Tagen den Schnupfen. Nein, ich möchte etwas Ausgiebiges – etwas,
was am Anfang wie »für immer« aussieht – also zum Beispiel vierzehn Tage
Es thut mir leid, Dich mit meinen Andeutungen über Bahr.
nervös gemacht zu haben. Es läßtsichsoschwersagen. Im Übrigensind durch
Deine letzten lieben Briefe die Gespenster beinahe zerstreut. Es kam mirso vor, alssei er zwischen mich und Euch getreten, und ich habe ihn im
Verdacht, daß er diese quälende Vorstellung absichtlich genährt hat, durch ges allerlei geschickt Hingeworfenes. Weniges zwischen
mich und Dich – denn Deiner fühle ich mich dochsicher – als zwischen mich und die Andern, besonders Loris, mit dem ich keine Berührung mehr habe. Und das Letzterescheint mir übrigens
noch heutso.
Weißt Du übrigens – ganz unter uns Beiden gesagt – daß mir der letzte Artikel von LorisLoris: Über moderne englische Malerei. Rückblick auf die internationale
Ausstellung Wien 1894. In: Neue
Revue, Jg. 5, Bd. 1, Nr. 26, 13. 6. 1894,
S. 811–816. über die moderne englische Malerei in der »Neuen Revüe« gar nicht gefällt? Schonseit
einiger Zeit merke ich, wenn ich hier und da da etwas von ihm in die Hand bekomme, daßsich in mir etwas regt, das nicht
mitthun will. Ich weiß nur nicht recht, welcher Art
diese Regung ist. Diesmal ist es mir freilich et ein wenig klarer geworden. Ich finde, er mangelt der Disciplin. Er läßtseine Gedanken undseine Feder laufen, wohinsie
wollen. Erschreibt mir nicht einfach, nicht gerade, nichtsicher genug. Es ist mir
auch zuviel Farbenspiel inseinem Styl (d Styl (da
glaube ichsicher den ungünstigen Einfluß Bahrs zu erkennen.) Und dann, wie
gesagt, das zügellose Herumschweifen der Gedanken in allen Zeiten. Zum Beispiel:
»Elementare Offenbarungen des GeniusZitat aus dem erwähnten Aufsatz«sind nach ihm: Landschaften von Whistler, Menschenköpse von Rembrandt, Musik von MoMozart. Ich finde in dieser Combination irgendwo einesalsche Note, die mich
erschreckt. Das Alles wird mir wohl übrigens noch klarer werden.
Vielleicht thue ich ihm auchsehr Unrecht, weil ich nur kleine Nebenarbeiten von ihm
kenne und nichts Hauptsächliches
Frau Andreas hatsich mit Deinem Briefe.
ungemein gefreut. Wir zwei,sie und ich,stehen merkwürdig zusammen. Als wir
uns kennen lernten, thstanden wir unssehr nahe.
. Jetzt thunsich wahre AbgründeEs ist davon auszugehen,
dass Goldmann und Lou Andreas-Salomé1894 ein Verhältnis hatten. In Frieda von Bülows Novelle Zwei
Menschen, auch »Die Goldmanniade
« genannt, ist ein Brief der als Goldmann erscheinenden Figur Dr. Siegfried Rosenfeld zu finden, der im Ton mit dem hier
geschilderten Eindruck Goldmanns
grundlegend übereinstimmt und das Ende eines angedeuteten Verhältnisses mit dem
alter ego Andreas-Salomés in der Novelle markiert. Vgl. Frieda von Bülow: Zwei Menschen. In: Die schönsten Novellen der Frieda von Bülow über Lou Andreas-Salomé und andere Frauen. Herausgegeben von Sabina
Streiter. Frankfurt a. M., Berlin: Ullstein1990, S. 60–61. zwischen uns auf. Ich glaube,sie
hat michsehr überschätzt. Und für einen eitlen Menschen, wie ich, ist es furchtbarschmerzlich, wenn man zusieht, wie die zu hohe Meinung langsam der richtigen weicht
Über die Fortschritte Deiner ArbeitenSchnitzler arbeitete seit dem Brief vom , wie seinem Tagebuch zu entnehmen ist, an dem Schauspiel
Das Märchen. Außerdem arbeitete er unter
dem vorläufigen Titel »Armes
Mädel« an Liebelei. Mit
dem »siebzigjährigen Violin-Spieler
« ist die Figur des Hans Weiring gemeint, der
Vater von Christine, der
bereits in Entwürfen aus dem Februar des Jahres
vorkommt. (Liebelei. Historisch-kritische Ausgabe.
Herausgegeben von Peter Michael Braunwarth, Gerhard Hubmann und Isabella Schwentner. Berlin,
Boston: de Gruyter2014, T7.) freue ich mich von Herzen. Den siebzigjährigen Violin-Spieler begrüße ich freudig; denn in
diese Hülle kannst Du doch unmöglich hinein, undsoscheint die Lösung des Objectivirungs-Problems bevorzustehen. Sonst aber wäre das
beste Mittel zur Objectivirung: Paris. Du hast keine Ahnung, wie Einen diese Stadt fortwährend nach außen reißt
Von Duerersollst Du die BriefeDürers Briefe, Tagebücher und Reime. Nebst
einem Anhange von Zuschriften an und für Dürer. Übersetzt und mit Einleitung, Anmerkungen, Personenverzeichniß
und einer Reisekarte versehen von Moriz
Thausing. Wien: Wilhelm Braumüller1872 (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des
Mittelalters und der Renaissance 3). Eine Lektüre durch Schnitzler ist bislang nicht belegt.
lesen, die Thausingsehrschön herausgegeben hat (bei Braumueller in Wien).
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund! Und nochmals: mach’ es möglich, daß wir uns
in Ruhe wiedersehen!
In Treue
Dein
Paul Goldmann