Frankfurt, 12. März.Mein lieber Freund,Wenn Du Ende April nach BerlinSchnitzler hielt sich vom bis zum in Berlin auf. Dort hatte sein neuer Einakterzyklus (Der grüne Kakadu, Paracelsus, Die Gefährtin) am am Deutschen Theater Premiere. Nach Frankfurt am Main reiste er im Zuge dessen nicht.
gehst, könntest Du da nicht auf der Hin- oder Rückreise über Frankfurt kommen? Der Umweg ist freilich groß; aber im Frühling
ist Frankfurt u. das Rheinland garschön. Von der Freude, die Du mir machen
würdest, rede ich erst gar nicht.
Von den Kritiken über Deine Stücke hat mir die von HirschfeldL. A. Terne [ = Robert Hirschfeld]: Burgtheater. (»Paracelsus«, Schauspiel in einem Act. – »Die
Gefährtin«, Schauspiel in einem Act. – »Der grüne Kakadu«, Groteske in einem
Act von Arthur Schnitzler. Erste Aufführung am 1. März 1899). In: Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, Jg. 37,
Nr. 10, 6. 3. 1899, S. 1–2. am
Besten gefallen. Auchscheintsie mir die richtigste zusein. Er prägt ein
treffliches Wort »Anatolismus«»Heute […] bewundere ich einzig die Virtuosität
der wenigstens scheinbar dramatischen Gestaltung, die psychologischen
Rechtfertigungen und Folgerungen, Schnitzler’s Tiefe der Beobachtung und Weite der Menschenkenntniß,
seinen männlichen Ernst, der unbekümmert um äußere Erfolge, seine Kräfte auch
an gewagten dramatischen Stoffen erprobt. Er arbeitet unverdrossen und in sich
gekehrt an seiner inneren Klärung – weniger an läppischen ›Erklärungen‹, mit
denen eitle Reclamehelden ihr Dasein überflüssigerweise noch betonen möchten.
Ein Schritt noch, und Schnitzler hat sich
in seinem ebenmäßigen, organischen Entwickelungsgange, wie er nur
hervorragenden und grundechten Begabungen zukommt, von seinen Anatolismen gänzlich losgerungen.
«
(S. 1–2) undsagt mit Recht, für Dichsei es wichtig, aus diesem herauszukommen. Ichsehe, daß Du große Anstrengungen
in dieser Richtung machst, und ich binsicher, daß es Dir gelingen wird. Darum halte
ich den »Kakadu« für einso wichtiges
Entwickelungs-Stadium; aber immerhinsteht er noch, wie mir dünkt, mit einem Fuße im
Anatolismus. Daß es Dir auf Anderes dabei
angekommen, als auf eine Liebesgeschichte mit einem Theatermädel, ist klar. Aber das
Andere ist, meinem Gefühl nach, nichtstark genug herausgekommen. Dies der Eindruck,
den ich beim Lesen gehabt habe. Der Eindruck ist vielleicht falsch, und namentlich
auf der Bühne gestaltetsich die ganze Wirkung vielleicht ganz anders. Da ich aber
diesen Eindruck beim Lesen gehabt, war ich verpflichtet, ihn Dir mitzutheilen. »Erschöpfend characterisiren«, wie Du meinst, habe ich Dein Werk damit nicht gewollt; und es erstaunt mich, daß ich Dich
erst noch besonders darauf hinweisen muß, eine in einem Briefwechsel zwischen zwei
Freunden flüchtig hingeworfene Bemerkung könne doch unmöglich die Prätention haben,
ein Werk »erschöpfend zu characterisiren«.
Daß ich Dirsolange nichtschrieb, hatteseinen Grund in der Angewißheit der ganzen
Situation. Du kannst Dich gewiß nurschwer in die Qualen einersolchen Wartezeit
hineindenken. Heut will ichschreiben; aber nein, ich warte doch lieber bis auf
morgen, weil morgen doch endlich die entscheidende Antwort.
kommen wird. Und das gehtso, einen Monat lang und darüber! Ich habe Dir
nicht geschrieben, weil ich thatsächlich von Tag zu
Tage gezerrt wurde, undschließlichso muthlos wurde,so dégouté de toutfranzösisch: von allem
angewidert, daß ich michselbst zu einem Briefe an Dich nicht mehr
aufzuraffen vermochte.
Die N. Fr. Pr. ist übrigens beleidigt und
entrüstet undsucht die Sachlage jetztso zu drehen, alssei ich kontraktbrüchig geworden.
Ich lebeseit Wochen im Hotel, in einer geradezu verzweifelten Unordnung. So gerieth auch das
Manuskript des »Kakadu« an einen Platz, wo es
mir aus den Augen entschwand; und als ich es zuspät
wiederfand, hatte ich nicht mehr die Energie, Dir meine Schlamperei einzugestehen und
Dich um Entschuldigung zu bitten. Ich habe meine Nachlässigkeitseitdem oft bereut,
und die Art, wie Dusie in Deinem Briefe erwähnst, ist die gerechte Strafe dafür, die
ich nur als verdient hinnehmen kann.
Viele treue Grüße! Dein
Paul GoldmannGrüße an Deine Freundin!
Ich danke den Deinen, namentlich
Deiner Frau Mutter, für
alle ihre liebenswürdigen Intentionen. Auch mir thut es unendlich leid, daß die
Wiener Projektesich nicht realisirt haben.
Meine gesammte Familie grüßt Dich herzlichst.zwischen der Datumszeile und der Anrede kopfüber am oberen
Rand der ersten Seite