Frankfurter Zeitung.(Gazette de Francfort.)DirecteurM. L. Sonnemann.Paris, 18. August.Journal politique, financier,commercial et litteraire.Paraissant trois fois par jourBureaux à Paris:rue Richelieu 75.Mein lieber Arthur!Ich habe Dir nichtsofort geantwortet, weil ich erst die Antwort des H. Sonnemann, meines Chefs,
betreffend meinen Urlaub abwarten und Dir Bestimmtes über meine Reisepläne mittheilen
wollte. Bis jetzt ist noch nichts gekommen, und ich will nun die Antwort auf Deine
lieben Zeilen nicht länger verschieben. Aus der Verzögerung der Antwort des Chefsschließe ich, daß meine
Bitte umsofortige Beurlaubung nicht bewilligt werden und daß ich genöthigt werden
dürfte, bis nach den StichwahlenIn Frankreich wurde am 20. 8. 1893 ein neues
Parlament gewählt. Am 3. 9. 1893 gewann Jean Casimir-Perier die Stichwahl gegen Georges Clemenceau.– 3. September – zu
bleiben. Dann komme ich höchstwahrscheinlich im Lauf des September nach Salzburg, und falls Du verreistIm Sommer, nach dem 18. 8. 1893, verreiste Schnitzler
vom bis
zum nach
Tirol, Südtirol, Italien, Kärnten, Niederösterreich und in die Steiermark. Am und vom bis war Schnitzler außerdem in Reichenau an der
Rax, vom bis in Salzburg, wo er
jedenfalls am und Goldmann traf. Ein damit einhergehendes
Zusammentreffen mit Hugo von Hofmannsthal
und Richard Beer-Hofmann ist nicht
bekannt., bitte ich Dich, mir jetzt noch rasch eine Adresse mitzutheilen,
wo Dich ein Telegramm oder ein Brief von mir erreichen kann. Ich kann Dir gar nichtsagen, wie unendlich ich mich auf ein Wiedersehen mit Dir freue. Aber ich bitte Dich
nochmals dringend, Dich auf Enttäuschungen vorzubereiten. Ich habe mich nicht zu
meinem Vortheil verändert.
Was Dusonst über die Beziehungen zwischen Dir und mirschreibst, ist lieb und gut
und hat mir aufrichtig wohlgethan. Aber wenn Du einen Ton des Zweifels bei mir bemerkst – ich glaube allerdings, Du hast
Unrecht, – trägst Du nicht auch eine Schuld? Denk’ Dir nur, was Du mir während dieser
Jahre geschrieben hast und was nicht. Du hast mich einzig und allein an Deinem
literarischen Leben theilnehmen lassen. Aber von Deinem Persönlichen, was mir doch
bei allem Interesse für das Erste das unendlich Werthvollere ist, weiß ich rein gar
nichts mehr. Höchstens hier und da eine Andeutung, essei Dir unmöglich, übersolche
Dinge zuschreiben. Und da ich weiß, daß Du mir ähnlich bist, und da ich mich kenne,
wie ich das Wort »unmöglich« gebrauche, weil esschöner klingt als »unbequem«, wie es doch eigentlich heißensollte, –so habe ich
manchmal Reflexionen darüber gemacht – nicht bittere, aberschmerzliche. Nun, dassollsich wohl Alles jetzt wieder ausgleichen. Auch Deine
Bitterkeit gegen mich. Denn bei aller Feinheit des Taktes, bei allenm noblen Wunsch,sie zurückzudrängen, klingtsie in Deinen Briefen durch, und
ich glaube, immer zu lesen: Nicht einmal eine Besprechungvon Anatol in der Frankfurter Zeitung hat er mir
geliefert! Da habe ich wirklich große Schuld. Ich weiß wohl, daß ich nicht gekonnt
habe. Aber wenn ichso zurückdenke, habe ich keine Ahnung, wie dasso eigentlich gekommen ist. Ich meine, es war doch viel
Willensschwäche von meiner Seite dabei. Aber auch darüber wollen wir reden. Über
Deinesonstigen Autoren-Leiden, mein liebster Arthur, f hast Du keinen Grund, Dich besonders traurig zu fühlen. Das gehört dazu, ichschwöre es Dir, und ist nur eine zurückzulegende Etape. In Paris ist doch das geistige Leben noch ganz anders entwickelt als in Deutschland und Österreich, ich meine in Bezug auf die Zahl der jährlich geschriebenen und gedruckten WerkeEinen internationalen Vergleich der jährlichen Drucke ermöglicht eine Statistik aus dem Jahr 1895: »Es existieren zur Zeit 3985 Papierfabriken auf der Erde,
deren Gesammtproduktion sich auf 7904 Millionen Buch im Jahre beläuft. Die
Hälfte dieses riesigen Papiermaterials verbraucht die Buchdruckerei,
während 600 Millionen Buch auf die Zeitungen entfallen. Per Kopf berechnet
verbraucht der Engländer
von allen Nationen am meisten Papier, nämlich 11 ½ Buch im Durchschnitt pro
Jahr. Nach ihm kommt der Amerikaner mit
10 ¼ Buch pro Jahr und Kopf. Hierauf der Deutsche mit 8 und der Franzose mit 7 ½ Buch. Weitaus weniger konsumiren Oesterreich und Italien an Papier, da bei beiden Nationen die
durchschnittliche Ziffer pro Jahr und Kopf nur 3 ½ Buch beträgt. Zum Schluß
kommt der Mexikaner
mit 2, der Spanier
mit 1 ½ und als letzter der Russe mit gar nur 1 ⅝ Buch Papier, welches pro Jahr auf den Einwohner
entfällt.
