Frankfurter ZeitungParis, 31. December.(Gazette de
Francfort).Fondateur M. L. Sonnemann.Journal politique, financier,commercial et littéraire.Paraissant trois fois par jour.Bureau à Paris:24. Rue Feydeau.Mein lieber Freund,dassind recht erfreuliche Nachrichten, – unberufen! – die Dein Brief bringt. SpeidelZum positiven Urteil Ludwig Speidels über Liebelei, und .
besonders ist eine förmliche Überraschung. Der Mann, der bei der Lampe nach Mitternacht über Deinem Stückesitzt, wird mir beinahesympathisch. H Sollten wir ihm vielleicht Unrecht gethan haben? Er
war gegen das Neue; aber hat es denn viel Neues gegeben? Und haben wir nicht am Ende
das Neue mit uns verwechselt, die wir neu waren? Das Urtheil, das er über Dich fällt,sprichtsehr zu Ehren seines Kunstverständnisses.
Nun kann es doch unmöglich mehr fehlen. Wosoviel Mächtige dafürsind, wird das
Theater-Gesindel nichts mehr ausrichten können. Daß B. Dich besucht.
, imponirt mir besonders. Welchen Weg hast Du durchlaufen zwischen von drei Jahren bis auf heut! Mir
kommtso vor, alssei jetzt nur noch ein tüchtiger Ruck zu geben, und dann am Ziel!
Wennsich die Sandrock vom Volkstheater jetztschon losmachenDer Wechsel von Adele Sandrock ans Burgtheater war schon im Sommer 1894 für die
Saison 1895/1896 fixiert worden. Durch neuerliche
Verhandlungen fand der Übertritt bereits zum 1. 2. 1895 statt. Sie
war also in Erwartung ihrer Verfügbarkeit für die Rolle der Christine vorgesehen. könnte,so
wäre es wohl gut (Warumspielt übrigens die Hohenfels nicht die Rolle?). Wenn nicht,so wartest Du ruhig bis zum nächsten Jahr. Der
Titel »Liebelei« mißfälltEin Erfolgsstück des Jahres 1893 war Das arme Mädel von Karl Lindau und
Leopold Krenn. Das dürfte Schnitzler gezwungen haben, Ersatz für seinen
Arbeitstitel »Armes Mädl« zu suchen, mit dem Goldmann bis dahin vertraut war. In einem Interview nahm Schnitzler1912 dazu Stellung: »Hätte das Stück nicht den Titel ›Liebelei‹, also die Bezeichnung für das
leichte, flüchtige Gefühl bar jeder Verantwortung, das ein junger Mann hegt,
dem ein sorgenbelastetes, ernsthaft verliebtes Mädchen gegenübersteht, sondern
hieße, sagen wir ›Die große Liebe der Christine‹ – also die Bezeichnung für das
Gefühl des Mädchens –, so hätte das Publikum dem Stück ganz gewiß nicht
dasselbe Interesse entgegengebracht, wie beim Titel ›Liebelei‹.
« (Ifj. B. Gy [ = Georg Ruttkay]: Schnitzler Arthurnál. In: Az est, Jg. 3, Nr. 112, 10. 5. 1912, S. 8. );
.
mir. Er klingt maniriert, unliterarisch und
verkleinert die Arbeit. Ich möchte, daß Du auf die kleine Nuance verzichtest und einfach gerade heraus »Eine Liebschaft«sagst. Das
klingt mehr nach bürgerlichem Drama. Und nun werde ich endlich ungeduldig. Alle Welt
hatschon über dem Stücke
gesessen, mit B Bangen und ohne. Ich weiß allerlei
Urtheile und kenne esselber noch nicht. Könntest Du es mir nicht auf wenige Tage
zugänglich machen? Ich lese es in einem Tage aus undschicke essofort zurück. Bitte,
bitte, mach’ es irgendwie möglich; Du kannst Dir denken, wie gespannt ich bin. Die Spannung wächst mit jeder neuen
Nachricht. Nun muß ichs endlich kennen lernen, zum Teufel auch! Und, nicht wahr,sobald Censur und Intendanz gesprochen haben, theilst Du mirsofort das Resultat mit?
Schreib’ mir auch, ob die Frankf. Ztg. etwas
darüber bringensoll. Einstweilen beglückwünsche ich Dich von Herzen zu den
bisherigen guten Resultaten.Speidel ist bereits der halbe Erfolg. Ich freue michsehr
In einem der nächsten Hefte des »Mercure de France« kommt ein AufsatzDer Text erschien mit einer gewissen
Verzögerung in einer anderen Zeitschrift: Henri Albert: Les Jeunes Viennois. In: Revue des revues, Bd. 13, 1. 4. 1895,
S. 8–13. von Albert über Euch. Leider hat er mich nicht um Rath beim Schreiben gefragt. Esstehen also offenbar einige Stiefel drin. Aber die
Hauptsache ist doch, daß etwas geschrieben wird. Auch will er nächstens etwas von Dir
übersetzen. Wie machtsich der literarische und buchhändlerische Erfolg von »Sterben«?
