Frankfurter Zeitung.Paris, 8. August.(Gazette de Francfort.)93.DirecteurM. L. Sonnemann.Journal politique, financier,commercial et litteraire.Paraissant trois fois par jourBureaux à Paris:rue Richelieu 75.Mein lieber Arthur!Nicht ohne Bangen habe ich diesmal Deinen lieben Brief eröffnet. Ich war mir einer
großen Schuld bewußt, und fürchtete Vorwürfe. Die bekam ich nun nicht direct – ich
kenne Deine Güte und Nachsicht – wohl gibt es aber da ein Wort, das ich nicht
verstehe. »Mißtrauen«. Wirklich, ich habe keine Ahnung, worauf
Du damit anspielst, und befürchte irgend eine verleumderische Klatscherei. Mißtrauen?
Aber wenn es irgend einen Menschen gibt, den ich mit ruhigem Herzen bis in den
letzten Winkel meines Wesens hineinsehen laieße,so bist Du es, und das weißt Dusehr
wohl. Ich traue Dir ebenso wie mirselbst – nicht ideal,schwärmerisch,
pensionsmädchenhaft,sondern auf Grund kühler Manneserfahrung, mit der ich Dich als
den Besten und Treuesten erprobt habe. Was willst Du also mit dem kuriosen Wort? Es
klingt wie eine falsche Note und zeigt mir, daß Zeit und Entfernung auch zwischen uns
die übliche Arbeit gethan.
Ich habe mich mit Deinem letzten Briefe unendlich gefreut, wochenlang! Und doch habe
ich Dir nicht geantwortet. Warum? Weil ich gelähmt bin – moralisch und geistig, weil
dieses grauenhafte Krankheit.
mein ganzes Sein in einen Nebel hüllt, weil ich am Leben und an der Zukunft
verzweifle, weil mein Leben in zwei Abschnitte
zerfällt, die gesunde und die kranke Zeit, weil ich an die gesunde Zeit kein Anrecht
mehr habe und weil Alles, was mir daher kommt, Alles Liebe und Hoffnungsreiche, mir
als verloren erscheint. Mir kommt es vor, als hätte ich kein Recht mehr, mitzuleben.
Darum konnt’ ich den alten Ton nicht finden, nicht einmal die Energie, eine Feder in
die Hand zu nehmen, und darum habe ich Dir nicht geantwortet. Mir
geht es gottsschlecht trotz aller Kuren. Das Übel greift umsich, und ich weiß
nicht, was aus mir wird. Da klammere ich mich denn an die
Arbeit und pflüge jeden Tag mein abgestecktes Stück Feld ab. Bin ich aber fertig,so
kommen alle Gespenster wieder. Sehrstark bin ich
nie gewesen, nun bin ich weinerlich wie eine alte Frau, und kaum ein Abend vergeht
ohne Thränen. Dabei glaubt man nun doch nicht und hat nicht einmal den Trost, daß
Einem Gott das zur Prüfung geschickt hat. Man weiß nur, daß man einschädliches
Exemplar der Race geworden, dessen Mitthunwollen ein Verstoß gegen alle Gesetze der
Hygiene ist. Dann kommt natürlich der gute Selbstmord. Aber es ist unmöglich, das
Leben zu verlassen, das man jetzt erst zu verstehen beginnt, dasso mannigfaltig undso farbig ist. So bleibt Einem nichts als Händeringen und Haarausraufen.
Ich habe bisher nicht einmal dieen Entschluß fassen können, auf Urlaub zu gehen. Ich fürchte mich vor der arbeitslosen Zeit. Von
Hause drängensie mich aber. Mein Onkel ist im September in Salzburg, und ichsoll durchaus hinkommenGoldmann reiste im September 1893 tatsächlich nach Salzburg. Vom ist ein gemeinsamer Abend in Hellbrunn mit Schnitzler und Fedor Mamroth, vom
ein
Konzertbesuch mit Schnitzler
bekannt.. Er malt mir all’ die Herrlichkeiten von Salzburg aus, wie man einemstörrischen Kinde zuredet. Da ist besonders eine Verheißung:
Arthur Schnitzler. Ach, ich habe einsolches Heimweh
nach Dir, mein theurer Freund. V, vielleicht reiße ich mich doch heraus und komme. Thu’ mir jedenfalls die Liebe
und halte Dir im September ein paar Tage für mich frei.
Wenn ich reisensollte, verständige ich Dich in den
letzten Tagen des August. Schreib’ mir, ob Dich um diese
Zeit eine Nachricht in Wien trifft. Aber bereite
Dich vor, michsehr zum Nachtheil verändert zu finden, und geh’ nicht zustreng mit
mir in’s Gericht.
