Dessauerstrasse 19Berlin, 17. April.Mein lieber Freund,Seit dem Empfang Deines letzten lieben Briefes, denr nach meiner Rückkehr aus Prag. eintraf,
will ich Dir täglichschreiben, und täglich muß ich
darauf verzichten. Es ist unbeschreiblich, was jetzt wieder Alles an Arbeit, Besuchen
etc. auf mich einstürmt. Ich bin Dirsehr dankbar, daß
Du meine Antwort nicht abgewartet und mich abermals heut durch Deine lieben Nachrichten erfreut hast. Dieser BernhardinerSchnitzler besaß für kurze Zeit, vermutlich
ab dem ,
einen Bernhardiner namens Bern. Im Oktober wurde er in
dem im gleichen Monat eröffneten Tierschutzhaus des Wiener
Tierschutz-Vereins behandelt, Mitte
Dezember erneut. Ab Januar 1903 versuchte
Schnitzler ihn zu vermitteln. Zu diesem
Zeitpunkt lebte er aber bereits nicht mehr bei ihnen ( und ). In diesem Jahr finden sich noch drei Erwähnungen
im Tagebuch: , und . Siehe auch Briefe 1913–1931, S. 118. muß herrlichsein. Ich
freue michschonsehr darauf, ihn kennen zu lernen. Was Du über Hirschfeldschreibst, istsehrschön gesagt. Die Freunde und »literarischen Kritiker«, die
den unentwickelten Burschen,
dessen Sentimentalitätsie für Poesie nehmen, zum Dichter ausgeschrieen haben, haben
allerdings viel Schuld an dem jämmerlichen Ende, – aber doch nicht die einzige. Wer
im Stande ist, ein flaches Machwerk, wie den »Weg zum
Licht« zuschreiben, in dem auch nicht die leiseste Spur von Persönlichkeitsteckt, der hat eben niemals eine Persönlichkeit gehabt. Denn das ist vollkommen
ausgeschlossen, daß man aus einem Dichter plötzlich
ein Flachkopf wird. Der »Weg zum Licht« ist
nicht verfehlt,sondern complet talentlos. Das ist ein Unterschied.
ServaesFeuilletonFranz Servaes: Klinger’s »Beethoven«. In: Neue Freie Presse, Nr. 13.521, 16. 4. 1902, Morgenblatt, S. 1–3. Servaes’ Urteil fiel sehr gut aus. über Klinger, hat das ich eben gelesen, hat mirsehr gut
gefallen. Aber ist auch das Urtheil richtig? Oder ist wieder ein Secessions-SchwindelMax KlingersBeethovenstatue stand im
Mittelpunkt der 14. Ausstellung der Wiener
Secession, die Beethoven gewidmet
war und von 15. 4. 1902 bis 15. 6. 1902 stattfand. dabei? Ich kann es mir allerdings kaum
denken; ich ahne etwas Großes, wenn Klinger einen Beethoven gemacht hat.
Ich habe die Idee, etwa zehn meiner Theater-Feuilletons, diesich mit Hauptmann undseinen Anhängern beschäftigen, zusammeln
und als Kampf-Buch unter dem ironischen Titel »Die neue RichtungPaul Goldmann: Die »neue Richtung«. Polemische Aufsätze über Berliner
Theater-Aufführungen. Wien: C. W. Stern (Buchhandlung L. Rosner),
erschienen im Oktober 1902, vordatiert auf 1903. Der Umfang ist mit 19 Texten größer als hier noch angedacht, wobei vier
Feuilletons zu Stücken Hauptmanns das Buch
eröffnen und dominieren.« herauszugeben. Glaubst Du, daß einsolches Buch
Leser finden würde? Oder hängen Theater-Feuilletons nicht doch zusehr mit dem Tage
zusammen, als daßsie in ein Buch hineingehörten? Die Idee kam mir, da ich neulich
wieder hörte, wiesehr die Hauptmann-Cliquehier mich haßt. Man hat einer
Dame Vorwürfe gemacht, daßsie im Theater freundlich mit mir gesprochen hat! Wenn ichsehe, daß man mitsolchen Mitteln eine künstlerische Überzeugung bekämpfen will,so habe ich den Drang, meine
Überzeugung nur umsostärker zu betonen.
