Frankfurter Zeitung(Gazette de Francfort). Fondateur M. L.
Sonnemann.Paris, 24. Juni.Journal politique, financier,commercial et littéraire.Paraissant trois fois par jour.Bureau à Paris24. Rue Feydeau.Mein lieber Freund,Eben bekomme ich Deinen lieben Brief. Nur rasch ein paar Zeilen. Mit Deinen Urtheilen
über die gesandten Drucksachen.
– es ist wirklich zu viel Mühe, daß Du mir lange darüberschreibst – bin ich
Wort für Wort einverstanden. Du mußt bedenken, daß ich Dir kunterbunt durcheinanderschicke, was mir interessant erscheint – Einiges
wegenstylistischer Schönheiten oder origineller Anschauungen – Anderes wieder nur,
weil es ein beachtenswerther Absurditäts-Fall ist (z. B. Rochefort). dDer Fall WildeDer Polemiker Victor Henri de Rochefort, der nach seiner politischen
Verfolgung sechs Jahre im Londoner Exil lebte,
wurde im Februar 1895 amnestiert und kehrte ruhmvoll
nach Paris zurück, wo er sich unter anderem
zur Dreyfus-Affäre zu Wort meldete. Es ist
unklar, auf welchen Text Goldmann hier
Bezug nahm. Oscar Wilde wurde wegen
»Unzucht« am 25. 5. 1895 zu zwei Jahren Zuchthaus
mit schwerer Zwangsarbeit verurteilt. Vgl. den gesandten Text von Paul Adam: »L’Assaut malicieux«. In: La Revue blanche, Jg. 8, Nr. 47, 15. 5. 1895, S. 458–462. empört michschon lange. Das
englische Zuchthaus begreife
ich übrigens zur Noth, dassind dumme heuchlerische
Bourgeois, in England – damit hat mansich
abgefunden. Aber da gibt es diesen Kerl, den Dr. Nordau, der nach dem Urtheil an französische und deutschs Blätter Briefe richtet, um zusagen: man möge nur inseinem Briefe
nachlesen, wie er das Schicksal Wildes voraus berechnetMax Nordau hatte sich bereits in
seinem zweibändigen Buch Entartung (1892–1893) mit Oscar Wilde beschäftigt, dessen vermeintliche Degeneration er
analysierte. Dass er damit den »Fall Wilde«
hervorgesagt habe, betonte er beispielsweise in einem Interview: Paul Roche: Oscar Wilde judgé par le docteur Max Nordau. In: Le Gaulois, Jg. 29, Nr. 5443,
10. 4. 1895, S. 1–2. – um also
aus dem Schicksal dieses Bemitleidenswerthensich eine Reklame fürseinen Dekadenz-Schwindel zu
machen. Das macht mir das Blut kochen – da möchte ich
losprügeln können mit Fäusten und Stiefel-Absätzen.
Über einen französischen
VerlegerLiebelei wurde 1896 und 1897 von Jean Thorel ins Französische übersetzt, jedoch erst in der
Übersetzung von Suzanne Clauser im Jahr
1933 unter dem Titel Liebelei (amourette) gedruckt.
aus einer Aufführung in Paris denke ichseit Empfang Deines letzten lieben Briefes nach. Das wird aberschwersein. Die Pariser Verlegersind nochschlimmeres
Gesindel als die deutschen. Die
deutschen zahlen nur nichts,
die französischen verlangen,
daß man ihnen zahlt. Wärst Du dazu bereit? Eine Aufführung wäre eher möglich –
aber erst nach einer Aufführung in Berlin oder Wien, nicht
zugleich. Wir reden noch darüber. Ich hab’ die Sacheschon lange im Auge und hab’
auchschon einige Schritte gethan.
Das ist aber immer noch nicht der große Brief – nur
ein paar rasche Worte, ehe die KaKammer beginnt. Darumschreibe
ich nicht über allerlei Persönliches, das ich längst berühren möchte.
Es wäre mir eine große Freude, könnt’ ich Dich im Sommersehen; aber ich möchte keine
Störung bringen in Deine Reise-Pläne. Ich muß nach Toelz gehen u. muß dort vier Wochen bleiben. Das ist nicht weit von Muenchen. Wie machen wirs also?