Dannsprechen wir auch über alles Übrige. Ich halte zum Beispiel eine Reise nach Berlin, zur Betreibung Deiner dramatischen Angelegenheitennicht erfolgt für unerläßlich.
Ebenso ließesich vielleicht hier etwas mit Antoine machen, wenn Du eines der Anatol-Stücke ins Französische übersetzen könntest undselbst hierherkämest, um die
Sache zu betreiben. Seit dem Erfolge
Gerhart HauptmannsGerhart HauptmannsDie Weber feierte als Les
Tisserands am 29. 5. 1893 am Théâtre Libre Premiere. Wegen des Erfolgs fand am
1. 2. 1894 die nächste Premiere in Anwesenheit des Autors statt: L’Assomption de Hannele Mattern. Drame de rêve en
deux parties, neuerlich am Théâtre
Libre.sindsie dort wie ich höre nicht unzugänglich für Deutsches
und Österreichisches. Mit
dem, was Trottel in Saublätternüber DichschreibenAm 3. 8. 1893 war ein von Florentine
Galliny unter dem Pseudonym Bruno Walden verfasster Verriss des Anatol-Zyklus erschienen: Bruno Walden [ = Florentine Galliny]: Feuilleton. Literatur. In: Wiener
Abendpost, Jg. 190, Nr. 176, 3. 8. 1893,
S. 1–2. Sie schrieb: »Bei Arthur
Schnitzlers ›Anatol‹ hat ganz und
gar die ›Vie Parisienne‹ Pathin gestanden, und hier tritt das Nachtreterthum
noch viel unangenehmer und plumper zu Tage . Was dem Pariser Blatte
petillante Frivolität, ist hier crüder Cynismus, der sich in der Schlußszene zum
Höhenpunkte des Anwidernden potencirt.
« Über Hugo von Hofmannsthals einleitende Verse steht außerdem geschrieben:
»Die Leichtbeschwingtheit dieser Verse gebricht der vorgeführten Scenenreihe, und damit entfällt die
›hübsche Formel böser Dinge‹, deren Abstoßendes in Folge dessen ungemildert
bleibt, was, wenn auch ethisch ganz nützlich, doch kaum beabsichtigt gewesen
sein dürfte. Die introspectiven Grübeleien – ein echt deutscher Zug – dieses
Anatol, der sich so
ver – – zweifelt interessant vorkommt, sind es, die einer Leichtfertigkeit,
welche einzig in unbewußter Lebensüberschäumung eine Raison d’être aufzuweisen vermag, einen so anwidernd perversen Zug aufdrücken. Das
entrüstete Freundeswort seines so langmüthig verständnißvollen Vertrauten in
der Schlußscene ›Anatols
Hochzeitstag‹: ›So was thut man nicht!‹ läßt sich für dieselbe dahin
variiren: So was schreibt man nicht.
« (S. 2) Am notierte
Schnitzler im Tagebuch: »In der Abendpost von Bruno
Walden eine alberne und niederträchtige Kritik über Anatol, die mich verstimmte.
«,sollst Du Dir Dein cabinet tapezieren und ruhig weiterschaffen, auch von
vorübergehenden Muthlosigkeiten unbeirrt, wiesie die alltäglichen Erscheinungsformen
aller prh producirenden Thätigkeitsind, wenn etwas zuviel Gehirnschmalz verbraucht ist.
Das dumme Gethier, das Dir heute in die Beine kläfft, wird Dir
morgen die Handschlecken, wenn erst der Erfolg dasein wird, das einzige Beweisstück in den Augen des Gesindels. Den aber wirst Du
haben, aus dem einfachen Grunde, weil Du von demr jungenschreibenden Generation eines der
größten und glänzendsten Talente bist. Du bist viel mehr als Herzl, denn dieser ist –so erstaunlich Dir das klingen mag – ein enger Geist, kein
Dichter, und nur eine Formbegabung. Ich kenne nur Einen, mit dem ich Dich ernstlich
vergleiche, das ist Gerhart Hauptmann. Du bist im Weichen das, was er im Starken ist – ich urtheile nach den »Webern« – und diese Überzeugung werden mir alle
kritisirenden Pinsel nicht erschüttern. Deine letzten Werke kenne ich nicht. Mein Onkel nennt Deinen Roman »bedeutend«. Das ist ein
Epithetonsprachlicher Zusatz in der Form eines
Attributs, das ich von ihm nur auf die bewunderten Meister bisher anwenden
gehört und ich nehme es als erfreuliches Zeugniß.
Sei von Herzen gegrüßt, mein lieber Arthur!
Dein Paul Goldmnn