Dessauerstrasse 19Berlin, 18. April.Mein lieber Freund,Ich habe michsehr mit Deinem lieben Briefe gefreut. Lange habe ich ihn erwartet und
wußte mir gar nicht zu erklären, warum ichso ganz ohne Nachricht blieb. Ich war auch zum Speidel-BanketAm Nachmittag des fand ein
großes Bankett anlässlich des 70. Geburtstags von Ludwig Speidel statt. Schnitzler war einer der über 50 Teilnehmenden aus dem Kulturbetrieb.
»Widerwärtig
«, notierte er sich dazu im Tagebuch. geladen und hätte darumsehr gut nach Wien kommen können, und die N. Fr. Pr. hätte mir überdies die Reise bezahlen müssen. Aber
wenn ich nach Wien komme,so komme ich
Deinetwegen. Und da ichso gar nichts von Dir hörte, Aber lassen wir das! Mir hat meine Hypochondrie wieder einmal einen Streich gespielt, und es thut mir nun doppelt leid, um dieschönen
Ostertage gekommen zusein, die ich mit Dir hätte
verleben können.
Was Deine Furcht vor dem
AltwerdenIn wenigen Tagen, am , sollte
Schnitzler seinen 38. Geburtstag
begehen. anlangt, – nein, wirklich, mit 38 Jahren ist man noch nicht alt.
Und wenn Du Dir das früher einmal als das Ende aller Dinge vorgestellt hast,so hast
Du eben früher das Leben nicht gekannt, wie man jaso Manchessich unrichtig
vorstellt, wenn man gar zu jung ist. Früher haben Dich die Frauen geliebt, weil
Du 20 Jahre alt warst; jetzt habensie viel mehr Gründe, Dich zu lieben, und dabei
bist Du immer noch jung genug, daß es ihnen Vergnügen macht. Die Geliebten, die Dichseinerzeit durch den Hinweis auf
ihre beruhigt haben, daß ihre anderen Anbeter Ende der Dreißigseien, haben
diesen Anderen wahrscheinlich mit Hinweis auf Dich gesagt: »Das ist ein unreifer Junge. Lieben aber kann man nur einen
wirklichen Mann.« Wie alt, glaubst Du, war Don Juan?
Jedenfalls nicht zwanzig Jahre. Meiner Ansicht nach hatte er zwischen 35 und 40, wenn
nicht darüber
Auf Deine NovelleSchnitzler hatte Frau Bertha Garlan am begonnen und am
fertiggestellt. freue ich michsehr. Was wird eigentlich aus der Beatrice? Wann beginnen die ProbenSchnitzler glaubte zu diesem Zeitpunkt noch,
dass das Stück am Burgtheater aufgeführt werden sollte. .?
Wie beneide ich Dich um Dein Arbeiten! Ichselbst bringe es nicht zu Stande. Ich habe
jetzt, nach Wochen angespanntester Arbeit, auch wieder Wochen fast vollkommener Ruhe.
Das wäre die Zeit, etwas zuschaffen. Ich zermartere mir den Kopf, will heut ein
Dramaschreiben, morgen eine Novelle. Aber Alles zerrinnt wieder im Nebel. Und ich vergeude meine Zeit mit Besuchen, mit
überflüssiger Reporter-Arbeit und Anderem, wie ja überhaupt der Journalismus eine
große Zeitvertrödelung ist. Dabei habe ich das Gefühl, essteckt doch noch etwas mehr
in mir. Aber ich weiß nicht, was ich will. Ich würde Denjengen, wie einen Erlöser begrüßen, der mir einen Rath geben,
mich auf eine größere Arbeit hinweisen würde, die mein meinen Fähigkeiten entspräche. Aber, ich weiß, diesen Rath kann mansich nurselbst geben. Und bei mir finde ich keinen. Ich habe michselten innerlichso elend
gefühlt, michseltenso verachtet. Große Prätentionen, und innerlich Alles leer, leer! Meine einzige
Leistung ist, daß ich täglich fetter werde
Im Sommer werde ich wohl meinen Urlaub bekommen. Aber ich werde ihn in Berlin verbringen müssen, weil ich diesmal keine
fünf Mark übrig haben werde, um zu reisen. Der Hausstand, den ich hier mit meiner Mutter führe, ver nimmt fast mein ganzes Gehalt in Anspruch. Der Rest
geht für Schulden-Abzahlungen aller Art drauf; und Nebenverdienst ist ausgeschlossen.
Nach ParisSchnitzler dürfte sich erkundigt haben, ob
Goldmann zur Weltausstellung nach Paris (15. 4. 1900 – 12. 11. 1900) zu fahren
gedachte. fahre ich unter diesen Umständen natürlich nicht.
Kennst Du FlaubertsBriefeGustave Flaubert: Correspondance. 4 Bde. Paris: Charpentier Cie1887–1893. Schnitzler kannte zumindest eine
spätere Ausgabe ().? Wenn
nicht,so mußt Dusie gleich lesen, und zwar gleich den dritten und vierten Band; die Jugendbriefe in den ersten beidensind
nicht interessant. Ich habesie jetzt wieder vorgeholt. Jeder Mensch, derschreibt,
muß findet darin Trost, Befreiung und Belehrung.
Auf demspeciellschriftstellerischen Gebiete gebensie Einem fastso viel, wie
Goethess Gespräche.
; nursindsie nichtso universell menschlich, wie diese. Flaubert ist eben doch kein Mensch,sondern nur nur ein
Franzose
Von Gusti weiß’ ich Dir nichts zu berichten. Das eigentliche Leben der beiden Mädels bleibt mir
verschlossen. Trotz aller Herzlichkeit der Beziehungen besteht zwischen uns doch
keine rechte Sympathie, und innerlichstehen wir uns fremd gegenüber.
Was macht RichardGoldmann bezog sich auf Beer-Hofmanns Trauerspiel Der Graf von Charolais, an dem dieser bereits seit 1899 arbeitete. Zu Beer-Hofmanns
Reisen im Sommer 1900 siehe Eugene Weber: Richard Beer-Hofmann: Daten mitgeteilt von Eugene Weber.
In: Modern Austrian Literature 17/2 (1984), S. 13–42, hier: S. 23.? Arbeitet er anseinem
Drama? Und
was wird er im Sommer machen? Wirst Du mit ihm zusammensein?
Gesternsprach ich wieder einmal Kerr nach langer Pause. Erscheint eine große LiebeBezug auf Anna Wendt, die Alfred
Kerr im April 1900 kennengelernt hatte (vgl.
Deborah Vietor-Engländer: Alfred Kerr. Die
Biographie. Reinbek bei Hamburg:
Rowohlt2016, S. 229 [E-Book-Ausgabe]). zu
haben. Ich mag ihnsehr gern trotz mancher Geschmack-Defekte; aber erschließtsich
mir nicht auf. Und wir bleiben fremd.
Wannsehe ich Dich wieder? Wann kommst Du nach Berlin.
?
Viele treue Grüße!
Dein
Paul GoldmannMeine Mutter dankt für
Deine Grüße und erwidertsie herzlichst.