Frankfurter Zeitung(Gazette de Francfort).Fondateur M.L. Sonnemann.Journal politique,
financier,commercial et littéraire.Paraissant trois fois par jour.Paris, 2. December.Bureau à Paris24. Rue Feydeau.Mein lieber Freund,Mirscheint, in meinen letzten Brief hatsichsehr gegen meinen Willen ein falscher
Ton eingeschlichen. Du hast etwas vom »Berühmtwerden« herausgehört? Ichschwöre Dir,
ich bin durchdrungen von der Nichtigkeit und Unbedeutenheitzu der Zeit längst veraltete Form von
»Unbedeutendheit« aller jener Vorgänge. Ich habe michsogar im Verdacht,
daß ich ein wen wenig Komödie gespielt habe. Ich glaube, ich hätte mich vielleicht doch nicht geschlagen, wenn ich nicht garsosicher darauf gerechnet hätte, der Andere werde mich nicht erschießen. Du wirst jaselbst auchsehen, wie rasch das Alles vergessen werden wird, wie bald ich in mein Dunkel zurückkehren
werde, nachdem ein flüchtiger Lichtstrahl von draußen auf mich gefallen. Ich glaubesogar, ich habe es von Anfang an ein wenig auf diesen Lichtstrahl angelegt. Ich habe
für Gerechtigkeit eintreten und zugleich mir etwas Rekla Reklame machen wollen. Ich habe mitschlauer Berechnung von Anfang an
gesehen, daß die ganze Angelegenheit ein gutes Mittelsei, auf anständige Weise von
mir reden zu machen. Gewiß war auch die Empörung über das Unrecht dabei. Ich will
mich nichtschlechter machen, als ich bin, aber Du machst mich viel zu gut. Etwas Derartiges, wie Deinen
entzückenden Glückwunschbrief von neulich habe ich nicht verdient. So wie ich Dirs
eben gesagtstehen die Dinge und nicht anders, und ich möchte nicht, daß es einen
Schatten von Unehrlichkeit gebe zwischen Dir und mir.
Jetzt will ich Dir nochsagen, daß ich gestern einen
Brief von Georg Brandes erhielt, worin er mir, zu meiner freudigen Überraschung,schreibt, er habe mich
in Kopenhagen liebgewonnenIm Rahmen der Skandinavien-Reise im Sommer 1896 waren sich auch Goldmann und Georg Brandes begegnet, jedenfalls am .;
will Dir außerdemsagen, daß ich Herzls Art, mich jetzt zu überschätzenGemeint ist wohl: nach dem Pistolenduell; ., ebenso
lächerlich finde, wieseine bisherige Art, mich zu unterschätzen (der Mann ist immer
urtheilslos,so oderso); und will Dich ersuchen, dem Artikel des »Figaro«, den Du im BoBörsen-Courier gefundenMaurice Leudet: L’Affaire Millevoye–Goldmann. In: Le Figaro, Jg. 42, Nr. 326, 21. 11. 1896, S. 1–2. [O. V.]: Verschiedenes. In: Berliner Börsen-Zeitung, Jg. 42, Nr. 531, 24. 11. 1896, Morgen-Ausgabe, S. 12., nicht das
mindeste Gewicht beizulegen. Im »Figaro« werdensolche Dinge nur gedruckt, wenn mansie bezahlt. Der Mann, der diesen Artikel geschrieben, ist ein erbärmliches
Subject, unfähig, irgend Jemandem aus freien Stücken Gerechtigkeit zu erweisen. Ich
vermuthe, daß der Artikel von
der Familie Dreyfus herrührt, und wenn man ihn aufmerksam liest,so ist er ein, unter dem Vorwand v von mir zusprechen, ein geschicktes Plaidoyer für den VerurtVerurtheilten. Und nun wollen
wir kein Wort mehr von der ganzen Geschichte reden, nicht wahr?
