Frankfurter Zeitung(Gazette de Francfort).Fondateur M. L.
Sonnemann.Paris, 145. October.Journal politique, financier,commercial et littéraire.Paraissant trois fois par jour.Bureau à Paris24. Rue Feydeau.Mein lieber Freund,SpeidelsFeuilletonL. Sp. [ = Ludwig Speidel]: Burgtheater. (»Liebelei«, Schauspiel in drei Aufzügen von
Arthur Schnitzler. – »Rechte der Seele«, Schauspiel in einem Act von
Giuseppe Giacosa, deutsch von Otto Eisenschitz.) In: Neue Freie Presse, Nr. 11.184, 13. 10. 1895, Morgenblatt, S. 1–3. habe ich gestern gelesen, und es hat mich entzückt. Es istschön
und einfach geschrieben, und vor Allem freut es mich, daß er Deinem Characterso gerecht wird, daß erso wohl versteht,
wie der Werth Deiner Production neb neben allem Talent auch im Moralischen liegt, imn dem Muthe, in dem starken Streben, ganz einfach das Wahre zusagen, unbekümmert um die
das Treiben und Reden der Anderen. Er ist doch ein großer Kritiker, und z. B. Herzl inseiner gesuchten und manierirten Art hätte das nie gefunden. Ob er Dich
überschätzt? Gewiß, er hätte Einiges tadeln können. Ich verstehe vollständig, was Du
meinst. Ich begreife, daß es Dich in Verlegenheitsetzt,so rückhaltslos gelobt zu
werden. Vor Enttäuschungen fürchte ich mich zwar
nicht. Aber ich kann es nachfühlen, daß Du, als ehrlichstrebender Mensch, Dich
fortwährend unfertig fühlst und daß es Dir daher
peinlich ist, wenn man Dich als einen S Vollendeten hinstellt. Ein Herzl, David oder Nordau hätte SpeidelsFeuilleton einfach als den ihm
gebührenden Tribut hingenommen. Du, in Deiner Bescheidenheit und Grundehrlichkeit,
mußtest davon in Verlegenheit gebracht werden. Dasstimmt Alles. Wenn aber Dusagen
mußt, Speidel habe ich Dich überschätzft,so darf ichsagen: Nein, er überschätzt Dich nicht. VeVerge Ersagt von Dir gerade das, was Dir gebührt. Vergiß’ auch nicht, mein lieber Freund, daß Speidel Dich in Deiner ganzen Art neu entdeckt – daß Deine ganze Persönlichkeit ihm
eine neue Erscheinung ist, während wir dieselbe längst kennen – und daß ersich mit dieser bedeutenden
Persönlichkeit (entschuldige diestarken Ausdrücke, abersie lassensich nicht
vermeiden) ab im Ganzen abzufinden hat, nicht blos bei deren letztem Ausfluß, der »Liebelei«, deren kleine Mängel er darum nichtsieht, weil er das Gesammtbild inseinen großen Linien vor Augen hat. Das Feuilleton gilt auch mehr dem allgemeinen Arthur Schnitzler, als dem besonderen Drama.
Daß der materielle Erfolgsich nun auch einstellt, habe ich gleichfalls
vorausgesehen. Ganz Wienist wird hineinlaufen, um dieses ech echt Wiener Stück zu sehensehen. Ich bin
wahrhaft glücklich, daß esso gut geht. Du ahnst gar nicht, welch’ große materielle Wirkung SpeidelsFeuilleton für Dich haben wird;. In jeder Beziehung bist Du nun lancirt, – bist aus der Menge der im Dunkeln
Strebenden herausgehoben undstehst auf der Höhe mit den Wenigen.
Um Dich dort zu erhalten, wirst Du weiter thätigsein, wie bisher. Und zwar mußsich
– das wird sich auch naturgemäß als
Entwickelungs-Resultat ergeben – Deine Kunst erweitern und vertiefen. Sie muß,statt
wie bisher nur eine Seite des Lebens, allmälig das ganzeLeben umfassen. Concret les gesprochen: Du darfst höchstens noch ein Süßes-Mädel-Mädel-Stück.
schreiben. Dann mußt Du hinaus ins große Ganze – immer weiter von Deines
Herzens besonderen Erlebnissen weg – mußt aus dem Vollen nehmen und gestalten. In »Märchen« und »Liebelei«
hast Du Deine eigene Jugend poetisch ausgestaltet; vielleicht wirst Du das auch in
»Freiwild« thun; das macht nichts. Dann aber
mußt Du zeigen, daß Du nicht nur Dein Leben,sondern auch das Leben And der Anderen zu gestalten weißt., – das eigentliche, das große Leben. Wenn Du das kannst, wirst Du ein großer
Dichtersein;. Und ich bin überzeugt – auch nach all’ dem
Schönen, was diese Tage gebracht haben, werden wir
auch das noch er erleben. Alle Zeichen deuten darauf
hin.
