Paris, 4. November.Mein lieber Freund,Du mußt mir nicht bösesein: Ich habe hier wenig Beziehungen zur ärztlichen Welt und
da ich außerdem mit tausend Dingen die Hände voll zu thun hatte, habe ich eine Woche
gebraucht, ehe ich Dir das Gewünschte verschaffen gekonnt. Ichsende Dir anbei das »Agenda médical«Die Agenda médical erschien jährlich und listete unter anderem
französische Mediziner.
Goldmann sandte Schnitzler vermutlich die neueste Ausgabe für das Jahr 1894. Es ist unklar, wofür Schnitzler die Namen der Professoren brauchte.. Auf S. 381 findest
Du die Namen derjenigen Professoren unterstrichen, die mir als die bedeutendsten
bezeichnet worden; ihre Adressensind in dem S. 299 beginnenden Verzeichniß enthalten. Wenn Du
nun Weiteres brauchst, für diesesowie für alle zukünftigen Angelegenheiten – wenn
Gänge zu machen oder Briefe auszutragensind etc. –soschreibe mirstets. Insbesondere den mechanischen Theil eventueller journalistischer
Maßnahmen kann ich Dir leicht bestreiten helfen, da ich hier einen Büreaudiener habe.
Aber auchsonst betrachte mich als Deinen ministre plénipotentiairefranzösisch: Gesandter und gib’
mir etwas zu arbeiten. Freilich verlange ich einen
Gegendienst. Das ist gemein, aber ich kann nicht anders. Schon während unseres
letzten Beisammenseinsam in Salzburg hatte ich die Bitte auf der Zunge, aber es erschien mir doch gar zu
erbärmlich, Dir damit zu kommen. Alsoschriftlich: Wäre Dir möglich, wenigstens ein
paar Monate lang, meinem Schwager ein FreiexemplarSchnitzler war bis September 1894 Herausgeber
der Internationalen Klinischen Rundschau ().
zu bewilligen. Seine Praxiss geht noch nicht gut genug, ihm ein Abonnement zu erlauben.
Anderseits möchten er gar zu gern, das Blatt lesen. Und da durch einen glücklichen
Zufall Ich bitte Dich also um Gewährung meiner Bitte,
indem ich zugleich gegen die von mir begangeneschamlose Ausbeutung protestire.
Adresse: Dr. Josef Rosengart, Frankfurt a/M, RossmarkRossmarkt 20.
Es ist viel Erfreuliches in Deinem lieben Briefe. Vor allen Dingen bin ich von Herzen froh, daß es endlich mit der Aufführung ernst wird. Da ichso gar nichts hörte, glaubte ich, essei wieder eine Verschiebung eingetreten.
Nochmals:sobald die Aufführung festgesetzt ist, theile mir das umgehend mit. Und reg’ Dich nicht auf wenn die Komödiantenbande, der Gewohnheit gemäß,
Dich kränkensollte. Ich hätteso gern genaue Details über die Proben gewußt, ich bin auch überzeugt, daß
Du bei unserem nächsten Beisammensein behaupten
wirst,sie mir geschrieben zu haben. Damit werde ich mich wohl begnügen müssen. Sehr Laß’ mich wenigstens bald etwas über den Fortgang
der Affaire wissen, – ja? Undstärkt dDir das nicht richtig die Productionslust, diese endliche Verwirklichung desso lange Erhofften?
Ich habe den »Anatol« und das »Märchen« hier dem neubegründeten
Freien Theater für ausländische
Kunst, dem »Oeuvre« eingereicht. Die HerrenEs ist nicht letztgültig zu klären, wen
Goldmann hiermit meinte. Geleitet wurde
das Théâtre de l’Œuvre zu dieser Zeit
jedenfalls von Aurélien-Marie Lugné-Poe.
Auch in späteren Jahren spielte das Théâtre de
l’Œuvre für Schnitzler eine Rolle.
So empfahl etwa Marcel SchulzLugné-Poe den Schleier der Beatrice () und auch Paul Zifferer legte Schnitzler das
Théâtre de l’Œuvre »wegen [s]einer
Stücke für Paris
« nahe (). 1912 und 1922 inszenierte das Théâtre de l’Œuvre den Einakter Die letzten Masken (Les Derniers masques). warensehr vergnügt über
mein ihnen gewidmetes FeuilletonPaul Goldmann: Pariser Theater. In: Frankfurter Zeitung, Jg. 38, Nr. 282, 11. 10. 1893, Erstes Morgenblatt, S. 1–2., und da ich
nicht gern auf die Gelegenheit zum Verlangen von
Gegendiensten vorübergehen lasse (siehe oben),so bat ichsie, Deine Stücke zu lesen. Essind nämlich
Leute darin, die deutsch können. Mach’ Dir aber keine allzu großen Hoffnungen. D Sie Sie frugen mich nämlich, ob die Stücke »mystisch«seien? Ich
wußte nicht recht, was ichsagensollte: Bitte,sindsie mystisch?
