Dessauerstrasse 19Berlin, 22. März.Mein lieber Freund,Ich danke Dir für Deine lieben Briefe. Zum Antworten komme ich erst heut, weil ich garso viel zu thun hatte.
Es ist mirschmerzlich, daß Dein LeidBezug auf Marie Reinhards Tod am , also rund ein Jahr zuvor. Schnitzler notierte zu dieser Zeit mehrmals
damit zusammenhängende Verstimmungen in seinem Tagebuch. , , und .sich gar nicht lindern will. Gewiß, einen Ersatz
für das Verlorene gibt es nicht. Aber es gibt Anderes, Neues, das auch gutsein wird
inseiner Art. Du wirst doch nicht im Ernst glauben wollen, daß Dein Leben
abgeschlossen ist? Geh’ nur nach dem Süden, das wird heilsamsein.
Salten hat mir diesmalFelix Salten war mit dem Erzherzog Leopold Ferdinand seit 1898 gut bekannt. Dadurch gelangte er an brisante Informationen, die
als Tratschgeschichten in der Presse Aufsehen erregten und Salten über Wien hinaus
bekannt machten. Vgl. Siegfried Mattl und Werner Michael Schwarz: Felix Salten. Annäherung an eine Biografie. In: Siegfried
Mattl und Werner Michael Schwarz, Herausgegeber: Felix Salten.
Schriftsteller – Journalist – Exilant. Wien:
Holzhausen2016, S. 17–72, hier: S. 32–35 und 42–44. .
nichtsonderlich gefallen. Lügt er nicht auch ein wenig? Die Geschichten von dem Erzherzog können doch nicht
alle wahrsein. Ich glaube, er hält auf eine gewisse Anständigkeit, weil der Zufall
es gefügt hat, daß ersich an Dich angeschlossen hat. Aber wenn der Zufall ihn zu den Andern geführt
hätte,so wäre er geworden, wie diese, und vielleicht wird er es noch einmal.
Die Fräuleins Glümersehe ich nichtso oft, als ich möchte. Gusti, die ich neulich vertraulich fragte, obsie Deinen Briefnicht
ermittelt erhalten,sagte: Ja.
Eine Frau Meyer-Cohn, bei der ich hier verkehre,sagte mir,siesei eine Jugendbekannte.
von Dir. Mirscheint,sie läßt Dich auch grüßen.
Wie ist Salten’sStückFelix Salten hatte seinen Dreiakter Der Gemeine am und Schnitzler vorgelesen.? Der
Glückliche! Ihm ist jetzt auch eine größere Arbeit gelungen. Ich bleibe allein
zurück.
Bleibe allein zurück in dem Journalismus, der mir unerträglicher ist, als je. Und wie
ich behandelt werde! Kein einziges meiner Theaterreferate wird mehr gedruckt, ohne
daß vorher zwei Drittel herausgestrichen wären. Ich Oder: ich referire über ein Stück, und zwei Tagespäter wird in der Theaterrubrik das Referat aus der »Nationalzeitung« abgedruckt, welches das Gegentheilsagt. Oder: Man trägt
mir telegraphisch die Abfassung eines Artikels auf. Ich arbeite drei Tage, und der
Artikel wird weggeworfen. So So muß ich mich
behandeln lassen, ich, ein Mensch von Werth! Manchmal kommt mir das Weinen an über
die Erniedrigung.
Herzl als Feuilleton-Redakteur
istsehr anständig. Das Alles aber muß unter uns bleiben. Du weißt, wie rasch in Wiensichso etwas herumspricht; und das könnte mir
übel bekommen.
Kein Weg, der aus diesem entsetzlichen Berufe herausführt! Und ich werde alt und kann
auch nicht mehr langeso arbeiten, wie bisher.
Verkehr habe ich hierso gut wie keinen. Mit wemsollte ich auch verkehren? Als »Zeitungsschreiber« bin ich ein Mann zweiten Ranges,
und jeder Bursche, der einenschlechten Einakter aufführen läßt, dünktsich mehr als
ich. Kerr ist genauso eingebildet, als er begabt ist. Er betrachtet mich nicht als
gleichberechtigt, folglich bleibe ich ihm fern. Brahm habe ich einmal gesehen. Ich machte ihm meinen Antrittsbesuch, und so wirsprachen über Berlin und Wien. Ich klagte, daß Berlinso unkünstlerischsei. – »Nun, das wirdsich jetzt wohl
bessern, wo Sie dasind«. – Seitdem bin ich natürlich nicht mehr wiedergekommen. Der
einzig angenehme literarische Mensch, den ich hier kennen gelernt habe, ist Fritz MauthnerEs ist zwar wahrscheinlich, jedoch nicht
eindeutig zu klären, ob sich Schnitzler und
Fritz Mauthner persönlich kannten. Schnitzler las im Laufe seines Lebens
jedenfalls einige seiner Werke ( und sowie )..
Kennst Du den? Ichsehe ihn freilich allesechs Wochen einmal
Was macht Richard? Seht Ihr Euch oft? Wie lebst Du und was treibst Du?
Schreib’ mir bald wieder!
Viele treue Grüße!
Dein Paul Goldmann.