Arthur Schnitzler: Briefwechsel mit Autorinnen und Autoren1890-08-18Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 18. 8. 1890Goldmann, PaulMüller, Martin AntonUntner, LauraÖsterreichischer Wissenschaftsfonds FWFGeorg-Coch-Platz 21010 WienAWienschnitzler-briefeTranskription und KommentierungMüller, Martin AntonUntner, LauraAustrian Centre for Digital Humanities Vienna2023
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https://hdl.handle.net/21.11115/0000-0012-CE5A-0
Machine-Readable Transcriptions of the Correspondences of Arthur Schnitzler
DMarbach am NeckarDeutsches LiteraturarchivA:Schnitzler, HS.NZ85.1.3162eine UnterstreichungGermanGoldmann, Paul18. 8. 1890PörtschachSchnitzler, Arthur[19. 8. 1890
– 23. 8. 1890?]WienGoldmann, PaulGoldmann an Schnitzler, 11. 8. 1890Schnitzler an Bölsche, [Anfang September] 1890Goldmann an Schnitzler, 11. 8. 1890Goldmann an Schnitzler, 25. 9. 1890AngelegtDurchsichtDurchsichtIndex checkDurchsicht
Administration: VII.
Seidengasse 7 (Jos. Eberle Co.)An der Schönen Blauen DonauChef-Redacteur: Dr. F.
Mamroth. – Redaction: IX.,
Berggasse 31.PörtschachWien, den18. August 1890.Mein lieber Arthur!
Viel Dank für Deinen lieben Brief! Ich habe mich ehrlich damit gefreut, wenigstens
insoweit, als ichsehe, daß Du meiner in Treuen gedenkst. Was Dich angeht, freilich –
die Nachrichten über Deine Person, die die Epistel bringt, – bin ich wenig zufrieden.
Wenig – nein, gar nicht! Kind, Kind –sei gescheit! Laß’ Dich nichtso willenlos
untergehen in der GeschichteGoldmann spielt auf die Beziehung Schnitzlers mit Marie Glümer seit Juni 1889
an. Am
nannte er sie im Tagebuch »das Ideal
des ›süßen Mädels‹, wie ichs geträumt«.! Fühlen, Stimmung
empfinden ist gut; aber ein wenig Denken und Wollen ist auch vonnöthen. Du brauchst
kein rasches Ende – pardon! – zu machen; aber
da das Ende vonselbst kommen wird, wäre es Wahnsinn,sich nicht bei Zeiten damit
abzufinden. Jetzt hast Du das Mädel – bon! – aber wenn Du das Mädel nicht mehr hast, wirst Du etwas viel Besseres wieder haben – Dichselbst. Der Tausch ist, weiß Gott, keinschlechter. Überleg’ Dir das! Und denk’ nur
an meine Spießbürger-Philosophie, die aber doch die einzig gescheite ist: der Mensch
ist nicht zum Lieben allein da. Dieses Taumeln von Rausch zu Rausch,
dieses Selbstzerquälen um ein Nichts ist verderblich und
zerrüttend. Besonders diese Quälereien. Ichsehe dasso klar: in Dir ist eine große
Kunst vorhanden, und da Dusie nirgends hin ableitest, kehrtsiesich gegen Dichselbst. Diese Eifersucht auf die
VergangenheitSchnitzler war nicht der erste Liebhaber von
Marie Glümer gewesen: »Ich bin
nie völlig glücklich mit ihr; weil ich eben das gewesene nie los werde. Sie
sagt, sie liebe mich unendlich mehr, ganz anders u. s. w. – Natürlich sagt sies.
Ja, natürlich glaubt sie’s. Es ist sonderbar, daß ich absolut nicht darüber weg
kann.« (.)
ist vielleicht nichts, als die Eifersucht der
Vergangenheit, Deiner Vergangenheit, jener Stunden,
in denen Du geschafft und gestrebt hast, jener hohen Ziele, denen Du zugestaunt, und
die Dich jetzt wieder haben wollen. Nun,sie werden
Dich wieder haben; und ich, der ich Dein Bestessehe und will, kann das »Ende« nicht
erwarten. Übrigens, glaube ich, es wird Dir nicht garso weh thun. Diese tollen
Schmerzen, die Du vorausempfindest, stumpfen das
Empfindungsvermögen ab,so daß essicherlich gegenüber dem großen Schmerze, wenn er
wirklich eintritt, versagen wird. Also, nochmals,sei gescheit: Du lebst in CapuaSynonym für Luxus, Komfort etc.,
und mußtsrohsein, wenn Du herauskommst. Oder, wenn Du willst, Du bist im Paradiese;
aber, alssrommer Bibelleser, ist d weißt Du, daß wir Alle da nicht hineingehören; und Du wirst Dich doch wieder
mit der Erde befreunden müssen, auf der zu lebenschließlich auch nicht ohne Reiz
ist.