Was Deine Umänderungs-Pläne betrifft,so halte ich Dein Gefühl für durchaus richtig.
Gewiß, der alte Weiring müßte mehr hervortreten, müßte dramatischer werden. Die Art, wie Duseine
dramatische Be Belebung Dir denkst, finde ich durchaus bill billigenswerth. Wenn Du Lust und Stimmung dazu hast,
versuchs immerhin. Der zweite AktAm notierte Schnitzler im Tagebuch
die »Idee, die Schwester des alten Weiring in den 2. Akt zu bringen als Lebende
«. Herzl habe außerdem die Idee gehabt, »Weir. soll betonen, er
habe kein Recht, Christine zu halten, da er sein Leben verträumt etc.
« Ab dem
arbeitete Schnitzler den zweiten Akt um, jedoch ohne je eine
neue Fassung fertigzustellen. kann durch eine kräftige Sce Scene dieser Art nur gewinnen. Anderseits möchte ich Dir aber zu bedenkemn geben, daß es immerhin gewagt ist, ein fertiges Werk, das auch
bereits vor dem Publicumseine Probe bestanden hat, nachträglich zu ändern.
Werden die nachträglich eingeschobenen Scenen nicht einen anderen Ton
anschlagen undso den Gesammt-Ton des Stückesstören? Liegt nicht überhaupt die Gefahr fo vor, daß durch die nachträgliche Einschiebung die ganze ÖkonomÖkonomie des Stückes gesc geschädigt wird? Dassind Fragen, die nur Du allein beantworten kannst. Im
Allgemeinen bin ich, nach Erwägung aller Gründe und Gegengründe, eher für die Änderung als dagegen. Du hältstsie für
nöthig und hast Lust und Kraft dazu. Das ist entscheidend.
Herzls Vorschlag gibt mir nur einen
neuen Beweis von der Urtheilslosigkeit des Mannes., und ich verstehe nicht, wie Duseinen Rath als »klug« bezeichnen kannst. Er
will die Existenzfrage hineinmischen. Aber, Du lieber Gott, das bringt ja ein ganz neues und ganz fremdes Element in das Stück – das sociale Element, das Du, bewußt oder unbewußt, mit
Feingefühl vermieden hast!
Davids »Regentag« muß einschöner Drecksein! Entzückend ist die »Neue Fr. Pr.«[O. V.]: Theater- und Kunstnachrichten.
[Deutsches Volkstheater]. In: Neue
Freie Presse, Nr. 1184, 13. 10. 1895,
Morgenblatt, S. 7., die diesen Anlaß braucht, um darzuthun, was für ein bedeutender Mann David ist.
Über Bahrschrieb ich Dir bereits. Nochmals: ich erwarte von Richard oder Loris auf das Bestimmteste, daßsie dem Burschen jene Zurechtweisung zutheil werden lassen, die
infolgeseiner persönlichen Gemeinheiten unumgänglich nöthig geworden ist, die Du ihm
nicht ertheilen darfst, und die ich ihm leider,
nicht fern von Wien, nicht ertheilen kann. Übrigens behalte ich mir doch noch ein
Einschreiten vor, falls die Wiener Freunde versagensollten.
GranichstaedtenSiehe Emil Granichstaedten: Deutsches Volkstheater. (»Ein Regentag«, Charakterbild von
J. J. David). In: Die Presse,
Jg. 48, Nr. 283, 15. 10. 1895, S. 1–2, hier:
S. 2. Siehe auch .? Einen Dienstmann engagiren, um ihm ins Gesicht zu spuckspucken. Es lohnt nicht der Mühe, dasselber zu thun. Aber im SommerAb dem waren Schnitzler,
Goldmann und Beer-Hofmann ein paar Tage gemeinsam in München. wart Ihr Beide jasehr versöhnlich gestimmt gegen
den Herrn!
Stolz werden? Nein, nein, ich weiß weiß! So meinte ich es auch nie. Ich dachte an
etwas Anderes, das kommen wird, zwischen Dir und mir oder zwischen mir und Dir., – langsam, langsam, aber ich fürchte, es kommt. In dieser Beziehungsiehst
Du, glaube ich, nicht, nichtso klar, wiesonst in allen Dingen.
Viele treue Grüße, mein lieber, lieber Freund! Wie bin ich froh, Dichsoweit zu
haben!
Dein Paul Goldmnn