Frankfurter Zeitung(Gazette de Francfort).Fondateur M.L. Sonnemann.Journal politique,
financier,commercial et littéraire.Paraissant trois fois par jour.Bureau à Paris:24. Rue Feydeau.Paris, 23. Januar.Mein lieber Freund,Wann ist also die Berliner AufführungDie Premiere von Liebelei am Deutschen Theater
Berlin fand am in Anwesenheit Schnitzlers statt.? Ichsehe mit Vergnügen, wie ein Stück nach dem
andern dort durchfällt: HauptmannGerhart Hauptmann: Florian Geyer. Die Tragödie des Bauernkrieges hatte am
4. 1. 1896 am Deutschen
Theater in Berlin die
Uraufführung erlebt., HalbeMax Halbe: Lebenswende. Tragikomödie in 5 Akten war am
21. 1. 1896 am Deutschen
Theater in Berlin uraufgeführt worden.
etc. Das ist vom Schicksal glänzend arrangirt, um Deinen
Erfolg ins rech das nöthige Relief zu geben. Mein
College Wolff vom »Berl. Tageblatt«, der Dir zu Deinem
Frankfurter Erfolge gratuliren läßt, läßt Dich auch fragen, ob er Dir in
Berlin irgendwie mit Einführungen dienen kann?
Er kennt dort natürlich die ganze Welt. Ich glaube,
die beste Einführung ist Dein Stück und Deine Person. Immerhin wollte ich Dir doch das Anerbieten
übermitteln.
Thorel habe ich lange nicht gesehen; abersobald ich Zeit habe,suche ich ihn auf.
Daß Dir das Opernglas.
gefällt, erstaunt mich. Mir gefällt es nicht. Aber im Theater hat essich
wohl bewährt? Ja? Wassoll ich mit den 5 Frcs 40 machen,
die mir von der Kaufsumme übrig bleiben?
Bahrs kleine ErbärmlichkeitenAm kam
es zu einer Aussprache zwischen Schnitzler
und Bahr, die sowohl den Freundeskreis
betraf als auch die Reaktion Bahrs auf den
Erfolg von Liebelei.sind recht
heiter; es werdenschon größere nachfolgen,sei
beruhigt! Die »Zeit« lese ich kaum mehr;sie ist
gar zuschlecht geworden. Höchstens hier und da ein Artikel von Loris, und auch an dem habe ich wenig Freude. Ich wende mich immer mehr von ihm ab,
und vor Allem werde ich ihm nie verzeihen, daß er nicht in entschiedener Weise
zwischen Dir und Bahr gewählt hat. Liest Du KannersFeuilletons aus ChinaHeinrich Kanner war im Auftrag der Frankfurter Zeitung nach China gereist und publizierte seine Reiseeindrücke in
dieser Zeitung. Das erste
Feuilleton – Östlich um die Welt. I –
erschien am 26. 11. 1895 (Jg. 40, Nr. 328,
Erstes Morgenblatt, S. 1–3). Weitere Einträge – zumeist unter dem Titel
»Ostwärts um die Welt« – folgten am 2. 12. 1895,
12. 12. 1895, 24. 12. 1895, 15. 1. 1896, 22. 1. 1896, 26. 1. 1896, 8. 2. 1896 und am 29. 2. 1896. Teilweise wurden sie auch in der
Wochenschrift Die Zeit nachgedruckt.?
Siesind erbärmlich. Der Mann hat keine Augen undsieht nichts.
Natürlich waren meine Leute in Frankfurt von Dir entzückt, besonders meine Mutter. Mein Schwager findet, Du hättest Ähnlichkeit mit
mir. Bedank’ Dich bei ihm für das Compliment.
Deine Zweifel, Melancholien und
Hypochondrien und .
nehme ich recht gleichmüthig auf. Das heißt, es thut mir innig leid, daß Du
von alledem gequält wirst. Aber da man auf Erdenschon Erdenschon einmal gequält werden muß,so ist es besser, daß das Leid
in dieser Form an Dich heranherantritt, als in einer andern. In dem, was Duschreibst, ist nichts, was nicht normal wäre. Du bist ein großes Talent, und Du mußt
infolgedessen naturnothwendig zu Zeiten glauben, daß Du es nicht bist. All’ das, was Du von Deinen Verstimmungenschilderst, – das ist
der Ne Nebel, der im Grunde jeder Künstlerseele
braut, und – der Schöpfungsnebel, aus dem die
Kunstwerke erstehen. Undso ist des Künstlers Erdenwallen: durch Verstimmungen zur
Stimmung! Daß Dir die
Vergänglichkeit des Lebens wehthut, ist traurig. Aber ich kann Dir darauf nur immer
antworten: Wenn Du, wie jemand Anderer, den ich kenne, bereits immer am 15. jedes
Monats mit Deinem Gehalt fertig wärest und nicht wüßtest, woher Du Geld nehmensollst, um weiter zu leben und Schulden zu zahlen –so hättest Du keine Zeit, Dich um
die Vergänglichkeit des Lebens zusorgen. Und – ganz im Ernst gesprochen – es ist
besser, vor dem Tode zu zittern, als vor dem
Schneider, der die unbezahlte Rechnung präsentiren kommt. Du hast die edleren
Schmerzen, mein lieber Freund – undselbst hier bist Du ein »Sonntgagskind«. Und wenn ich Deinen Kummer lese,so ruft das in mir nur ein Gefühl
des – Neides wach. Oh wenn ich auchso leid leiden
könnte, wie dieser glückliche junge Mann! Und dann: Du erlebst nichts zu Ende. Aber
wenigstens erlebst Du etwas. Aber ich kenne Leute,
bei dene denen es im ganzen Leben nie auch nur zum
Anfang kommt. Das ist das Entsetzliche, wenn mansieht, wie das Leben vorüberrast –
wenn man mitleben möchte und nicht die Kraft dazu hat – wenn man einesschönen Tages
en entdeckt, daß die Jugend vorbei ist, ohne daß
man jemals jung war – und wenn man genau weiß, daß das immersosein wird und daß man
eines Ta anderenschönen Tages auf das ganze Leben zurückblicken wird mit dem Bewußtsein,
mit der zehrenden Reue, daß man nie gelebt hat! Du hingegen – Du lebst! Kein
glühendes Gefühl des Daseins – meinetwegen! Aber wo ist es, dieses glühende Gefühl,
als bei den ganz Animalischen? Und auch bei denen, glaube ich, ist es nichtso
glühend. Ich meine, auch das ist ein Ideal, das nicht existirt. Alles Menschliche ist
unv unvollkommen, und ich glaube, nicht einmal leben können wir ordentlich. Nicht Du allein –
Keiner! Es gibt keine ganzen, keine glühenden Gefühle. Oder doch, ein einziges: die Sehnsucht. Was wir nicht haben – oh ja, in dem ist Gluth, Schönheit und
Vollendung. Aber in dem, was wir haben, – in dem, was wir leben, – da ist Alles halb,
jämmerlich und ungefähr.
Schreib’ weiter an Deinem Stücke, mein theurer Freund,
undsei guter Dinge!
In Treue
Dein
Paul GoldmannUnd grüß’ mir meinen lieben Richard!