Frankfurter Zeitung(Gazette de Francfort).Fondateur M.L. Sonnemann.Paris, 101. März.Journal politique, financier,commercial et littéraire.Paraissant trois fois par jour.Bureau à Paris24. Rue Feydeau.Mein lieber Freund,Ich habe mit der verfluchten Orient-GeschichteHöchstwahrscheinlich Bezug auf den sich zunehmend zum (Türkisch-Griechischen) Krieg aufschaukelnden
Konflikt auf Kreta, über den Goldmann intensiv berichtet hat (). Daneben könnte sich
Goldmann auch auf folgende Berichte beziehen: G [ = Paul Goldmann]: Die
deutsche Orientpolitik und das Ausland. In: Frankfurter Zeitung, Jg. 41, Nr. 64, 5. 3. 1897, S. 1; G [ = Paul Goldmann]: Frankreich. [Zum Tod des Persers Djemal-ed-din]. In: Frankfurter Zeitung, Jg. 41, Nr. 72, 13. 3. 1897, Erstes Morgenblatt,
S. 1. unbändig zu thun. Auch er thut mir mein Auge f unerträglich weh. So kommt es, daß ich Deinen lieben Brief erst heut beantworte.
Ich danke Dir von ganzem Herzen für den Beistand, den Du mir in der Angelegenheit mit
KleinsBruder geliehen. Ich binselbst wohl auch nicht ohne Schuld an diesen Unannehmlichkeiten. Ich lasse mir Leute
dieser Art zu nahe kommen, in einer gewissenschlamperten Liebenswürdigkeit. Auch
habe ich mich von meiner Heftigkeit zusehr hinreißen lassen. Arthur Klein hatsich prachtvoll benommen. Wenn Du ihnsiehst,so danke ihm noch
besonders, bitte,! Freilich hat es weiterhin noch einige Klatschereien gegeben, und die
Unannehmlichkeitensind noch nicht zu Ende. Aber Aber ich mache mir heut große Vorwürfe, Dich
mit der ganzen Sache behelligt zu haben
Soeben erhalte ich für Euch Dich und Richard zwei Nummern von »Politiken«, wo Peter Nansen über Dich und zugleich über uns geschrieben–n– [ = Peter Nansen]: Arthur
Schnitzler. »Elskovsleg«s Forfatter. In: Politiken, Nr. 68, 9. 3. 1897, S. 1. hat. Ich verstehe kein Wort davon,
aber esscheint prächtig zusein. Du Ichsende beide
Nummern an Dich.
Meine Reise nach Nizza.
ist infolge der Orient-Ereignisse auf nächste Woche verschoben.
Ich kann Dir gar nichtsagen, wie ich mich auf Dein
Kommen freue! Ein vorheriges Zusammentreffen in der SchweizSchnitzler war vom bis zum in Zürich. Er kam gerade aus München und reiste nach Paris weiter. ist leider unmöglich. Ich darf mich nicht vom Flecke
rühren; hoffentlich habe ich nur hier während Deiner Anwesenheit wenig zu thun, damit
ich Dich ordentlich genießen kann. Die Wohnungsfrage wird freilich nicht leicht zu
erledigensein. D Ich habe nochmals energischeste
Nachforschungen angestellt. Das Resultat ist das, was ich gewußt hatte: Anständige
französische Familien geben
keine Pension, und diejenigen Familien, welche Pension geben,sind nicht anständig. Ausnahmen gibt es wohl, aber einesolche zu finden, ist reine
Zufallssache. Im Übrigen denke auch ich, daß Du irgendwo zwischen Stadt und Land
wohnensollst, am Besten in Passy, das besonders anmuthig und zugleich bequem ist. Was ich Dirsage,sind keine
definitiven Resultate. Ich habe einige französische Bekannte mit Umfragen beauftragt, und die
Nachforschungen dauern fort. Ein Hotel, wie Du es
wünschest, wird rasch gefundensein,sobald Du mir das Datum meiner Deiner Ankunft mittheilst. Allzuviel Comfort wirst Du freilich nicht finden. Das Pariser Hotelwesen istsehr
zurück. Das hatschon Balzac constatirtBalzac thematisierte die
Beherbergungsindustrie in Paris in mehreren
seiner Bücher. Er beschrieb die Hotels als überfüllt, schmutzig und überteuert,
mit schlechtem Service und wenig Privatsphäre. Kritisiert wurden von ihm auch die
Eigentümerinnen und Eigentümer dieser Hotels, die die Bedürfnisse der Reisenden
ausnutzten und überhöhte Preise für minderwertige Unterkünfte verlangten:
»il n’existe pas encore un seul hôtel où tout voyageur riche puisse
retrouver son chez soi
« (»es gibt bislang kein einziges Hotel, in dem
selbst ein reicher Reisender sich zu Hause fühlen kann«; Illusions Perdues, 2. Teil.),
undseit Balzac hatsich wenig geändert
Was Du mir über Deine Freundinschreibst, istsehrschön. Ich habe nie daran gezweifelt, daßsie
»auf unserem Niveau« ist,schon weilsie Deine Freundin ist. Du kannst Dir
denken, wie ich mich darauf freue,sie kennen zu lernen. Darf ich Dich einstweilen
bitten, mich ihr zu empfehlen?
Nach derso gut verlaufenen Unterredung mit dem Vater und .
sind wohl dieschlimmsten Unannehmlichkeiten vorüber. Ich halte es für ein
großes Glück, daß ein äußerer Zwang Dich auf einige Zeit von Wien wegtreibt. Ich verspreche mir viel von der Wirkung, die Paris auf Dich haben wird. Es wird Dich elektrisiren, und Dich mit Schaffenskraft und
Schaffenslust erfüllen. Auch wirst Du den Pariser
Frühlingsehen, welcher eine der Gnaden Gottes ist.
Freilich könnte essich auch ereignen, daß Dir hier Allessehr zuwider ist.
Wir wollen den Himmel bitten, daß es gut
ausgeht.
Bald höre ich wohl Näheres?
Ich begrüße Dich von Herzen!
Dein
Paul GoldmnSchön habt Ihr wieder in WiengewähltAm 4. 3. 1897 begannen in
Cisleithanien, dem
nördlichen und westlichen Teils Österreich-Ungarns, die Reichsrats-, also Parlamentswahlen. In Wien feierte
insbesondere die Christlichsoziale Partei
Erfolge. Schnitzler notierte dazu am im Tagebuch: »Sehr verstimmt, auch
durch den Antisem. –
«. Ihrseid eine rechte Bagage. Schämt Ihr
Euch gar nicht vor Europa?