Frankfurter Zeitung(Gazette de Francfort). Fondateur M. L.
Sonnemann.Paris, 23. September.Journal politique, financier,commercial et littéraire.Paraissant trois fois par jour.Bureau à Paris24. Rue Feydeau.Mein lieber Freund,Dein Brief beginnt mit allerlei Mißstimmungs-Äußerungen, machtschlimme Erwartungen
rege, – undschließlich kommt Gutes Gutes, nichts als
Gutes (unberufen!). Über das Ergebniß der Leseprobefür die Uraufführung von Liebelei am Burgtheater, .
freue ich mich von Herzen, und ich glaube, es ist Anlaß, Dich dazu zu
beglückwünschen. Die Haltung der großen Tragödin ist lustig zum Sich-Schütteln. Gewiß kann noch
allerlei Tückisches von dieser Seite kommen – aber,
glaub’ mir, sie kann nichts
mehr verderben.,sie ist im Grunde machtlos. dDasscheintsie übrigensselbst zuspüren, dennsonst hättesie Dir nicht
telephonisch gratulirt.
. Ein von Speidel günstig beurtheiltes Stück.
ist doch eine verdammte Geschichte. Davor mußselbst Ldie Luderhaftigkeitsich beugen. Speidel hältsich übrigens wacker. Bravo! Auch BurckhardtsÄußerungen über die Besetzung von AnatolAm hatte Max BurckhardSchnitzler vorgeschlagen, er selbst solle den Anatol spielen, Hermann Bahr den Max und Adele Sandrock alle weiblichen Rollen.sind ein
artiges Stück Comödie. Es ist erstaunlich, wie lustig das Lebensein kann, wenn es will.
Wie Duschreiben kannst, daß Du umsieben Jahre zurückseiest, ist mir unklar. Gibt
es etwa in der Literatur eine Studien- und Examen-Laufbahn, wie in der Jurisprudenz
und Medicin? Jespäter man zuschreiben anfängt, umsomehr hat man vorher gelebt. Und
wenn in den Werken mehr durchgelebtes Leben drin ist,so ist das ein Gewinn. Hier
könnte man das Paradoxon machen, daß in der Literatur die
verlorenen Semester gerade die gewonnenensind. Hättest Du vorsieben Jahren die »Liebelei«schreiben können oder »Sterben«? Unmöglich,
nicht wahr? Nun also!
In der Correspondenz, die ich
meinte.
,sprach Uhl nicht von Dir. Ersagte nur: das Burgtheater verspreche eine Reihe von Novitäten; dasseischön; er wolle
abwarten und am Ende der Saison Abrechnung halten, ob die Direction alle Versprechungen erfüllt.
Damitspielte er wohl auch auf die bisherige Verzögerung der »Liebelei« an, und ich meinte, die Abrechnungs-Drohungsei geeignet, weitere
Verschiebungs-Gelüste etwas zu dämpfen.
Daß Herzl liebenswürdig.
ist, ist gut u. erstaunt mich nicht. Ich rathe Dir dringend,seine Einladung
anzunehmen und für die »Neue Fr. Pr.« FeuilletonsSchnitzler hat zu keinem Zeitpunkt
seines Lebens Feuilletons geschrieben, trotz mehrfacher Angebote von verschiedenen
Seiten. zuschreiben. Sehr nützlich – besonders um nun glen gelegentlich einen besseren Verleger zu
finden.