Dies die Moralpredigt eines Menschen, derselbst nichts dringender brauchte, als einesolche. In Kurzem: auch mich hat’s wieder, mein Sohn! Das süße MädelEs handelt sich hierbei um eine frühe
Verwendung des von Schnitzler populär
gemachten Begriffs. Im Tagebuch findet sich
der Begriff bereits am . In einem veröffentlichten literarischen Text gebrauchte
Schnitzler den Ausdruck »süßes Mädel«
erstmals im Anatol-Einakter Weihnachts-Einkäufe (erschienen 24. 12. 1891). – gescheit, wahrhaftig und nicht coquett, das ichso lange mit der Laterne gesucht – mirscheint, ich hab’s gefunden. Seit gesternsind in mir
wieder alle Teufel los. Und ichsehe, es wird wieder genau die alte Geschichte. Eine
wahnsinnige Sehnsucht, das erblickte Glück zu fassen, ein toller Gesühlsüberschwang,
ein Mich-Unwürdig-Fühlen gegenüber der Auserwählten – diese drei Sachen, die es mirschon einmal
verdorben haben, werden es mir wieder verderben. Dasteh’ ich nun mit meinem weltumfassenden
Geiste, und kann das praktische Problem nicht lösen, wie ich ein kleines Mädchenherz lehrensoll, mich
gern zu haben. Dich quält das bevorstehende Ende des Glücks, mich bringt es zur
Verzweiflung, daß ichseinen Anfang nicht herbeiführen kann. So bin ich gestern gesessen, den Kopf in beide Hände gestützt und die Stirne heiß von
Rausch und Sehnsucht, und es hat in mir gewühlt und gewühlt und ich habe gesehen, daß
ich ein hoffnungslos unglücklicher Mensch bin. Hab’ ich’s also wieder einmal mit dem
Beten versucht – Du weißt, ich gedenke gern des lieben Gottes, wenn ich ihn brauche –
und warte nun ab, ob mir das vielleicht nutzen wird. Ich habe mir bei alledemso heiß
gewünscht, Du zusein, mit all' Deinen Reizen und Lüsten Listen, Du, der Du die große Kunst verstehst: geliebt zu werden. Vielleicht
theilst Du mir ein oder das andere arcanumlateinisch: Geheimnis mit. Wie
gesagt: mirscheint, ich habe das Richtige gefunden, und ich wäre außer mir vor
Schmerz, wenn ich es wieder nicht fassen könnte.
Thatsächliches – unter Discretion, würde Fritz Kappersagen. Das Richtige heißt: Lisi Pserhofer, Tochter des bekannten
Apothekers, Familie Mautner,
ErnstDie drei genannten Familien Pserhofer,
von Mauthner und Ernst waren durch drei Schwestern verbunden, alle geborene
Benedikt: Emma, die Mutter von Elise Pserhofer und Ehefrau von Ignaz
Pserhofer, Betty Ernst und Hermine von Mauthner, die Mutter der beiden in Folge genannten Söhne.etc. Noch ist es mir nicht gelungen, in den intimen Kreis
dieser Leute einzudringen, diesich hier vollkommen reservirt verhalten, und den einzig erstrebenswerthen Verkehr di repräsentiren. Kennst du nicht die beiden Mautner’s,Hans und Stephan? Und kannst Du mir nicht ein wenig helfen? Den Leuten ein Wortschreiben, daß
ich ein anständiger Mensch bin oberso was? Max Rosenberg kenntsie, wie mirscheint,sehr gut; aber der ist wohl nicht in Wien. Dassind nurso akademische Fragen. Ichsehne
mich nach irgend einer Hilfe von Außen, da ich michselbstso unendlichschwach
fühle. Oder kennst Du das Mädelselber und weißt etwas
von ihr? Vielleicht etwas Ungünstiges? Noch wäre es Zeit,sich die Geschichte aus dem
Herzen zu reißen.
Sonst wimmelt der Ort wohl von MenschenBeer-Hofmann war in diesem Sommer ebenfalls
in Pörtschach und lernte hier Goldmann und Leo Van-Jung kennen, sodass auch eine Bekanntschaft
zwischen den beiden Letzteren anzunehmen ist., aber es ist Alles das
gewöhnliche Börsenjuden-Niveau, blöd, frech, unsympathisch, die Landschast ist
großartig, aber Du weißt, wiesehr ich auf »die
Landschaft« pfeife, wenn ich nicht bei ihrem Anblick am Abend
eine weiche Hand drücken kann und dabeisagen: »Süßes Mädel!«
Gelesen: die Kreutzer-Sonate. Kritisch
großartige, das Positive aber wahnsinnig und pervers. Aber Alles in Allem ein echter Tolstoi und höchst lesenswerth. Sonst nichts. Geschrieben auch nichts. Von der »Presse« höre ich allerlei Sorgenvolles. Granichstaedtensoll fortgehen, und mansucht einen Ersatz, aber nicht mich. Hierbleiben werde
ichso lange als möglich, zumindest eine Woche. Könntest du nicht auf einen Sprung
herkommmenSchnitzler kam 1890 nicht nach
Pörtschach.? Jedenfalls schschreib’ mir bald über all’ das
Wichtige, das ich Dich gefragt. Wieder Poste restante.
Viele herzliche Grüße an Herrn und FrauFritz. Ebenso an Dich!
Dein Paul Goldmann.
Empfehlungen an DeinenSchwester und deinen Schwager, diesich wie
befinden?