Nach alle Allem, was in den letzten Wochen zwischen mir und mirvermutlich eine wörtliche Übersetzung von
»entre moi et moi-même
« gestanden, bin ich jetzt wieder
allein en tête-à-tête avec moi-mêmefranzösisch: mit mir selbst von
Angesicht zu Angesicht. Und dasehe ich erst ganz deutlich, daß alles
Äußere Schwindel war, und daß ich unfähig bin zur
wahren Leistung: ein gutes Buch, ein gutes Stück. Und nicht einmal die Liebe will
kommen. Nie, nie ein geliebtes Wesen in die Arme geschlossen! Und morgen ist die Jugend zu Endemetaphorisch gemeint, Goldmann hatte nicht
Geburtstag! Und es will nicht kommen! Das ist trostlos; und dann gehts
rechtschlimm mit meinen Augen, und ich fürchte, blind zu werden
Entschuldige, daß ich Dir garso viel von mirspreche. Ich freue mich, zu hören, daß
Du wieder arbeitest und daß Dir die Arbeitseelisch gut thut. Die Sachen, mit denen Du
beschäftigt bistAm hatte Schnitzler am Reigen zu schreiben begonnen. Enthusiasmus für dieses neue Stück klingt etwa im Tagebuch-Eintrag vom durch: »Schrieb mit Laune
die 4. Scene des Hemic.
«,
dürften Dirsehr »liegen«. Wie denkst Du aber doch
über das historische WieWiener Stück.
? Vielleicht mit einem jungen Componisten, der ein Bischen alte und neue Wiener Musik dazu machen würde? Würde Dich diese
Abwechselung nicht einmal reizen? Oder willst Du fürs Erste überhaupt kein größeres
Stückschreiben? Auch das würde ichsehr billigen. Und wann kommt Dein Buch bei FischerIm August 1896 vereinbarten S.
Fischer und Schnitzler, eine Sammlung
seiner Novelletten als Buch zu veröffentlichen. Die Frau des Weisen erschien aber erst am 3. 5. 1898.?
Wer ist dieser Stephan Grossmann, den Du mir geschickt hast? Ich habe mich für ihn verwendet, und heut wird mir ein Zeitungs-AusschnittMehrere Tageszeitungen berichteten über die Verhaftung des
Anarchisten und Journalisten Stephan
Großmann in Berlin. Siehe etwa
[O. V.]: Verhaftung eines Wiener
Anarchisten in Berlin. In: Arbeiter-Zeitung, Jg. 8, Nr. 297, 28. 10. 1896, Morgenblatt, S. 5–6. geschickt, worinsteht, daß ersich der Berliner Polizei als Spitzel angeboten habe. H Ich habe ihm gesagt,
daß er, da er mit einer Empfehlung von Dir bei mir erschienen ist, von vo in meinen Augen von vornherein gegen alle Zeitungen Recht hat. Aber er hatsich mis ungeschickt gerechtfertigt; das kann freilich auch Befangenheitsein; imme darum möchte ich gern in zwei Worten hören, wie Du über den Fall denkst?
Ist es wahr, daß die »Allgemeine Zeitung« in andere HändeMit Jahresende 1896 übergab
der mit einer CousineSchnitzlers verheiratete Julius Gans-Ludassy die Herausgabe der Wiener Allgemeinen Zeitung an August Krawani, der zu diesem Zeitpunkt beinahe siebzig
Jahre alt war. Julian Sternberg war seit
einem Jahr als Chefredakteur im Amt und wurde am 30. 6. 1897 von Josef Münz
abgelöst. Die Personalwechsel bedeuteten für Salten, der seit 1894 am Blatt mitarbeitete, zu verschiedenen
Zeiten unterschiedliche Aufgaben, er verlor aber seine Stelle nicht.
übergeht? Was wird aus Salten?
Sei nochmals von ganzem Herzen bedankt für Deine treue Antheilnahme an den letzten
Vorgängen. Tausend herzliche Grüße! Dein Paul Goldmn
Grüße Richard und Leo! Und schreib’ mir recht bald!seitlich am linken Rand
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