Übrigens habe ich noch andere Eisen für dDich hier im Feuer. Doch davonspäter.
Das Blühen in der lieben Wiener Künstler-Laube –
oh verdammt, welch’ ein Gleichniß! – beobachte ich mit wehmüthiger Freude. Gewiß, ich
weiß, daß Eure drei Namen weit klingen werden, und in nicht langer Zeit. Ichsehe, wie
Ihr formt undschafft, und wünsche allen Segen auf dieses Schaffen herab. Und dann kehre ich in
mich ein und habe das traurige Gefühl des Mannes, der einsam undschwach auf einem
Steinsitzen geblieben ist und nur noch die fernen Stimmen der Begleiter hört, die
durch den Wald hallen: abersiesind weit und er wird ihnen nimmer nachkommen. Meine
Arbeiten? Gewiß weiß ichs nicht, wenn ich etwas Gutesschreibe. Und wenn ich es
wüßte: Hat das einen Werth, was ich thue? Geh’, das mußt Du mirselbst zugeben, daß ich in unserem Kreise
bereits immer deutlicher die bitterböse Rolle übernehme »des Mannes, aus dem etwas
hätte werden können«.
Ich bitte Dich inständig: veranlasse Loris und Richard, daßsie mir die erschienenen oder zu erscheinenden
SachenDie einzige selbstständige
Veröffentlichung – Goldmann bezieht sich
auf »Bücher
« – aus dieser Zeit stellt eine NovellensammlungRichard Beer-Hofmanns dar, doch erschien
diese erst im Dezember 1893. Richard Beer-Hofmann: Novellen. Berlin: Freund Jeckel1893.schicken. Ohne Briefe: ich weiß, daß die Briefe nachso langer
Zeitschwer zuschreibensind. Die gewisse Furcht vor der Einleitung. Ich möchte deßwegen aber nicht um die Bücher kommen.
Wenn Du kannst,soschick’ mir, bitte, gelegentlich noch einen »Anatol« – zu Propaganda-Zwecken.
Bahr: Du hast eineso merkwürdige Art, gegen Leute gerechtsein zu wollen, diesichschurkisch gegen Dich benehmen. Nein, – der Mann ist für mich kein großes Talent,selbst wenn er esseinsollte. Ungerechte Beurtheilung ist bereits eine
halbe Befriedigung des Hasses. Undseit der hundsföttischen Kritik über Dich hasse ich den Kerl mehr als je.
Der Briefkasten-DiebstahlIn Ridicula versammelte Theodor von
Sosnosky vermeintliche »literarische Lächerlichkeiten
« (Breslau:Trewendt1894 [von 1893 vordatiert]). Im Kapitel
»Briefkastenpoesie« wurden – ohne Erlaubnis – 50 Seiten aus dem Briefkasten der Schönen blauen Donau aufgenommen. (Vgl. h. k.: Neue Bücher. In: An der schönen blauen
Donau, Jg. 8, Nr. 23, 1. 12. 1893,
S. 552.) des Sosnosky istscheußlich. Ich habe mit meinem Onkel berathen, aber ich glaube, wir können nichts machen., gesetzlich. Höchstens eine Züchtigung im Blatte, die aber auch eine Reklame für das Buch des Gauners wäre.
Herzl istseit einigen Wochensehr krankVon seiner Malariainfektion
berichtete Theodor Herzl am 8. 12. 1893 in einem Brief an Schnitzler. Vgl. Theodor Herzl: Briefe und Tagebücher. Herausgegeben von
Alex Bein, Hermann Greive, Moshe Schaerf und Julius H. Schoeps. Bd. 1: Briefe und autobiographische Notizen. 1866–1895.
Bearbeitet von Johannes Wachten. In Zusammenarbeit mit Chaya Harel, Daisy Tycho
und Manfred Winkler. Berlin, Frankfurt am
Main, Wien: Ullstein/Propyläen1983, S. 545.
: Malaria oderso etwas.
Was Neues in Wien? Bitteschreibe bald.
Auch ein persönliches Wort: Gesundheit, Production, materielle Fragen.
Mir geht esschlecht, ohsoschlecht!
Viele treue Grüße!
Dein
Paul Goldmnn