« ([O. V.]: Vermischtes. In: Vorwärts,
Jg. 12, Nr. 191, 17. 8. 1895,
S. 7.). Und was ich daso über Dummheit und Gemeinheit von Verlegern
erzählen höre. Ein anderes Beispiel: Hier lebt Knut HamsunDurch seinen Roman Hunger (norweg. Sult, 1890) berühmt geworden, lebte Knut Hamsun zwischen 1893 und
1895 an der Adresse 8 rue de
Vaurigard in Paris., dessen
glänzendes Talent Du doch kennst. Seit Jahresfrist muß er mit zwei neuen Romanen, deren Eineeinennicht rekonstruierbar mein Onkel gesehen hat und auch als höchst
bedeutend bezeichnet – er hat ihn aus demselben Grunde nicht drucken können wie den
Deinen. – muß also
bei allen deutschen Verlegern
hausiren gehen, findet nicht einen, lebt nur durch
die Wohlthat zweier MäceneEs dürfte sich um Willy Gretor und Albert
Langen handeln. Langen hatte zuerst
dem S. Fischer Verlag eine Kostenbeteiligung
für den Abdruck von HamsunsMysterien angeboten und, nach der Ablehnung, dafür
1894 einen eigenen Verlag
gegründet. Im Albert Langen Verlag erschien im selben Jahr auch der Roman Neue Erde. und wirdseine Bücher nur
publiciren können, wenn ihm die LetzterenGeld leihen, umsie im Selbstverlag erscheinen zu lassen. Dein Anatol wird meiner Ansicht nachsehr gekauft werden, wenn Du erst einen Bühnenerfolg haben wirstDie erste vollständige Aufführung des Anatol-Zyklus fand erst am statt
(doppelte Uraufführung am Lessing-Theater in
Berlin und am Deutschen Volkstheater in Wien). Neue Auflagen des Zyklus gab es jedoch schon ab 1895 bei S. Fischer..
Sudermanns RomaneHermann Sudermann wagte bereits in den
1870er-Jahren erste literarische Versuche,
veröffentlichte jedoch erst 1886 die Novellensammlung Im Zwielicht und 1887
seinen ersten Roman Frau Sorge. Einen großen
Erfolg feierte dann das am 29. 11. 1889 am Lessing-Theater uraufgeführte Stück Die Ehre. habensich Jahre lang
unbeachtet herumgeseilt, und jetzt kann man nicht genug davon kriegen. Also nur ein
wenig Geduld, liebster Freund, und Alles wird gehen. Eine Aufführung im
VolkstheaterObzwar bislang von Anatol die Rede war, dürfte Goldmann nunmehr von Das
Märchen sprechen. Es wurde am vom Volkstheater in Wien zur Aufführung
angenommen. Am kam es zur Uraufführung. würde ich an Deiner
Stelle nur annehmen, wenn das Stück bereits in Deutschland gespielt
wäre. Denn in Wien zum überhaupt ersten Mal gespielt zu werden, bei dieser irrsinnig dummen Kritik
und noch dazu in diesem vollständig unkünstlerisch geleiteten TheaterVon 1889 bis
1905 war Emerich von
Bukovics Leiter des Volkstheaters., würde ich nicht für zuträglich halten. Die Hauptsache
ist, die Berliner Aufführung zu beschleunigen,
und auch darüber wollen wir gemeinsam Rath halten.
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Arthur! Auf hoffentlich baldiges Wiedersehen!
Dein treuer
Paul GoldmnnWenn Du esso machen könntest, daß ich auch Loris und Richardsehe,so wäre das ganz besonders herrlich. Loris hat in der Frkf. Ztg. ein stupendes FeuilletonLoris: Gabriele d’Annunzio. In: Frankfurter Zeitung, Jg. 37, Nr. 219,
9. 8. 1893, Erstes Morgenblatt, S. 1–3. Darin erörterte
Hugo von Hofmannsthal den Begriff der
(literarischen) »Moderne« am Beispiel von Gabriele d’Annunzio. Goldmann
dürfte der Aufsatz vor
allem aufgrund der darin enthaltenen kontra-naturalistischen Ausführungen
missfallen haben. gehabt.