Frankfurter Zeitung(Gazette de Francfort).Fondateur M.L. Sonnemann.Journal politique, financier,commercial et littéraire.Paraissant trois fois par jour.Paris, 10. December.Bureau à Paris10 Rue de la
Bourse.Mein lieber Freund,Endlich ein freier Augenblick! Ich habe eine Reihe furchtbar aufgeregter Tage hinter
mir. Die Geschichte fing an mit einem Artikel von MillevoyeEnde November und Anfang Dezember 1897
erschienen fast täglich Kommentare zur Affäre Dreyfus von Lucien Millevoye in
der von ihm geleiteten Zeitung La Patrie. Goldmann bezog sich auf folgenden Artikel: Lucien Millevoye: Aux Syndiqués de Francfort. In: La Patrie. Organe de la defense nationale, Jg. 57,
Nr. 5, 4. 12. 1897, S. 1. Als Beilage ist
der Artikel nicht
erhalten., der mich mit Koth bewarf. Ich lege ihn Dir bei, damit Dusiehst,
in welchen Ton die Polemik in diesen heißen Tagen
angenommen hat und was mansich Allessagen lassen muß, wenn man ruhig und bescheiden
fürseine Überzeugung eintritt. Sonntag kam der
EinbruchDarüber wurde auch berichtet: [O. V.]: À la chambre. In: L’Express du Midi. Organe quotidien de Défense Sociale et Religieuse,
Jg. 7, Nr. 2077, 7. 12. 1897,
S. [2]., von dem Du wohl in den Blättern gelesen hast. Man hat mir
meine Briefe gestohlen, Briefe von meiner Familie
und von Dir. Wahrscheinlich war der Einbruch eine verkleidete Haussuchung. Irgend ein
officieller Dummkopf hat vielleicht geglaubt, daß er bei mir Documente zum Fall Dreyfus finden könnte oder doc documentarische Beweise
für die Existenz des famosen »SyndicatsBezug auf das
vermeintliche »Judensyndikat« hinter der Dreyfus-Affäre (vgl. Emile Zola: Le Syndicat. In: Le
Figaro, Jg. 43, Nr. 335, 1. 12. 1897,
S. 1).« (das nie existirt hat). Tagelang hatsich hier die Presse
mit mir beschäftigt, und obwohl kein böses Wort gegen mich gefallen ist,so ist es
doch unheimlich, als Deutscher
inso leidenschaftlich bewegter Zeit im Mittelpunkt des Interesses zustehen.
Endlich also kann ich ein wenig aufathmen, und
endlich kann ich Dir Deinenso lieben undschönen Brief beantworten. Ich habe mich
von Herzen über Deine Prager Erfolge.
gefreut. Es ist gut, daß das Alles noch vor die Zeit des AufruhrsAuslöser waren gewaltvolle Proteste als Reaktion auf die Badenische
Sprachverordnung, die sich von Ende November bis
Anfang Dezember 1897 erstreckten. Auch Schnitzler notierte die »Unruhen,
politischer Natur
« am – vor seiner Abreise aus Prag – im
Tagebuch. gefallen ist,sonst wäre
es für Dich auch recht ungemüthlich in Prag geworden. Mich erstaunt nur, daß Du Dichsonst nicht wohler dort gefühlt hast.
Denn essoll einesehrschöne Stadtsein.
Für Deinen Bericht über das kleine Fräulein.
danke ich Dir von ganzem Herzen. Er hat michsehr nachdenklich gestimmt.
Deine Beobachtungen sind zweifelsohne richtig,
Deine Schlusse Schlüsse nicht weniger. Es wäre vielleichtsehr unklug von mir, wenn ich
irgend etwas thäte. Ich werde auch wahrscheinlich nichts thun. Aber anderseits übt
gerade diese halbe Kindlichkeit auf mich e einen ungeheuren Reiz aus. Du meinst, dassei Perversion. Ich weiß es nicht, aber der Reiz besteht. Und er wird
hundertfach verstärkt durch das Pariser Leben.
Wenn manso Jahre lang mitten unter RaffinementFremdwort mit Ursprung im Französischen:
Feinheit und Prostitution gelebt hat (wie es das Loos des Fremden in Paris ist),so bekommt man eine unendliche Sehnsucht nach Einfachheit und Reinheit. Und wenn man außerdem noch
zum poetischen Träumen aufgelegtist,so angelegt ist,so liebt man
die unfertigen Dinge. Die Poesie besteht darin, daß man den Dingen etwas hinzufügt.
Das ist der Reiz des halben Kindes für den Träumer, und darum bleibt ihm die fertige Frau gleichgiltig. Nebenbei gesagt übrigens: Welche Frau ist
überhaupt fertig?
Bitte, liebster Freund,schreib’ mir bald. In dieser Welt voll Feindseligkeitensehne ich michsehr nach einem guten Worte von Dir.
Fragen, die besonders zu beantworten wären: Was macht Deine Freundin? Was Wiesteht es mit Deinem neuen StückSchnitzler arbeitete intensiv an dem
Schauspiel Das Vermächtnis, hatte dabei
jedoch einige Schwierigkeiten, die er immer wieder im Tagebuch festhielt (vgl. z. B. ).?
Und was ist mit dem Stück von
Burckhardt, welches der alberne Bahr mit ShakespearevergleichtHermann Bahr: ’s Katherl. (Volksstück in fünf Aufzügen von Max Burckhard.
Zum ersten Mal aufgeführt im Raimundtheater am 25. November 1897). In:
Die Zeit, Bd. 13, Nr. 165, 27. 11. 1897, S. 141.?
Sei von Herzen gegrüßt.
Dein treuer
Paul Goldmann.Bitte, grüße doch auch einmal Frau Altmann und deren Söhne, wenn Dusiesiehst.