Frankfurter ZeitungundHandelsblatt.Frankfurt a. M.,3. Juni 1893.Redaktion.Für die Redaktion bestimmte Briefe und Sendungen wolle
man nicht an die Person eines Redakteurs,
sondern stets an die Redaktion der Frankfurter Zeitung adressiren.
Telegramm-Adresse:Zeitung Frankfurt
Main.Mein lieber Arthur!Ich bin für wenige Tage zum Besuch in Frankfurt,
um der Hochzeit meiner SchwesterVally Goldmann heiratete den in Laupheim geborenen Arzt Josef Rosengart. beizuwohnen. Mein Onkelspricht mir natürlich
von Dir, erzählt mir mit wahrem Enthusiasmus von Deinem Roman, den er als ein bedeutendes Werk bezeichnet, und zeigt mirschließlich Deinen BriefNicht erhalten. In seinen Antwortbriefen
vom und lobte Fedor Mamroth jedoch ausdrücklich Schnitzlers Novelle Sterben (). Gedruckt wurde Sterben
zuerst von Oktober bis Dezember 1894 in den Heften 10 bis 12 der Neuen Deutschen Rundschau., es tief beklagend, daß
zwischen Dich und ihmn etwas getretenIm Kern geht es,
wie aus dem Folgenden deutlich wird, um das Ausbleiben einer Rezension des Anatol in der Frankfurter Zeitung. In einem größeren Zusammenhang könnte es auch eine
Kränkung Schnitzlers aufgrund der
wiederholten Ablehnungen Fedor Mamroths –
zuletzt Das Märchen und Sterben – gegeben haben. Der Brief Mamroths an Schnitzler vom legt nahe, dass Schnitzler den ausbleibenden Kontakt nach der Ablehnung des Märchens als unhöflich empfunden hat. ist, das besser nicht da wäre. Dein Brief, mein lieber Freund, ist
ebenso an mich gerichtet, wie an meinen Onkel. Vieles von dem, was Du
zu ihmsagst, beziehtsich auch auf mich. Und ich kann mich von der Schuld nicht
freisprechen, ein wenig die Bitterkeit mitveranlaßt zu haben, von der ich Dich
erfülltsehe. Objectiv hast Du vollständig Recht. Nun abersubjektiv: Gewiß, wenn ein
Mensch auf der Welt verpflichtet war, über »Anatol« zuschreiben,so war ich es. Das Buch kam bei mir an in einer meinerschwersten Arbeitszeiten
– Arbeit, von deren Wucht und Depressionsmacht Du
keinerlei Ahnung haben kannst. Ich mußte es zurücklegen fürspäter. Und als dann das
»später« kam, kam über mich das Unheildie Erkrankung an einer
Geschlechtskrankheit, das Du kennst, mit der Unmöglichkeit, auch nur ein
wenig Spannkraft zu finden, um aus dem mechanischen Trott der täglichen Arbeit
herauszugehen und ein Werk von Dir in
einer Deiner würdigen Weise zu bearbeiten. Eine kleine Reklamenotiz hätte ich als
einen Affront für Dich empfunden. Es mußte etwas Hübsches und Feines sein. Das aber war ich außerstande zuschaffen. Noch
heut bin ich es nicht imstande. Denn ich bin nicht geheilt, werde es wohl auch nie
werden, und bin durch diesen Schlag und durch gewissenschweren Familien- und
Berufs-Kummer, durch die entsetzliche Zukunftslosigkeit meiner Carrière zerbrochener als je. Um Dich nicht warten zu lassen,sandte mein
Onkelsofort Dein Buch unserem Berliner BerichterstatterEs könnte sich hierbei um August Stein handeln, der seit 1883 das Berliner Büro
der Frankfurter Zeitung leitete, oder um Kurt Eisner.. Der Herr hat einfach nicht
darüber geschrieben. Und wie bei unserem Blatte die Verhältnisse liegen,
ist mein Onkel machtlos, ihn
dazu zu zwingen. Mein Onkelselbst hatsich dann längere Zeit mit dem Gedanken getragen,selber darüber zuschreiben. Aber es ist eine Unproductivität über ihn gekommen, die auch ihm die Feder
lähmt,soweit essich nicht um Arbeiten handelt, die der Dienst von ihm erzwingt. Das
Alles ist mündlichschriftlichschwer auseinanderzusetzen.
Mündlich würde ich es Dir leicht begreiflich machen. Das praktische Resultat: Ich
gehe nach Paris zurück, mit dem festen Vorsatz, doch über Dein Werk zu schreibenDazu
kam es nicht., kann aber bei meinemschwachen Character für nichts
einstehen. Das Gescheiteste, im Interesse einer raschen Erledigung, wäre, wenn einer
von den Wiener Freunden, Richard oder Loris, uns ein kleines ArtikelchenDazu kam es nicht. darüber machen wollte. Mein Onkel verspricht sofortigen Abdruck. Wenn
nicht,so gewähre mir, liebster Freund, noch eine Frist, und ich will alle Kraft
aufbieten, um zu thun, was ich Dirschulde und was ich auch garso gern thun
möchte.
Über den Roman haben wir lange
gesprochen, mein Onkel und
ich. Ein Abdruck in der Frkf. Ztg. ist unmöglich
wegen der PhilistrositätSpießbürgerlichkeit, Engstirnigkeit
des Publicums. Weder mein Onkel noch ichsind in keinen Beziehungen mit einem Verleger. Das Einzige, was man für’s Erste thun könnte, wäre
ein Brief, den Du dann beifügst, wenn Du das Manuskript einem Verleger Deiner WahlIn Buchform erschien Sterben erstmals im November 1894 (vordatiert
auf 1895) bei S.
Fischer. einschickst und der wenigstens den Vortheil hat, Dir durch
den Namen der Frankf. Ztg. jene Accredition zu
geben, deren Du bei jenen urtheilslosen Buch-Handwerkern noch bedarfst. Dein Stolz
wirdsich gegen dieses Mittel wehren, Dein Verstand wird Dir zeigen, daß es doch nicht zu verschmähen ist. Bist Du aber erst einmal
mit einem Verleger in Beziehung und brauchst Du meinen Onkel oder mich zur weiteren Förderung der
Angelegenheit,so wirst Du uns auf dem Laufenden erhalten, und vielleicht ergibtsich
am Ende doch die Möglichkeit, etwas Positiveres und Specielleres zu erwirken.
Der Brief folgt anbei.
MNimm' diesen Brief auch als Antwort meines Onkels, der Dich lieb hat und Dir gern das Blaue vom Himmel
herunterholen würde, wenn er könnte. Aber Du hast keine Ahnung, wieas für arme, macht- und bedeutungslose Menschen wirsind, er und ich, wir zZwei mit dem verfehlten Leben.
Grüß’ Dich Gott, mein theurer Freund!
Dein
Paul Goldmann.