Dessauerstrasse 19Berlin, 23. November.Mein lieber Freund,Tausend Dank für Deine lieben Worte! Es war wirklich nicht nöthig, mir deshalb einen
großen Brief zuschreiben, und ich bitte Dich, auch Olga zu veranlassen, daßsie mir über die AffaireBezug auf
den Konflikt rund um Goldmanns Kritik an
Gerhart Hauptmann, . nicht mehrschreibt. Die Sache ist abgethan; und ich bedaure lebhaft, daß ich dem Unwillen, den
ich über den zurechtweisenden Ton von Olgas Brief empfunden, überhaupt
Ausdruck gegeben habe. Im Übrigen nimmst Du nach wie vor in der Frage einen
erstaunlich einseitigen
StandpunktAuch Schnitzler schätzte Goldmanns Standpunkt als einseitig ein, . ein. Ich kann Dir versichern, daß
nicht nur widerliche Kerlewomöglich Anspielung auf Leo Ebermann, .sich über meine Kritiken freuen,sondern auchsehr anständige Leute. Und was
habe ich mich um die Wirkungen zu bekümmern, die meine Kritiken auf widerliche Kerle ausüben? Was habe ich mich überhaupt um die Wirkungen meiner Arbeiten zu bekümmern?
Das ist doch ein ganz unkünstlerisches Verlangen, das Du da an michstellst. Die einzige
Frage kann doch nur diesein, ob meine Kritiken meine Überzeugung und meine Stimmung
ausdrücken. Und da meine Überzeugung die ist, daß Gerhart Hauptmann ein minderwerthiger und verworrener Geist
ist, und da ich Erbitterung darüber empfinde, diesen minderwerthigen Geist als großen Dichter
gepriesen zusehen,so s können meine Kritiken absolut nicht anders lauten und können auch in keinem
anderen Tone geschriebensein.
Du irrst Dich auch, wenn Du glaubst, daß Du mir immerschreibst, wenn Du über eine
meiner Arbeiten »entzückt« bist. Ich bin überzeugt, daß Du in Wien diesem »Entzücken« Worte verleihst, Du vergißt es nur in
der Regel, mir mitzutheilen. Ich habe oft genug, wenn
ich das Bewußtsein hatte, eine Arbeit von Werth vollendet zu haben, mich nach einem
Wort der Zustimmung von Deiner Seite gesehnt, und oft genug ist dieses Wort der
Zustimmung ausgeblieben. Pünktlich und ausführlichschreibst Du mir nur, wenn Du an
meinen Arbeiten etwas zu tadeln hast.
So, und nun genug!
Ich habe mich von Herzen gefreut, endlich wieder einmal etwas von Dir zu hören, und
habe mich insbesondere gefreut, daß Du und Olga (wie ich aus Olgas Brief ersehen) in ReichenauSchnitzler und Olga Gussmann waren zwischen und in Reichenau gewesen.soschöne Tage
verlebt habt.
Die Aufführung Deiner Einakter
am 4. Jännersolltest Du zu verhindernDazu kam es nicht.suchen. So wenige Tage nach Neujahr ist eine recht ungünstige Theaterzeit. Hat Brahmsolange gewartet,so kann er auch noch eine Woche länger warten. Ichselbst
werde am 4. Jänner kaum in BerlinseinGoldmann war zur Uraufführung von Lebendige Stunden wieder in Berlin., da ich, wie alljährlich, die Weihnachts- und Neujahrstage bei meiner SchwFamilie
in Frankfurt zu verbringen hoffe.
Gesternsahen wir hier einstellenweisesehr hübsches
Stück von Meyer-FörsterDie Uraufführung von Wilhelm
Meyer-FörstersAlt-Heidelberg. Schauspiel
in 5 Aufzügen fand am 22. 11. 1901 am Berliner
Theater statt.. Ich werde leider kaum Zeit finden, darüber zuschreiben,
da nächste Woche der Reichstag zusammentritt.
Auch muß ich in meinem nächstem Feuilleton den »Rothen Hahn«Paul Goldmann: Berliner Theater. »Der Rothe Hahn«. In: Neue Freie Presse, Nr. 13.391, 4. 12. 1901, Morgenblatt, S. 1–3. Siehe auch
und .
behandeln.
Was Du über die Haltung der N. Fr. Pr. gegenüber dem
»Jungwiener Theater«–da [ = Moriz Neuda]: Theater- und Kunstnachrichten. Jung-Wiener-Theater »Zum
lieben Augustin«. In: Neue Freie
Presse, Nr. 13.374, 17. 11. 1901,
Morgenblatt, S. 8–9.schreibst, ist durchaus berechtigt. Aber Salten trägt doch wohl die Hauptschuld. Er machte hi mir hier in Berlin den Eindruck eines
Mannes, der absolut keine Ahnung hat, was er will. Und wie kann mansich zu einem
künstlerischen Unternehmen mit Siegfried LöwyFelix Salten hatte das Jung-Wiener Theater zum lieben Augustin gemeinsam mit Siegfried Loewy gegründet und am eröffnet.
Die Resonanz war schlecht. Bereits nach sechs Aufführungen wurde das Theater wieder
eingestellt. associiren?
Mit Deinem neuen Stück wirst
Du Dichschon wieder zurechtfinden.
. Je mehr Du daran arbeitest, umso tiefer wird es werden. Quäle Dich also nur
ein wenig. Esschadet gar nichts.
Grüße mir die Mädeln undsei Duselbst vielmals und von Herzen gegrüßt!
Dein
Paul Goldmann