Reise glücklich, liebster Freund! Ich weiß, wie gern Du hinausfährst, und freue mich
für Dich. Laß’ die HypochondHypochondrienSchnitzler notierte 1895 immer wieder hypochondrische Zustände im Tagebuch, zuletzt am . in Wien! Die Welt istschön, und Du bist jung und ein glücklicher
Mensch, – ja, glaub’ mir, ein glücklicher Mensch.
Ich höre wohl Deine Unterwegs-Adresse.
Burckhardt ist unglaublichAm schrieb Schnitzler an Richard Beer-Hofmann
von dem Gerücht, Liebelei würde am Burgtheater nicht mehr aufgeführt werden. Schnitzler konfrontierte Max Burckhard damit, doch der machte deutlich, dass er es
unter allen Umständen aufführen werde. .. Es wäre sogarschon komisch, wenns Dich nicht gerade träfe.
Aber auch ich bin fest überzeugt: das Stückwird aufgeführt.
Dem Fuchs thatst oh Du Unrecht. Er ist kein Concordia-Literat mehr,sondern ein lieber, neidloser, treuer, einfacher Mensch, der alt wird und gut
wird. Als Mensch tausendmal mehr werth, wie Herzl.
Herzlschreibt einen RomanIm Sommer 1895,
kurz vor seiner Rückkehr nach Wien, spielte Theodor Herzl mit der Idee, einen
politischen Roman zu schreiben. Vgl. Shlomo Avineri: Herzl. Theodor
Herzl und die Gründung des jüdischen Staates. Berlin: eBook Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 2016,
S. 181..
Was macht RicRichard? Schreibt er was? Undsehe ich ihn?
Wie geht die »Zeit«?
Die Übersetzung von »Sterben« ist nicht übel. Dank für die
Zusendung.
Bahr hat hierher geschrieben, um die Unterschriften der französischen Schriftsteller-Welt zur zum Verlangen einer Aufführung eines GoldschmidtschenMusik-DramasDas monumentale Musikdrama Gäa von Adalbert von
Goldschmidt wurde seit 1892 von Bahr für die Aufführung propagiert (vgl. Hermann Bahr: Adalbert von Goldschmidt. In: Deutsche Zeitung, Jg. 22, Nr. 7490,
4. 11. 1892, Morgen-Ausgabe, S. 6). Erster Anlass war
dazu das Erscheinen einer französischen Übersetzung durch Catulle Mendès (Ghea. Poeme dramatique. Mis en Français
par Catulle Mendès.
Paris: G. Charpentier et E.
Fasquelle1893.) Eine vollständige Inszenierung würde drei Tage dauern. Auf Initiative
von Bahr entstanden Komitees in Wien, Berlin
und Paris, die die Aufführung bewerkstelligen
sollten. Goldmann irrte sich jedoch in der
Bereitwilligkeit französischer Kulturgrößen, ihren Namen dafür herzugeben. Im März
1896 erschien eine Petition, die die Aufführung forderte (»Gäa«. In: Neue Deutsche Rundschau, Jg. 7, H. 3, März 1896,
S. 3039. Sie war unterzeichnet von Julius Bauer, Reinhold Begas, Alfred von Berger, Otto Julius Bierbaum, Max Eugen Burckhard, Alphonse
Daudet, Georg Davidsohn, Max Halbe, Wilhelm Kienzl, Wilhelm von
Knigge, Maurice Kufferath, Charles Lamoureux, Eduard Lassen, Ruggero
Leoncavallo, Arthur Levysohn, Josef Lewinsky, Detlev von Liliencron, Paul Lindau, Rudolf Lothar, Maurice Maeterlinck, Jules Massenet, Catulle
Mendès, Moritz Moszkowski, Felix Mottl, Vittorio Pica, Emanuel
Reicher, Marcel Schwob, Johann Strauss, Hermann Sudermann, Viktor Oskar Tilgner, Ernest Van
Dyck, Sidney Whitman, Hermann Wolff und Émile Zola. zu erhalten, das er, wenn ich nicht
irre, als das größte dieses Jahrhunderts bezeichnet. Man hat ihn
ausgelacht. Aber ist das nicht ekelhaft?
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund, undschreib’ mir bald.
Dein treuer
Paul Goldmann.