Frankfurt31. März.Mein lieber Freund,Gerade in diesen Tagen werde ich herumgehetzt, wie ein Hund. Missionen nach Mainz, Karlsruhe, Darmstadt, – hier berichten,
dort berichten. Ich habe keinen Augenblick freie Zeit und habe den heutigen FeiertagKarfreitag abwarten müssen, um Dir endlich einmal auch ein Wort zuschreiben, nachdem
ich alle diese Tage bekümmertEr trauerte um Marie
Reinhard, die am gestorben war. Deiner gedacht.
Dein Brief, in dem Du das Fürchterlicheschilderst, hat mich tief ergriffen. Es ist
ein wahres Raffinementfranzösisch: Vervollkommnung von
Qual gewesen. Das Herz preßtsich zusammen, wenn man das liest. Und nun gar das
miterlebenSchnitzler war beim Tod von Marie Reinhard anwesend, .! Du
Ärmster, was mußt Du gelitten haben! Ich will auch gar nicht versuchen, Dir Trost zuspenden. Es gibt da da nichts zu trösten. Und außer der Zeit kann nichts und Niemand helfen. Auf
die Zeit rechne ich allerdings. Auch das wirdsichschließlich mildern. Das, In dem, was Du über Dein Alterschreibst,
hast Du Unrecht. Gerade in Deinem Alter kann manselbst einesolche Schickung noch
tragen, –später nicht mehr. Du bist noch jung, und in Deinem Leben ist noch Kraft
genug, umselbst dieseschreckliche Leere, diesich auf einmal aufgethan hat, wieder
auszufüllen und zu langssam zu verdecken. Das ist in diesem Unglück meine einzige, aber auch meine feste undsichere Hoffnung,
Du mußt freilichselbst etwas dazuthun und mußt Dich gewaltsam herausreißen. Du mußt
Dich zu der Erkenntniß durchringen, daß in der Beziehung zu einer Frau, undsei es
die beste und liebste, das Lebensich nicht erschöpft. Glaube mir, das ist die
Wahrheit. Es gibt Anderes, viel Anderes noch. Es gibt auch wieder einmal neues Glück!
Nur leben bleiben – leben und warten!
Ich empfinde es bitter undschmerzlich, daß ich nicht bei Dirsein kann. Mir kommt es
vor, als ließe ich Dich im Stich, wenn ich hier fern von Dir bin und Dich allein weiß
mit Deinem Kummer. Eines wäre dri
dringend nöthig, und ich komme immer wieder darauf zurück: Du müßtest fort aus Wien,so rasch als möglich, – ein paar Wochen reisen. Komm’ auf einige Tage
nach FrankfurtDazu kam es nicht.! Wenn nicht,so
gehe anderswohin, – irgendwohin, wo Du Gesellschaft hast. Allein reisen dürftest Du
auch nicht.
Bitte, lieber Freund,schreib’ mir bald einmal, wenigstens eine Zeile, da damit ich weiß, wie es Dir geht. Es braucht nicht viel zusein, – nur ein
Lebenszeichen.
Mit meinem Schwager habe ich
über einiges Medizinische gesprochen. Er meint, ob es denn nicht möglich gewesen
wäre, noch eine Operation zu versuchen? Dein OhrenleidenSchnitzler litt seit Herbst 1896 an Otosklerose – einer Verknöcherung des Innenohrs mit
zunehmender Schwerhörigkeit. aber kann ersich absolut nicht entschließen
ernstzunehmen. Er hatsich viel mit diesen Dingen beschäftigt und vermag in allen
Symptomen, die ich ihmschildere, nichts Bedenkliches zu entdecken. Er, meine Schwester und mein Onkel, denen ich von dem
Schlage, der Dich betroffen, Mittheilung gemacht habe, nehmen warmen Antheil an
Deinen Schmerzen, haben aber nicht gewagt, Dirselbst zuschreiben. Meine Mutter ist gegenwärtig in Wiesbaden.
Daß Dir der Bauernfeld-PreisDer Bauernfeld-Preis, dotiert als Ehrengabe von 1000 Gulden, wurde Schnitzler am 27. 3. 1899 für seine Dramen und Novellen verliehen. Den gleichen
Betrag erhielten im selben Jahr auch Ferdinand
von Saar und Carl Karlweis, 500
Gulden gingen an Leo Feld. Das war der
erste Literaturpreis, den Schnitzler
erhielt. zu Theil geworden, hat uns Alle hiersehr gefreut. Das istschön
und ehrenvoll
Liebster Freund, Du mußtstarksein und mußt Dich in das Unabänderliche fügen! Es ist
viel verloren, und doch ist nichts zu Ende! Und dann
hast Du vier JahreSchnitzler hatte Marie Reinhard am kennengelernt, als sie seine
Patientin war. Bereits im darauffolgenden Herbst begann ihre intime Beziehung, die
bis zu Reinhards Tod anhielt.
glücklichsein dürfen, wie Wenige. Ich versichere Dich: wenn das Schicksal mir vier
Jahresolchen Glückes geben wollte, um den Preis, daß ich dann einen Schmerz
durchmachen müßte, wie Du ihn jetzt erlebst, – ich würde ohneweiters zustimmen. Diese
arme Frau ist dahingegangen,
nachdemsie Dir das Beste gegeben hatte, wassie geben konnte. Sie hat ihr volles Maß
ausgeschüttet. Dann istsie für immer geschieden, auch darin vielleichtselbstlos und
rührend, wiesiestets war
Ich grüße Dich von Herzen und in Treue
Dein
Paul Goldmann.