Was Du mir vom Tode der armen Elsa MarktbreiterSchnitzlers Cousine Else Markbreiter war am 30. 3. 1902 an Tuberkulose verstorben, .schreibst, ist ergreifend. Aber
was war es nicht eine Erlösung? Freilich, das ist
auch eine dumme Phrase. Erlöst ist man doch nur, wenn man weiß, daß man erlöst ist.
Ich habe Deiner Frau Mutter
nicht kondolirt, weil ich nicht weiß, ob die Verwandtschaft nahe genug war, um eine
Condolenz zu rechtfertigen. Wenn ja,so kondolire,
bitte, in meinem Namen.
Und diese arme hübsche Grethl MandlMargarethe Mandl, ebenso eine Cousine Schnitzlers, war, wie er vermutete, an
Neuritis erkrankt (), einer Nervenentzündung mit Lähmungserscheinungen. Gestorben
ist sie daran nicht.! Wie, um Himmels Willen, ist dasso plötzlich
gekommen? Sie hat mir in Pörtschachvermutlich im Sommer 1901 nochso gut gefallen. Ist Aussicht auf Heilung vorhanden?
Hast Du zu arbeitenSchnitzler hatte am das
einaktige Puppenspiel Der tapfere Cassian
begonnen. Ebenso hatte er Überlegungen zu seinem Schauspiel Der einsame Weg angestellt (). Hinsichtlich
Goldmanns wiederholter Forderung, Schnitzler solle ein Lustspiel schreiben,
.
angefangen? Denkst Du an das Lustspiel? Ich weiß, Du wirst über diese meine Frage
wiedersehr aufgebrachtsein, aber Du mußt michschon entschuldigen, wenn ich unseren
einzigen D Dramatiker, der h Humor hat, hier und da danach frage, ob er
nicht ein Lustspielschreiben möchte? Du wirst wiedersagen: »Es fällt Dirmir nichts ein.« Aben Aber das Schreiben Schreiben wäresehr einfach, wenn wir nur das
zuschreiben brauchten, was uns einfiele
einfällt.
Wie geht es Olga? Grüßesie herzlichst von mir. Ichschreibe ihr nächstens – jawohl, ganz gewiß,
nächstens!
Lies’ Hehn: Gedanken über Goethe, namentlich den Aufsatz Goethe und das PublikumViktor Hehn: Goethe und das Publikum. Eine Literaturgeschichte im
Kleinen. In: Gedanken über
Goethe. Berlin: Gebrüder Borntraeger1887, S. 49–185.. Eine Fülle
interessanten Materials in einem wundervoll klaren Styl mitgetheilt. Der einzige Fehler ist, ein
irrsinniger Antisemitismus.
Kanner war hier. Ichsoll
zur »Zeit« als Feuilleton-RedakteurHeinrich Kanner dürfte seine Meinung also
geändert haben, . kommen,.Burgtheater und Volkstheatersind allerdingsschon an Burckhardt vergeben. Ichsollte also nur Redaktions-Kuli-Kulisein und eine riesige Büreauarbeit leisten: Kleines und großes Feuilleton,
eine Sonntagsbeilage etc. Ich glaube nicht, daß ich unter
diesen Umständen annehmen werde, – umsomehr als meine Mutter nicht nach Wienmitkommen würde.und ich meinen Hausstand auflösen
müßte. Ja, wenn ich verheirathet wäre,so wäre das Alles anders. Hast Du noch immer
keine Parthie für mich?
FriedjungsBuchHeinrich Friedjung: Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859 bis 1866. 2
Bde. Stuttgart: Cotta1897–1898. Schnitzler las das Buch am . werde ich lesen. Jetztstecke
ich in Grätz»Geschichte der Juden« (Volksausgabe in drei Bänden)H. [ = Heinrich] Graetz: Volkstümliche Geschichte der Juden in drei
Bänden. Leipzig: Oskar Leiner1888. Eine Lektüre durch Schnitzler ist
nicht nachweisbar.. Ein tausendfach anregendes Buch. Mußt Du lesen. »Francesca da Rimini. « hat
mich bodenlos gelangweilt.
Schreib’ mir bald wieder, mein lieber Freund, undsei vielmals und von Herzen gegrüßt von
Deinem
Paul Goldm
Was macht Richard?