Zur Mad. Candiani gehe ich demnächst. Inzwischen hat mich die deutsche Frau eines französischen Collegen
ersucht, ich möchte ihr etwas zum Übersetzen empfehlen. Ich habe ihr die »Kleine Komödie« gegeben. Denn der betr. College ist an der »Liberté«, einemsehr angesehenen u. anständigen Blatte, u. könnte vielleicht die ÜbersetzungArthur Schnitzler: La Petite comédie. Mœurs viennois. Übersetzt von Mme. Georges Aubry. In: La Liberté, Jg. 30, Nr. 11.327, 19. 11. 1895 bis Nr. 11.336, 28. 11. 1895 (acht Teile). dort placiren. Als
Zeitungs-Novelle ginge die Geschichte recht gut. Kriegen wirst Du
natürlich nichts, aber es wäre recht hübsch, wenn etwas von Dir in einem franPariser Tagesblatte erschiene. Bist Du einverstanden,soschreibte mir einen Brief., gerichtet an Madame Aubry (dies der Name). »Madame, Je vous
autorise bien volontiers à traduire en francais ma nouvelle »Kleine Komödie«, u.sonst etwas
Verbindliches. Ich würede mich freuen, wenn der kleine Plan gelänge
Die Ida Fanjung ist hier und läßt Euch Alle grüßen. Eine große Freude für mich. Mit ihrem offenen Character und ihrer Geradheit istsie wie ein
männlicher Freund. Freilich ganz unkünstlerisch und ohne Feinheiten. Siespürt, daßsie unkünstlerisch ist, und ist darum innerlich mitsich zerfallen. Hätte wohl nicht
zur Bühne gehensollen
Lies’ Rubinstein: »Die Musik u. ihre Meister«. Habeselten
etwasso Geistreiches über Musik gelesen, – wenn er auch Wagner nicht mag. Von »Juliens TagebuchPeter Nansen: Julies Tagebuch. Roman. Autorisierte Übersetzung aus
dem Dänischen von Mathilde Mann. In: Neue Deutsche Rundschau, Jg. 6, Nr. 1,
Januar 1895, S. 11–38; Nr. 2, Februar 1895,
S. 116–143; Nr. 3, März 1895, S. 225–254. Im selben Jahr
erschien die Buchausgabe bei S. Fischer
(Originalausgabe: Julies Dagbog.
Roman, 1893).« bin ich nicht garso entzückt. Ich mag die Bücher nicht, die thun, als ob es nichts in der Welt gäbe, als Liebe,
und als ob das garso wichtigsei! Freilich, ein Mann von großem Talent. Packt Einen aber nicht in den
Tiefen.
Was Dir Paul Schultz gesagt, ist die officiöse
VersionAm hatte sich
Schnitzler mit Paul Schulz unterhalten und dabei erfahren, warum Berthold Frischauer zum Pariser Korrespondenten der Neuen Freien Presse in Nachfolge von Theodor Herzl ernannt worden war. u. eine alberne Lüge. Ich habe
hier die Wahrheit gehört. Man hat mich nicht genommen aus verschiedenen persönlichen Gründen, deren hauptsächlicher die alte
Todfeindschaft.
war zwischen meinem Onkel und dem Blatte
Meine Stimmung? Ich wünschte, es wäre wieder Urlaub und ich wäre wieder mit Dir
zusammen.
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund, undschreib’ bald, – besonders, wie die Dinge im
Burgtheater weitergehen.
In Treue
Dein
Paul GoldmannWie gefällt Dir folgender Satz: »Und alle möglichen Unzulänglichkeiten
menschlicher Verhältnisse wurden eilig wieder deutlich.«? Du meinst, dassei von
Goethe. Aber nein, es ist von Arthur Schnitzler undsteht
in Deinem letzten Briefe. Wäre ich jetzt bei Dir,so würde ich Dirschleunigst den
Goethe wegnehmen. Du glaubst, der Mannschreibe da die auf ihre ursprüngliche Bedeutung zurückgeführte Sprache, das »Deutsche
an und fürsich«. Aber nein, erschreibt einen
Styl, seinen Styl, der ein ganz anderer ist, als
der Schnitzlersche. Laß’ ihn wirklich einmal ein paar
Wochen liegen, den alten Herrn, wenn ersichso hinterlistig in Deine
Individualität einschleicht, wie obiges Beispiel zeigt, das mich nicht wenig
vergnügt hat.