Frankfurter Zeitung(Gazette de Francfort).Fondateur M.L. Sonnemann.Journal politique,
financier,commercial et littéraire.Paraissant trois fois par jour.Paris, 17. October.Bureau à Paris24. Rue Feydeau.Mein lieber Freund,Warum höre ichso gar nichts mehr von Dir? Deine lieben Nachrichten fehlen mirsehr.
Eineso lange Pause hast Du noch nie gemacht. Ich bin in Sorgen. Bist Du unwohl? Oder
ist Dirsonst etwas Verstimmendes zugestoßenkeine Vorkommnisse
bekannt? Du mußt mir gleichschreiben.
Anbei eine BescheinigungBeilage nicht erhalten von Thorel, dem ich die 500 Fr. ausgehändigt. Diese
Bescheinigung habe ich mir ausstellen lassen, um gegenüber der Société des Auteurs Dramatiques (durch welche hier das Tantièmen-Geschäft geht) den Darlehens-Character des von Dir gezahlten Betrages zu constatiren. Heb’ Dir das
Billet gut auf!
Die Übersetzung istseit gestern in meinen Händen. Ich willsie ein wenig
durchschauen, dannsollsie copirt werden, und dann bekommst Du die Copie. Große
Schwierigkeiten macht uns das »Josefstädter Theater«das in Liebelei
mehrmals namentlich erwähnt wird. In Paris hat natürlich kein Mensch eine Ahnung, was für ein Ding das ist? Wiesoll man
das also im Französischen umschreiben, um dem Publicum den Eindruck des Vorstadt-Milieus zu geben?
Vielleicht einfach: »un théâtre
du faubourgfranzösisch: Vorstadttheater«?
Oder fällt Dir was Besseres ein.
Anbei auch ein AusschnittSiehe unten. aus unserem Blatte über eine dieser Tage
vorgefallene Säbel-Affaire. Wenn Du h das noch nicht gelesen hast, wirds Dich interessiren.
Wiestehts mit BerlinSiehe dazu vor allem Der Briefwechsel Arthur Schnitzler – Otto Brahm.
Vollständige Ausgabe. Herausgegeben, eingeleitet und erläutert von Oskar
Seidlin. Tübingen: Niemeyer1975, S. 14 ff.
?
Durch die verfluchten RussenfesteGoldmann bezog sich hier wohl auf den Frankreich-Besuch des Zaren Nikolaus II. und der Kaiserin Alexandra Fjodorowna zwischen dem 5. und 9. 10. 1896 und den damit
einhergehenden »Zarentagen« in Paris.
habe ich noch keine Zeit gehabt, zu Forain zu gehen. Das bleibt für nächste Woche.
Viele treue Grüße!
Dein
Paul GoldmannLeo Fanjung war hier, mit dem ich mich riesig gesreut habe. Welch’
ein liebes Kind!
