Hotel Saxoniaam Potsdamer Platz und
ThiergartenD. W. Schröder.Fernsprecher:Amt VI. No. 2838.Berlin W., den11. Februar 1900. Königgrätzerstrasse 10.Mein lieber Freund,Ich danke Dir von Herzen für Dein Stück. In den Nächten, die auf dieschwere Arbeit dieser Tage folgten, habe
ich es gelesen.
Ich glaube, es ist das Bedeutendste, was Du geschrieben hast. Die Sprache, Poesie und
Prosa, ist prachtvoll. Die Verse namentlich find von einer goldenen Reife, – zum Theil von wunderbarer
Schönheit. Und dabei ganz Duselbst. Kein Ton von
einem Andern (Ich denke dabei an Gerhart Hauptmann, den ich erst vor Kurzem gehört habe, wie er Shakespeare nachstammelteGoldmann dürfte sich auf Hauptmanns Komödie Schluck
und Jau bezogen haben, die am 3. 2. 1900 am
Deutschen Theater Berlin uraufgeführt worden
und von Shakespeare inspiriert
war..)
Was die Bühnenwirkung anlangt,so habe ich noch nie vor einem Dramaso rathlos
gestanden. Vielleicht wird es mir bei längerem Nachdenken klarer. Denn ich bin eben
erst zu Ende. Essind Szenen
darin, die Einemschon beim Lesen den dramatischen Schauer geben, – die ergreifendste
istsicherlich die zwischen Filippo und Beatrice am Schluß des dritten Akts. Aber einige Charaktere verstehe ich nicht. Und ich weiß nicht: werdensie auf der Bühne,
von bedeutenden Künstlern dargestellt, es erst in zu Leben und Wahrheit erwachsen, oder werdensie auf der Bühne erst recht
unbegreiflichscheinen, weil die feinen psychologischen Nuancen auf dem Theaterso gut wie unsichtbar wer werden? In dieser Frage ruht, meiner Ansicht nach, die Frage der
Bühnenwirksamkeit des Stückes.
Und ich bin außer Stande,sie zu beantworten.
Die Beatrice verstehe ich z noch ganz gut. Kann die weibliche inconsciencefranzösisch: Gedankenlosigkeit,
Unbewusstseinso weit gehen? Ich würde es nicht für möglich halten, aber es
wird durch das DrDrama beinahe wahrscheinlich.
Ich beuge mich vor der Gestaltungskraft des Dichters, obwohl im Grunde meines Herzens
einige Zweifel verbleiben. Aber den Filippo verstehe ich nicht. Wie? Wenn
die Die Heißgeliebte und Heißersehnte kommt, und manschicktsie wieder weg –
wegen eines Traumes? Wenn ich mein Mädchen heut in den Armen
halte, kannsie gestern geträumt haben, wassie will. Und dann kommtsie wieder, – kommt
wieder aus dem Brautgemach des Herzogs heraus. Filippo will mit ihrsterben. Sie hat Furcht vor dem Tode und will am Leben bleiben.
Schön! Aber warum bringt ersich dann um? Sie ist
menschlich und wahr. Und ersieht das nicht ein, – er, der ein Dichter ist? Man kann
Jemanden immer noch ungeheuer lieb haben,selbst wenn man nicht mit ihmsterben will.
Es geht nun einmal nichtso leicht mit dem Sterben.
Das Allessagt Filipposelber mit den herrlichsten Worten. Und auf einmal bringt ersich um. Weshalb?
Ich kann es nicht begreifen. Und ich finde, wenn man einschönes Liebchen hat, und
wennsie in der Nacht zu Einem kommt, und wenn man nicht weiß, was morgensein wird,so greift man, weiß Gott, nicht zum Giftbecher. Ich
mag Ich mag die jungen Leute nicht, diesich aus Psychologie vergiften.
Auch den Herzog verstehe ich
nicht. Ich hätte ihn verstanden, wenn die Trauung mit Beatricedie wirklich ein Fastnachts-Scherztraditioneller Scherz zur Fastnacht (Fasching, Karneval) gewesen wäre,. Aber ich begreife nicht, daß dieser Renaissance-Despotsentimental genug
ist, das Mädchen wirklich zu heirathen. Überhaupt ist Gewiß, es ist nur für eine Nacht, und man weiß nicht, was morgensein wird.
Und doch hat er unverkennbarsentimentale Anwandlungen, und die passen nicht zum Bilde eines Mannes, der
entschlossen ist, das Leben inseiner Fülle zu genießen. sei.
Bewundernswürdig aber ist wieder die Fülle der andern
Figuren, die Alle leben, die Ggroßen und die kleinen. Den Francesco mag ich freilich auch nicht und es kommt mir vor, alssei er nur da, damitsich
am Schluß doch noch Jemand finde, welcher die Beatrice ersticht. Ob es unumgänglich ist, da daßsie erstochen wird, ist mir ebenfalls nicht klar.
Höchst eindrucksvoll ist es, wiesich alle diese Ereignisse in der einen Nacht zusammendrängen und wie während des groß ganzen DramasCesar Borgia vor den Thoren von Bolognasteht. Auch habe ich auf mancher Seite des Buches die Kraft und die Fülle der Zeit empfunden, in welche
die Handlung verlegt ist
Dassind wenige, flüchtige Worte, – mit müdem undschmerzendem Kopfe geschrieben.
Ich grüße Dich von Herzen
Dein
Paul Goldmann.