Frankfurt, 12. November.Mein lieber Freund,Seit zwei Wochen muß ich meinen Onkel vertreten u. habe allein das Feuilleton zu redigiren, was b bei unserem Blatte
eine ungeheure Arbeit ist, welche den ganzen Tag und einen Theil der Nacht ausfüllt.
Keine freie Viertelstunde also. Seitdem ich Deinen letzten lieben Brief erhielt, will
ich Dirschreiben und leidesehr darunter, daß ich es nicht kann. Heut gibt endlich der Sonntag die Möglichkeit zur
Ausführung des lang gehegten Vorsatzes.
Auf Deinen letzten Brief hätte ich Mancherlei zu fragen; aber ich fürchte, ich kommeschon zuspät. In der Affaire SchlentherDer grüne Kakadu wurde nach nur sechs
Aufführungen vom Spielplan
genommen. Am war Direktor Paul
Schlenther bei Schnitzler zu Hause
und teilte ihm mit, dass die Zensurbehörde die
weitere Aufführung verbiete, ohne das aber mit einem schriftlichen Urteil zu
bestätigen, worüber sich Schnitzler
zusätzlich ärgerte. Erst Jahre später, am , erfuhr Schnitzler den eigentlichen Grund: »Erzh. Gisela war drin und indignirt, weil Haeberle (Michette) sich an den Dessous
der Marquise (Mitterwurzer) zu schaffen
machte. –
« nämlich möchte ich immer wieder zur Mäßigung rathen.
Essteht etwassehr Wichtiges auf dem Spiele: Dein neues StückGoldmanns Hinweis darauf, dass Schnitzler, wenn er zu lautstark protestiere,
die Aufführung von Der Schleier der Beatrice
in Gefahr bringe, hatte etwas Prophetisches. Das Stück wurde von Schlenther zwar anfänglich für das Burgtheater akzeptiert, die Zusage aber (neuerlich ohne
Transparenz) nach ein paar Monaten zurückgezogen (), was zu einem Skandal führte (). Der Schleier der Beatrice wurde schließlich am im Lobe-Theater in Breslau uraufgeführt.. Was liegt demgegenüber an den drei Einaktern, die überdies überall in DeutschlandHervorzuheben ist der Erfolg am Deutschen Theater Berlin. Die Einakter wurden dort fast dreißigmal
aufgeführt und waren damit Schnitzlers bislang größter Erfolg.mit Erfolg gegeben werden,so daß Duschließlich
auf die weitere Aufführung in Wien verzichten
kannst. Alle Lebenskunst kommt oft darauf hinaus, kleine
Concessionen zu machen, um große Ziele zu erreichen. Das große Ziel ist, daß das Burgtheater Dein neues Stückspielt. Ich finde, daß dir Schlenther durchseinen Besuch.
bei Dir bereits alle mögliche Satisfaktion gegeben hat, und ich meine, Dusolltest darauf verzichten, ihn weiter zu demüthigen. Alles Sturmlaufen nu nützt übrigens nichts. Du wirst dadurch nicht einen feigen und verlogenen
Menschen zum Muth und zur Wahrheit brin zwingen, und Österreich wirst Du auch
nicht ändern. Ich hätte dem Schlenther an Deiner Stelle geradezu gesagt: »Gut, lassen wir’s gehen, aberspielen Sie
mein neues Stück!« Und wenn es nichtschon zuspät ist, möchte ich Dir
rathen, die Verhandlungen noch in diesem Sinne zu führen. Kommt es aber zum offenen
Conflict,so brauche ich Dir nicht erst zusagen, daß Du unbedingt auf mich rechnen
kannst,solange ich das Feuilleton redigire. Wenn freilich mein Onkel wieder zurück ist,so wird wieder der Einflußseiner FrauSiehe zum Einfluss Johanna Mamroths auf Fedor Mamroths feuilletonistische Arbeit auch . auf das Feuilleton der Frankfurter Zeitung beginnen, und dann bin ich
machtlos, und Du kannst auf nichts mehr rechnen.
An Wassermann habe ich – Dir zuliebe – einen mahnenden BriefSchnitzler dürfte versucht haben, Jakob Wassermann hinsichtlich seiner
nicht zufriedenstellenden Arbeit für die Frankfurter
Zeitung vor Goldmann zu
verteidigen. , , und .schreiben lassen. Wenn er dennoch eines Tages fällt,so werde ich Schwarzkopf und Hirschfeld alsseine Nachfolger
empfehlen.
Ich hätte – trotz meines Nichtschreibens – gehofft,
in diesen Wochen wieder etwas von Dir zu hören. Wenn Du auf meine Antwort gewartet
hast,so laß’ mich jetzt nicht länger ohne Nachricht undschreibe mir, wie Du lebst
und was Du arbeitestAm begann Schnitzler die humoristisch angelegte Erzählung Der Leuchtkäfer. Noch zehn Jahre später, am
,
vermerkte er eine Überarbeitung der
posthum veröffentlichten Erzählung in seinem Tagebuch..
In meinem Leben bereitensich große Stürme und vielleichtsehrschwerwiegende
Ereignisse vor. Mein Verhältniß zu ihr ist glücklich, dank der Beflissenheit einiger intimer
Freundinnennicht ermittelt und auch infolge ihrer eigenen
Unvorsichtigkeit, zum öffentlichen
Gerücht.
geworden. Die ganze Stadtspricht zur Zeit davon. Es heißt,sie werdesich von ihrem Mannescheiden lassen und mich
heirathenDazu kam es nicht.. Der
Klatsch istso arg geworden, daß mein Chefredakteur bei mir hat anfragen lassen, ob er begründetsei. Ein hiesiges Klatschblatt, die »Sonne«, hat bereits einen ArtikelEs konnte kein Exemplar der Zeitschrift aus dem betreffenden Zeitraum
nachgewiesen werden.darüda darüber gebracht. Der Gemahl in Wien.
weiß noch nichts. Aber ersoll in einigen Tagen zurückkommen, und dann wird
die Geschichte wohl losgehen. Es kommt dazu, daß sie, von einem plötzlichen Wahrheitsdrang befallen, erklärt,sie werde ihrem Manne
gegenüber nicht Alles ableugnen können. Mit banger Sorgesehe ich der Katastrophe
entgegen, die kaum mehr aufzuhalten ist. Wenn ihr Mannsie verstößt, muß ich natürlichsie aufnehmen. Und wassoll ich in meinen Verhältnissen, wo ich meine Mutter und mich gerade durchbringe, plötzlich mit einer Frau
anfangen?
Unter diesen Umständen ist mir diese kleine Stadt mit ihrer
giftigen, ganz ohne Noth bösartigen und gemeinen Klatschsucht
erst recht zum Ekel geworden, und ich beklage bitter, daßsich mein Engagement nach Berlin für die Neue Freie
Presse zerschlagen und .
hat. Hörst Du irgend etwas, wie es mit Frischauersteht? Und weißt Du vielleicht, wer jetzt in Paris für die
N. Fr. Pr.Nicht geklärt, .
ist?
Grüße mir Richard, Schwarzkopf, Deinen Bruder, Deinen
Schwager und alle die
anderen lieben Menschen; empfiehl’ mich Deiner Frau Mutterundsei Duselbst von Herzen gegrüßt –
von Deinem treuen
Paul Goldmann.