Peking, 16. Oktober.Mein lieber Freund,Alle Deine Karten von unterwegs,sowie Deinen lieben Brief aus LuzernSchnitzler hielt sich zwischen und in Luzern auf. Siehe zu Schnitzlers Sommerreise im Jahr 1898 auch . habe
ich erhalten.
Ich freue mich, zu erfahren, daß der Sommerso angenehm für Dich verlaufen ist.
Hoffentlich bleibt von dem guten Resultat etwas für den Winter zurück. Ich kann Dich immer nur wieder darauf hinweisen: Wenn Alles, was Dich quält,sich auf Reisenso ganz verliert, kann es doch unmöglich materielle Gestalt haben. Im
Übrigen hoffe ich, daß die viele Arbeit, die Du vorhast, ein gutes Heilmittel gegen
die Hypochondriesein wird. Schon aus dem Grunde bin ichsehr froh über alle Deine neuen Pläne, von denen Duschreibst. Aber auchsonst (unberufen!) ist es prächtig, wiesichso V Vieles in Dir regt und wie es aus Dirso reich herausblüht!
Was Du über die Disciplin beim Schaffensagst, istsehrschön, aber ich meine, esstimmt nicht. Mansollsich nichtso fatalistisch hinsetzen, und einfach das aussich herausfließen lassen, was in Einem liegt. Was in
Dir liegt, ist zu einem Zehntel vielleicht Natur, zu neun neun Zehnteln aber das, was Du in Dich hineingelegt hast. Der
Schriftsteller ist doch ein Product aus Natur und aussichselbst. Er ist in
fortwährender Entwickelung begriffen; und während
er an einem Werke arbeitet, arb arbeitet er zugleich ebenso ansichselbst. Gewißsoll Jeder nurschaffen, was
er vermag. Aber Jedersoll auch bestrebtsein, im
immer mehr zu vermögen. Gewiß darf Keiner ausseiner Art herauswollen. Doch inseiner
Art kann Jeder Alles anstreben, und auf allen Arten kann man zum Höchsten kommen, wie
ja ja alle Wege zumselben Bergesgipfel führen.
Blase Du nur ruhig Deine Flöte, dieso liebe Klänge gibt. Ich meine nicht nicht, daß Du auf einmal anfangensollst, die
Geige zustreichen. Aber ich möchte, daß Du auf Deiner Flöte auch ein einmal ein anderesLied.
spielst. Die Gleichnissesind alle falsch. Lassen wir also die Gleichnisse!
Ich meine: Aus Deinen Novellensehe ich wieder, wie Du wie Du große menschliche Töne zu finden vermagst. Nursteckt das immer in
einer Liebesgeschichte gleichsam als Episode drin. Warum nicht die Liebesgeschichte
einmal weglassen und das große Menschliche alsch alleinschreiben, ohne alle Liebe? Oder meinst Du
wirklich, daß Du ein »Erotiker« bist, wie dieses Rindvieh LothargeschriebenRudolf Lothar: Briefe an eine Dame. In: Die Wage. Eine Wiener Wochenschrift, Jg. 1, Nr. 26,
25. 6. 1898, S. 439–440, hier:
S. 439. hat?
Ich binschon ungemein gespannt auf Dein neues StückDas Vermächtnis wurde am am Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt. – mehr auf das Stückselbst, als auf das, was das Publicum dazusagt.
Die Idee ist vortrefflich, und ichstelle mir einsehr zu Herzen gehendes Drama vor
Ich bin nunschon fast drei Wochen in Peking, dem grauenhaftesten Schmutznest der Welt, habe aber manches Interessante
miterlebt, bin auch einmal beinahe dem chinesischen Pöbel in die Hände gerathen, wassehrschlecht
hätte ablaufen können. Aber auch die Gefahr hat ihren Reiz – besonders nachher. Zugleich istsie eine gute Lection: Man lernt, ruhig und entschlossensich zu benehmen. Morgen fahre ich wieder nach Tientsin, von da nach Shanghai zurück. Was dann werden wird, ist unklar; und dunkel ist auch, was nach meiner
Rückkehr geschehensoll. In Wien bleiben? Wassoll
ich in einem Lande machen, wo
man die Leute einsperrt, wennsie vor dem Sakrament nicht den Hut abnehmen? Ich
glaube, in vier Wochen wäre ich ausgewiesen oder im Gefängniß. Und wem fehle ich in
Wien? Dir? Es istsehr lieb, daß Du dassagst.
Aber ich weiß nicht, ob es gut wäre, wenn wir wieder in einer Stadt zusammenlebten. Wir kennen eigentlich nur unsere
guten Eigenschaften und haben unsereschlechten vergessen. Wer weiß, ob ob diese uns nicht jetzt, wo wir nicht mehr die
Anpassungs-Fähigkeit von ehedem haben,sehrstören und würden. Wer weiß, was bei wieviel
Trennendessich bei einem dauernden Zusammenleben zwischen uns plötzlich aufrichtig
würde! Und wem fehle ichsonst in Wien? Keinem
Menschen, nicht einmal dem Richard. Wosoll überhaupt in dieser Stadt für mich ein Platzsein? Ich kann ihn nirgends entdecken
Ich bat bat Dichschon, Deine lieben Briefe fortan
an meine Mutter zusenden,
welche telegraphisch meine neue Adresse erfahren wird. Ichselbst kann Dir
einstweilen keine angeben.
Empfiehl’ mich Deiner Freundin undsei Duselbst von Herzen begrüßt!
Dein treuer
Paul Goldmann.Bitte,sage dem HerrnLouis Friedmann, ., der mir die Empfehlung an den Dr. von Rosthorn übersandt hat, daß ich keine Zeit hatte,sie abzugeben. Es liegt mir daran,
daß Du ihm dassagst. Ich erkläre es Dirspäter einmal.
In einem französischen
Blatte las ich Berichte über den Zionisten-CongreßDer zweite
Zionistenkongress hatte zwischen 28. 8. 1898 und
31. 8. 1898 unter dem Vorsitz Theodor Herzls in Basel stattgefunden. Goldmann hatte bereits in vorangegangenen Briefen an Schnitzler Kritik an Herzl und dem Zionismus geäußert. Siehe etwa die Briefe vom und .. Das
wird doch ein recht widerlicher Unfug!