Paris, 23. December.Mein lieber Freund!Dein letzter Brief und diesich daranschließenden Zeilen der FreundeSchnitzlers Brief könnte am abgefasst
worden sein, als er die mit Goldmann
bekannten Freunde Hugo von Hofmannsthal,
Richard Beer-Hofmann, Felix Salten und Gustav
Schwarzkopf zusammengetroffen war. haben mir eine unendliche Freude bereitet. Mirsind die Thränen in die Augen gekommen, als ich all’ das las. Und ich war einen
ganzen Tag lang glücklich,so viel Freundschaft und Treue verdient zu haben. Gern
hätte ich Dir, dem lieben Anstifter der Freudengabe, und allen Betheiligtensofort gedankt. Da kam die Bombe in der KammerAm 9. 12. 1893 hatte der
Anarchist Auguste Vaillant ein
Bombenattentat auf die Französische
Nationalversammlung verübt, bei dem um die 50 Personen verletzt wurden.
undsonst Allerlei und warf mich weit ab von Euch und all’ den
frohen Gedanken. Inzwischen kam auch Dein liebes
BildWohl das von Carl Pietzner erstellte Porträtfoto von Schnitzler, .. Dank, innigen Dank für die Sendung. Ich habe es auf meinem
Schreibtisch aufgestellt und tausche mit Dir manch’ einen Blick und versinke in
manch’ eine Träumerei während irgend eines politischen Artikels. Es ist eine
vorzügliche Aufnahme –
wenngleich Du freilich in Wirklichkeit nieso hübsch gewesen. Auch zeige ich Dich
Allen, die mich besuchen kommen, und Du hast viel Erfolg. Neulich war Jean Thorel bei mir undsagte: »Je jurerais, que c’est un monsieur, qui écrit des
comédies.«französisch: Ich könnte schwören,
dass das ein Herr ist, der
Lustspiele schreibt. Wenn Du jetzt noc noch keine Lustspieleschreiben
willst.
!
Bitte liebster Freund,schreib’ mir ein ausführlicheres Wort über Deine Pläne. Die
Idee mit dem süßen Wiener StückLiebelei, das unter dem Titel »Armes Mädl« als Volksstück
geplant war. Das »süß« dürfte sich auf das »süße Mädl« beziehen, das schon früher
in den Briefen Goldmanns Thema war (). Die Popularisierung
des Begriffs wird häufig Schnitzler
zugeschrieben und der Erfolg von Liebelei
spielt dabei eine zentrale Rolle. Diese Briefstelle legt nahe, dass schon bei der
Konzeption von Liebelei das Vorhaben eine
zentrale Rolle spielte, den Typus »unkomplizierte Frau für eine sexuelle Beziehung
ohne längerfristige Bindung« auf die Bühne zu bringen. gefällt mirsehr.
Das müßte Dir ganz ausnehmend liegen. Undschreib’ vor allen Dingen ein Stück ohne
Dich. Was macht dein Roman?
Brinsgt Du ihn nirgends an? Sende mir auch, wenn möglich, ein oder zwei Exemplare Anatol zu Progaganda-Zwecken. In Paris bekommt man
nämlich nie ein Buch wieder, wenn man es wegborgt. Ich hoffe doch noch etwas für Dich hier durchzusetzen. Die Übergabe
Deiner NovellenEs existierte zu dieser Zeit keine Buchausgabe von Schnitzlers Novellen.
Welche hier für die Vermittlung vorgesehen waren, lässt sich nicht
bestimmen. an eine Mitarbeiterinnicht identifiziert der Vie Parisienne habe ich doch nicht in’s Werksetzen wollen. Gewisse Erfahrungen der letzten Zeit haben mich gelehrt, daß
möglicher Weise Deine Novelle Aufnahme gefunden hätte, aber nicht unter Deinem
NamenAuf welchen Plagiatsvorwurf Goldmann anspielt, ist unklar., – Du
verstehst?
Schreib’ mir auch, was mit Bahr vorgegangen ist? Warum der Austritt aus der »Deutschen ZtgAm 21. 12. 1893 stand in
der Deutschen Zeitung, dass Bahr die Redaktion des Blattes verlassen habe (Nr. 7898, S. 5).
Offizielle Begründung gab es keine. Bahr
betreute seit September 1892 die Theaterkritik und kündigte, nachdem
zweimal in Kritiken von ihm eingegriffen worden war: einmal um ein Lob, einmal um
eine kritische Äußerung zu streichen.«? Wird das Blatt eingehen?
Fröhliche Feiertage; mein lieber Freund, und nochmals Dank Dir und
den Andern und viele treue Grüße an
Euch Alle.
Dein Paul Goldm