Was hört man von der »Zeit«? Wie gehtsie und wie
gefälltsie?
Gern will ich Dir die Frankf. Ztg.schicken, wenn
ich etwas darin habe. Aber ich habe kaum mehr etwas drin. Kann mich nicht mehr zum Schreiben aufraffen. Es liegen
Centnerlasten auf mir. Die Krankheit, die nicht heilen will – Ihr Ärzteseid nichts
als menschenfreundliche Lügner – die Vereinsamung, die Heimatlosigkeit, das Gefühl
des Zurückbleibens, die Verlotterung. Wie ich aus Ischl zurückkam, wollte ich eine Riesen-Anstrengung machen. Die ist mißlungen, und
nun lasse ich michsinken und leiste nur mehr wenig Widerstand. Ich lese nicht ein
Mal mehr ein Buch zu Ende; und wenn die Reue kommt,soslüchte ich mich in Politik
und Depeschen hinein.
Den Brief an Frl. Sandrock habe ich endlich geschrieben. Es war keine Kleinigkeit. Ichsollte meine
Ansicht über das Leben mittheilen. Das ist nicht leicht, wenn man viel zu thun hat.
Ich habe ein idiotisches Zeug abgeschickt, mais enfinfranzösisch: aber
zuletzt, ich habe geantwortet.
Ich möchte ein wenig wissen, wie Du lebst? Gesellschaft? Freundschast? Abenteuer?
Bahr hat mich neulich insehr liebenswürdiger Weise citirtSein Text beginnt mit: »Als ich diesen Mai
in Paris mit Paul Goldmann, dem Correspondenten der Frankfurter Zeitung, plauderte und um jeden Preis ein neues Talent
wissen wollte, sagte er mir: ›Ein Talent? Ein neues Talent? Ein ernstes,
sicheres, wirkliches Talent? Nicht bloß so eine geschwinde und vergängliche
Erfindung der Journale von heute auf morgen? Das ist schwer. Da ist jetzt wohl
niemand als Camille Mauclair. Sonst wüßte
ich keinen. Er hat freilich eigentlich noch nichts geschrieben; aber alle
hoffen viel von ihm. Er verspricht mehr, als er bis jetzt gehalten hätte; aber
er scheint mir sicher. Stellen Sie sich etwa, ins Pariserische übersetzt, Ihren kleinen Hofmannsthal vor.‹
« (Hermann Bahr: Camille Mauclair. In: Die Zeit, Bd. 1, H. 10, 8. 12. 1894,
S. 154–155.). Warum hat er das gethan?
Ich mache mir Vorwürse, daß ich Dich zum Abonnement auf das »Journal« aufgefordert habe. Es wird niederträchtigschlecht. Vielleicht
versuchst Du es fortan mit der Abendausgabe des »Journal des Débats«. Die politischen Artikel brauchst Du ja nicht zu lesen; aber essind köstliche
chroniqueursfranzösisch: Kolumnisten darin, höhere literarische Leute: Hallays, Bazin, Filon, Lemaîtreetc. Willst Du, daß ichs Dir abonnire? Noch habe ich 30 Francs 30 ct., die Du beharrlich todtschweigst. Hat Richard den »Courrier Françaisillustrierte Satirezeitschrift, die zwischen
1884 und 1914 erschien« abonnirt? Sonstschicke ich ihn Dir. Anbeischicke ich Dir wieder ein paar ArtikelDie Beilagen sind nicht
überliefert., Kraut und Rüben durcheinander. Drumont ist ein großer Polemist, nurstark irrsinnig.
In Bezug auf Juden und Deutsche leidet er an Verfolgungswahn. Aber in ersterer
Beziehung beginnt der Irrsinn doch erst nach einer weiten Grenze; Vieles
Unglaubliche, was er über jüdische Corruptionschreibt, ist wahr. Auch ist er
größenwahnsinnig und kommtsich thatsächlich als gottgesandter Messias vor.
Anderseits gibt ihm aber gerade nur dieser Wahnsinn die ungeheure Kraft, mit der er
manchmal dreinschlägt.
Sokal war bei mir; er gefällt mir gut. Scheint ein gescheiter und ernster Mensch zusein
Ich wünsche Dir von Herzen Glück zum neuen Jahr. Mir ahnt, daß das Jahr
1895 wichtig für Dich werden wird. Sieht es nicht vertrauenerweckend
aus? Mitseiner runden Fünfheiten!
Was aber auch geschehen mag, Gutes oder Allerbestes, wir bleiben die Alten, nicht
wahr?
Herzlichst und in Treue Dein
Paul Goldmann.Bitte, empfiehl’ mich Deiner Frau Mutter und richte ihrGoldmann schreibt
»Ihr
«. meine ergebensten Neujahrs-Wünsche aus.
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