Frankfurter Zeitung(Gazette de Francfort). Fondateur M. L.
Sonnemann.Journal politique, financier,commercial et littéraire.Paraissant trois fois par jour.Bureau à Paris:24. Rue Feydeau.Paris, 5. December.Mein lieber Freund,In Angelegenheit der Aufführung von »Liebelei«
in Paris habe ich gestern einen Schritt gethan, den ich
längst thun wollte. Ich war bei Jean Thorel, dessen Namen Du gewiß kennst. Sehr braver u. gewissenhafter Mensch, wenig Künstler, großer Freund Hauptmanns, von dem er die »Weber« u. »Hannele« für die Pariser Aufführung übersetzt hat,
Intimusv von Antoineetc. Ich habe ihm von Deinem Stück gesprochen, il est très – emballé là-dessusfranzösisch: er ist sehr dafür
eingenommen, will es gern übersetzenDie Übersetzung wurde,
obzwar mit einer Summe von 500 Francs bezahlt, nie fertiggestellt. Am
16. 6. 1910 setzte SchnitzlerJean Thorel davon in Kenntnis, dass er sich
nach vierzehn Jahren nicht mehr an frühere Abmachungen gebunden fühle und er
nunmehr über das Recht, Liebelei übersetzen
zu lassen und auf die Bühne zu bringen, wieder frei verfüge (Deutsches Literaturarchiv Marbach,
HS.1985.1.2069)., unter der Bedingung freilich, daß es zur
Aufführung kommt, will Schritte zur Aufführung bei
ernsten Theatern thun, verlangt aber baldige Einsendung des Buches, im Druk Druck oder auch im Manuscript. Wenn es irgend geht,sende ihm die Sache, mit einem artigen
Briefe, deutsch geschrieben, worin Du Dich entschuldigst, daß Du wegen mangelnder
französischer Stylgewandtheit ihm nicht französischschreibst. Er wird keine
glänzende Übersetzung machen; eine gute französische Übersetzung bekommst Du
überhaupt nicht, da alle übersetzenden Franzosen mehr oder minder plumpe Handwerkersind; aber von Allen, die ich kenne, wird er die
Sache noch am Wenigsten verhunzen. Damit erledigtsich wohl vonselbst der Brief des
jungen MannesHenry de Riaz; von ihm finden sich drei
Briefe aus dem Zeitraum 1895–1896 im Nachlass Schnitzlers. aus Lyon, der mirsonstsehr gefällt undsehr ehrlich zuseinscheint. Aber ich habe
mich nach ihm erkundigt, kein Mensch kennt den Namen,selbst die Lyoner Journalisten nicht. Drum Drum ists wohl besser,sich nicht aufs Unsichere einzulassen und lieber den
geraden Weg, d. h. einen bekannten Übersetzer zu wählen. Entschuldige, daß ich den Briefsolange behalten. Aber
wüßtest Du, was Alles in meinen Kopfe rumort hat,seitdem!
Hast Du an Aubry oder Frau
geschrieben?
Die kürzlich zurückgesandten Drucksachen haben mich interessirt, wie alles Übrige.
WolterWahrscheinlich folgende home story, die in Schnitzlers Zeitungsausschnittsammlung an der University of Exeter aufbewahrt wird (5. Liebelei, box 10/1): Moriz Baumfeld: Bei Charlotte Wolter. In: Extrapost, Jg. 14, Nr. 718, 21. 10. 1895, S. 1–2. Darin erzählt Charlotte Wolter, dass sie nach einem Jahr erstmals wieder
im Theater war und das Pech hatte, Liebelei
zu sehen – eine, wie sie fand, völlig kunstlose Arbeit., die dumme Gans, hat mich belustigt, LudassyEs könnte sich um den Nachtrag der
früheren Kritik handeln: L [ = Julius von Gans-Ludassy]: Burgtheater. »Rechte der Seele«, Schauspiel in einem Acte
von Giuseppe Giacosa: deutsch von Otto Eisenschitz. »Liebelei«, Schauspiel
in drei Acten von Arthur Schnitzler. Beide zum erstenmale aufgeführt am
9. October 1895. In: Wiener Allgemeine
Zeitung, Nr. 5282, 11. 10. 1895,
S. 2–3. mag d ich gar nicht – auch Einer, der mit dem Erfolge geht und Dich bei der ersten
