Frankfurter Zeitung(Gazette de Francfort).Paris, 6. Februar.Fondateur M. L.
Sonnemann.Journal politique, financier,commercial et littéraire.Paraissant trois fois par jour.Bureau à Paris:24. Rue Feydeau.Mein lieber Freund,Ich hätte Dir Deinen Brief gern umgehend beantwortet, hatte aber gerade ausnahmsweis
viel zu thun und komme nun erst heut zur Antwort.
Was Du mir daschreibst, aus einer Aufregung und Verstimmung heraus, die noch an
jedem Worte haften geblieben ist, hat mich rechtsehr geschmerzt. Freilich nur in dem
Sinne, daß es mir unendlich leid thut, Dich inmitten all’ dieser WiderwärtigkeitenWie Schnitzler in
seinem Tagebuch ausführlich dokumentierte,
machte ihm in dieser Zeit vor allem die Beziehung zu Adele Sandrock zu schaffen. Die Schauspielerin, mit der er – neben
anderen – ein Verhältnis führte, ging ein Verhältnis mit Felix Salten ein, nicht zuletzt, um ihn eifersüchtig zu
machen. Als Schnitzler die Beziehung
beendete, drohte Sandrock, sich das Leben
zu nehmen. Er fürchtete auch, sie würde versuchen, Liebelei vom Burgtheater wieder abzusetzen. Laut Hermann Bahr soll Sandrock sogar
das Stück und ihre Rolle,
jene der Christine, auch
vor Max Eugen Burckhard, dem Leiter des Burgtheaters, schlechtgeredet und versucht haben, die
Aufführung des Stücks
hinauszuschieben, um Schnitzlers Aufmerksamkeit und Zuneigung zu erhalten. Bei der Uraufführung am am Burgtheater spielte Sandrock in der Hauptrolle. zu wissen. Um das Endresultat machensie mich nicht im Mindesten bekümmert. Ichsehe die Dinge von fern an, wie aus den Wolken. Dasehe ich denn ein Schiff, das
unaufhaltsam dem Ziele zufährt. Die einzelnen Zickzacklinien des Kursessehe ich
nicht. Ichsehe nur, daß es vorwärts geht, nicht zurück – daß es nicht zurückgehen
kann. Ein paar intriguante Weibsbildersollen Dein Werkan aufhalten, das mit der Kraft Deines Talentes dem Ziele zustrebt? Der Gedanke
macht mich heiter,so unsinnig ist er. Und ich
verliere meine Heiterkeit nur, wenn ich Deinen Brief wieder vornehme und Deine
Verstimmung herauslese, die ich Dir gern erspart wüßte. Aberschön! Du kämpfst. Wer
kämpft nicht? Und vergleiche Dein glückliches Loos, für ein hohes Ziel kämpfen zu
dürfen, mit dem Anderer, mit dem meinen zum Beispiel, der ich mit Widerwärtigkeiten
und tausend Verhängissen ringen muß, nicht um hinaufzugelangen, wie Du,sondern um
nicht tiefer zu fallen, als ichschonstehe.
Hab’ Geduld, mein lieber Freund! Sei ruhig und laß’
die Dinge gehen, wiesie gehen. Das Entscheidende ist bereits geschehen: Du hast einschönes Stück
geschrieben. Alles Übrige ist vollständig gleichgiltig. Laß’ Laß’ Dich also nicht erregen. Blick’ weit hinaus in die Zukunft, laß’ Dich vom
Tage nicht unterkriegen und vertrau’ auf Dich, wie ich auf Dich vertraue.
Das ist freilich Alles recht vag und allgemein. Ich wünschte, ich wüßte Nah Näheres oder könnte gar bei Dirsein, um die Dinge im Einzelnen mit durchzuleben. Dusollst
aber jedenfalls nicht glauben, daß Du mirschreiben mußt. Ich verstehe es, daß Du
wenig Stimmung zu Briefen findest, und warteschon meine Zeit ab. Nur möchte ich
wissen, wann ungefähr die Aufführungsein wird; und wennsie dann ist, möchte ich mir am nächsten Morgen eine Depesche über das Resultat
erbitten.
Ist Bahr nicht mit unter denen, gegen die Du zu
kämpfen hast? Die KritikA. G. [ = Alfred Gold]: Arthur Schnitzler: Sterben. In: Die Zeit, Bd. 2, Nr. 14, 5. 1. 1895, S. 14. über »Sterben« in der »Zeit« war ebenso dumm als beschmocktpejorativ: auf Wirkung,
Effekt bedacht.
Ichsandte Dir dieser Tage ein paar französische Zeitungsartikelnicht
überliefert. Du findest darunter vielleicht Manches, das Dich zerstreut.
Kann ich Dirsonst was aus Parisschicken? Das Gescheiteste wäre, Du ließest den ganzen Kram in Wien im Stich und kämest auf vierzehn Tage hierher. Das würde
Dir gut thun!
Im Sommer werden wir uns kaumsehenTrotz
Goldmanns Kuraufenthalt in Bad Tölz sahen sich die beiden zwischen und in Bayern. können. Ich werde krank.
und kränker, und mein Schwager besteht darauf, daß ich während meines Urlaubs eine Kur gebrauche,
vielleicht in Toelz, im bairischen
Hochgebirge.
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund, undsei guten Muths!
Dein
treuer
Paul Goldmann