Wieschon mitgetheiltDer beiliegende Ausschnitt ist aus der Frankfurter Zeitung ausgeschnitten: Tages-Rundschau. In: Frankfurter Zeitung, Jg. 41, Nr. 286,
14. 10. 1896, Abendblatt, S. 1. wurde, hat in Karlsruhe ein Offizier einen Bürger ohne jede Veranlassung niedergestochen. Ueber den
traurigen Vorgang erhalten wir von einem Augenzeugen zugleich nach den Mittheilungen
weiterer Augenzeugen eine Darstellung, die durchaus den Eindruck der Glaubwürdigkeit
macht. Wir gebensie nachstehend wieder, da der Vorgang zu einigen Bemerkungen an
dieser Stelle Veranlassung gibt. Der Augenzeugeschreibt:
Premierlieutenant v. Brüsewitz begann mit Siepmann einen Wortwechsel, weil dieser
angeblich beim Niedersitzen anseinen Stuhl gestoßenseinsoll, was übrigensselbst
von den mit Siepmann am gleichen Tischesitzenden Personen nicht bemerkt wurde. Siepmann erwiderte, er wisse nichts davon, daß er v. Brüsewitz angerempelt habe. Dieser rief hierauf den
Wirthnicht identifiziert und forderte
ihn auf, Siepmann hinauszuweisen, der nicht
wisse, wie ersich zu betragen habe. Der Wirthsuchte die Beiden durch Zureden zu beruhigen, was ihm
anscheinend auch gelang. Siepmann verließ
dann das Lokal, kam aber
gleich darauf wieder herein undsetztesich. Nach kurzer Zeit rief v. Brüsewitzsehr laut: »Sie haben mich in brüsker Weise
angerempelt undsich nicht entschuldigt.« Siepmann erwiderte: »Ich weiß nichts davon.« Daraufhinsprang v. Brüsewitz auf,stelltesich vor Siepmann hin undschrie: »Wollen Sie mich um
Entschuldigung bitten, ja oder nein, ja oder nein, ja oder nein?« Siepmann blieb ruhigsitzen und erwiderteschließlich:
»Keine Antwort wird Ihnen auch genügen.« Daraufhin trat v. Brüsewitz 2 bis 3 Schritte zurück,schrie: »Nein, das genügt mir ganz und gar nicht«, riß den Säbel aus
der Scheide und wollte mit hochgeschwungener Waffe auf Siepmann eindringen. Der Wirth und der Kellner fielen ihm jedoch in den Arm und
hielten ihn fest, während Siepmann das Lokal verließ und auf den Hof
ging. v. Brüsewitzsteckteseinen Säbel ein,setzte die Mütze auf, zog den Mantel an und rief dabei: »Meine
Ehre ist kaput, ich bin ein todter Mann; morgen kann ich meinen Abschied
einreichen.« Mit diesen Worten verließ er das Lokal durch die nach der Karlstraße führende Thür. Dortstand ein Schutzmann, bei demsich v. Brüsewitz erkundigte, ob Siepmann
das Lokal verlassen habe.
Als dieser das verneinte,sagte v. Brüsewitz:
»den muß ich abpassen.« Er holte dann zwei Feldwebel
herbei, denen er befahl, an der Thüre zu bleiben, da er
bedrohtsei. Erselbst ging von der Kaiserstraße aus wieder in den zu den vordern Lokalen führenden Gang hinein.
Inzwischen hatten der Wirth
und ein anderer Herr dem Siepmann im Hofe
zugeredet, ersolle, um die Sache gütlich zu erledigen, am andern Tage zu v. Brüsewitz gehen undsich entschuldigen,
wozu er auch bereitschien. Er bat den Wirth, ihmseinen Hut zu holen. Der Wirth holte den Hut, und wollte Siepmann vom Hofe auf den nach der Kaiserstraße führenden Hausflur lassen. Als er
die Thür öffnete,stand v. Brüsewitz direkt
vor der Thür und wollte mit den Worten: »Wo ist der Schuft?« in den Hof eindringen. Der Wirth faßte ihn am Arme und
rief ihm laut zu: »Herr Lieutenant, der Mann willsich ja entschuldigen.« Von
Brüsewitz erwiderte nichts, zog, als er Siepmann erblickte, den Säbel und ging auf ihn los. Siepmann ergriff die Flucht und rief: »Ich bitte um
Verzeihung, verzeihen Sie mir.« Am Ende des nur wenige Schritte langen Hofes, holte
v. Brüsewitz den Siepmann, der die Thüre zum Lokal nicht fand, ein und stach ihn
nieder. Als er die blutige Waffe wieder einsteckte,sagte er: »So, jetzt ist meine Ehre gerettet,« und begabsich dann durch das Lokal ungehindert auf die
Straße. Siepmann wurde von einigen Herren in
die Portierstube auf ein Bett gebracht, wo er nach etwa einer halben Stunde
verschied. Der Säbel war auf der rechten Seite ungefähr 30 cm
tief eingedrungen und hatte die Leber und wahrscheinlich noch andere Organe
durchbohrt. Die Wunde war absolut tödtlich, und die ärztliche Hilfe war
vergeblich.