Schwierigkeit im Stich lassen wird. Die kleine ParodieEventuell der ungezeichnete Text: Aus dem Tagebuch einer Weltdame. In: Wiener Caricaturen, Jg. 15, Nr. 42,
20. 10. 1895, S. 2–3. Nicht so sehr eine Parodie, als
eine Satire: Geschildert wird aus der Perspektive einer eher simplen »Dame von
Welt«, wie junge Mädchen nicht durch den Besuch von Liebelei, sondern durch Gespräche in der »stillen
Häuslichkeit
« in sittliche Gefahr geraten. ist nicht übel
gemacht. Daß GranichstaedtenBezug womöglich auf diese Stelle:
»Werden alle die Redlichen, welche das Glück hatten, an Schnitzler’s ›Liebelei‹ Gefallen zu finden, nun auch für David’s ›Ein Regentag‹ das Wort ergreifen und das Lob eines Dichters singen,
der sein Werk aus seiner Seele geholt und mit der Beredtsamkeit seines Herzens
geschmückt hat? – Mag es gelten, daß man jedes Streben mit Wohlwollen fördern
soll. Aber warum offenbart sich dieses Wohlwollen nicht gleich beglückend und
gleich allgemein und kräftig bei dem armen Poeten, der nicht die Zeit hat, so
viele gewiß redliche Freunde gewiß redlich zu gewinnen, der nicht in der Lage
ist, auch in der Gesellschaft als interessanter junger Mann eine Stellung zu
haben? Nicht darin liegt die Gefährlichkeit der Camaraderie, daß sie kleine
Talente aufbläht, sondern darin, daß sie damit echten Talenten den Weg
erschwert, wol auch versperrt. Es ist so leicht, ein ›lieber Kerl‹ zu sein, und
die ›lieben Kerle‹ wissen gar nicht, wie viel himmelschreiendes Unrecht sie
täglich verschulden.
« Emil Granichstaedten: Deutsches Volkstheater. (»Ein Regentag«, Charakterbild von
J. J. David). In: Die Presse,
Jg. 48, Nr. 283, 15. 10. 1895, S. 1–2, hier:
S. 2. jedejede nur irgend mögliche Gemeinheit begeht, istselbstverständlich. Du hast
Recht, Dich nicht dabei aufzuhalten. Weiterschreiben ist die beste Antwort. Zum Hassen und zum Bekämpfensolcher
persönlicher Widersacher haben nur die unproductiven Leute Zeit,.wie z. B. Nur den Bahr würde ich an Deiner Stelle doch einsalzen. Das ist nämlich eine Maßnahme von
Hygiene des alltäglichen Lebens. Der Bursch darf Dir nicht mehr ins Haus, es muß ein deutlicher
und klarer Bruch zwischen Dir und ihmsein. Was hast Du ihm auf das infame BilletGemeint ist die herzliche Gratulation, trotz der mehr als
distanzierten Kritik von
Liebelei, . geantwortet, das er Dir nachseiner Kritikzuschreiben die Frechheit heatte?
BergersFeuilletonAlfred Freiherr von Berger: Burgtheater. In: Montags-Revue, Jg. 26, Nr. 41, 14. 10. 1895, S. 1–4. hast Du mir leider nicht
geschickt.
Daran, daß die Leute Deinen Erfolg Deinen Freunden und Beziehungen zuschreiben, wirst
Du Dich gewöhnen müssen. Das Gesindel d kann doch
nicht rückhaltslos loben; irgend etwas Geringschätzendes müssensie einfließen
lassen. So habensie das gefunden. Beim nächsten Erfolg werdensieschon auf etwas
Neues kommen. Das Alles hat aber nicht die geringste Bedeutung, und mit all’ ihrer Gemeinheit, vorn herum oder
hinten herum, könnensie Dir nichts Wesentliches rauben. rauben.
Herzl war bei mir undsagte über Dich wohl wohlwollend: »Der ist jetzt der größte Dichter von Wien«. Auch diesen wirst Du bald auf der Gegenseite finden. Oh
was für ein widerliches Subject! Ich habe nicht die Kraft verhehlt,
ihn gehabt, ihm diesmal den abstoßenden Eindruck zu verbergen, den er mir
machte.
Auch Sudermann ist mir nichtsympathisch. Freilich ist er zu Dir anders,
wie zu mir. Aber dieseseine Einfachheit ist eine ist
eine gemachte; und er istsogar eitel darauf, derschöne Mann zusein. Auch bin ich
überzeugt, bei Fra Frauenspielt er den Räthselhaften
und Dämonischen.
Hast Du nun wirklich die »Liebelei« für Dich
umgearbeitet? Und was macht das neue Stück? Werde ich es im Manuskript zusehen
bekommen, auf einen Tag, wie immer? Und was schreibst DusonstSchnitzler arbeitete an Freiwild, einem Schauspiel, mit dem er zu diesem Zeitpunkt
sehr unzufrieden war (). Am begann er zudem die Erzählung Die Frau des Weisen neu.? Und wie und mit wem lebst
Du? Was macht die große Tragödin? Wie lange wird die »Liebelei«
noch gespielt werden? Der Erfolg ist phänomenal. Hast Du viel Geld verdient? Und dassparst Du doch hoffentlich? Hast Du diesechs EAusschnitteBeilage nicht erhalten. Eventuell Teile der bis
28. 11. 1895 in acht Folgen abgedruckten Übersetzung von Die kleine Komödie, La
petite comédie. aus der »Liberté« erhalten, die ich Dirsenden ließ? Was macht die Frau Lou Andreas? Was macht Richard? Arbeitet er? Wird was von ihm erscheinen?
Wir Zwei! In einem Deiner Briefe befindetsich eine lange und rührende Stelle
darüber, die mich jetzt beim Wiederlesen nicht weniger bewegt, als beim Af
ersten Mal. Es ist lieb, daß Du Dirsolche Mühe gibst, mir dieschlimmen Dinge
auszureden. Sprechen muß ich Dir davon, denn ich bin Dir Ehrlichkeitschuldig. Von
Dir aus ist gewiß nichts zu befürchten. Du wirst Dich nicht ändern, was auch kommen mag, und wirst einfach und treu bleiben. Aber in
mirsitzt das Übel. Ich habe die Empfindung – undsie kehrt immer wieder, trotz allen
Ankämpfens dagegen – daß Du mir auf einmal ferner gerückt bist, als je, daß Du und
ich jetzt auf zwei ganz verschiedenen Lebensgefildenstehen, die weiter auseinander
liegen, als feWien und Paris, und w durch etwas Weiteres getrenntsind, als
durch einen Raum von fünf Jahren. Du und ich, w wir
werden jetzt zwei verschiedene Leben führen. Das
kommt nicht plötzlich, aber ganz all allmälig,
ganz unmerklich. Du wirst oben leben, und ich unten. Derjenige aber, der unten
bleibt, bemerkt die Veränderung immer zuerst. Ich b habe die Empfindung, daß Du mir mir langsam
entrückt wirst, und daß ich Dir nicht nach kann. Ich denke noch mir, daß ich ein Stadium in Deinem Dasein war, daßsich Dein Leben von mir weg weiter entwickelt: denn mein Leben ent entwickeltsich nicht, und ich bleibestehen. Ich meine, daß Du mich nicht mehr brauchst, und daß
meine Rolle auprès de ta personnefranzösisch: im Bezug auf Deine
Person ausgespielt ist. Ichsehe Dich weit, weit weg von mir. Schreib’ mir,
was Du willst, ich kann mir nicht helfen: ich sehe
Dich ebenso. Ich weiß, daß Du die größten Kraftanstrengungen machen wirst, um mich
mit Dir zu nehmen; aber ich weiß, daß keine Kraft
da nützen kann, weil es ein Gesetz ist, daß ich
zurückbleiben muß.
Ich drücke das Allesschlecht aus. Es ist heut wieder
einschlimmer Tag. Ichsitze mitschwerem Kopfe da, und habe mich eine Nachtschlaflos herumgewälzt, in Seelenqualen. Die Arbeit habe ichsatt. Habs wieder einmal
mit dem Leben versuchen wollen. Oh, was für eine Sehnsucht ich danach habe, nach dem
heißen, lebendigen Leben! Nicht vorwärtskommen,
gut! Der Ehrgeiz und das Alles ist doch nur künstlich! Aber leben! Und da ist einsüßes Kindnicht identifiziert, die der
liebe Herrgott für mich geschaffen hat.,Grisette oderso etwas. Abersie kann mich nicht lieben, weil ich nicht jung bin und
kein feuriger Liebhaber. Und da es nun nichts wird und da alle Sehnsucht wieder
einmal vergeblich war, entdecke ich, daß ich im Innernstets eine Angst davor gehabt habe, es könne doch wahr werden und mir doch
gelingen!
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund!
Dein
treuer
Paul GoldmnnSchreib’ bald!