Wien, 3. III. 03Lieber, zur PremiereSchnitzler weilte zur Vorbereitung der
Premiere von Der Schleier der Beatrice in Berlin. Diese fand am am Deutschen Theater in seiner Anwesenheit
statt. kann ich nun leider doch nicht nach Berlin; schade. Ich werde erst so gegen 14.ten März reisen; und habe vorher noch enorm viel
zu thun. Was sagen Sie zum Teufelskerl? Das Stück hat Herr WieneCarl Wiene trat als Gastschauspieler am
25. 2. 1903 im Raimund-Theater in der Hauptrolle in Ein
Teufelskerl (The Devil’s Disciple)
von George Bernard Shaw auf. Schnitzler war zu diesem Zeitpunkt bereits in
Berlin und sah die Vorstellung
nicht. ruinirt, wie vorauszusehen war. Sehr fühlbar wurde mir die tiefe
Unmoral, die darin steckt, wenn das Alter sich als Jugend
verkleidet und geberdet. Der Widerwille, den man bei solchem Schauspiel empfindet
geht bis an ein sexuelles Missbehagen, wenigstens begreift man die Nervenzerrüttung
einer Frau, an der ein impotenter Mann heuchlerische Versuche vornimmt, denn mit
ähnlicher Bereitwilligkeit zur Empfängnis sitzt so ein Publikum im Theater. Mir wäre
es sehr lieb, wenn Sie mir statt einer Ansichtskarte einmal näheres über die Proben
ec. Berlin ec. schrieben, falls es Ihre Zeit
gestattet.
In Angelegenheit der Mirjam H.Salten und die Schauspielerin Mirjam Horwitz
hatten eine Affäre, die, wenn man die Hinweise zusammenliest, von ihrem Vater beendet wurde, indem er eine Entscheidung von Salten
forderte. Salten sah darin die Möglichkeit, die Affäre hinter sich zu lassen,
und bat Schnitzler um Vermittlung, was er während seines Berlin-Aufenthalts tat. Horwitz war
auch eine Freundin von Schnitzlers Schwägerin Elisabeth Gussmann. muß ich Sie
nochmals bemühen: bald und möglichst schonend. Sie schreibt mir heute einen confusen Brief; ob sie »nach hier« kommen
soll, oder wann ich »nach dort« komme, ferner, dass ich nicht durch mein Wort an
ihren Vater gebunden bin,
falls sie mit mir
verkehrt, endlich, dass ich an einen Vertrauten von ihr schreiben soll, das sei auch
nicht gegen mein Versprechen ec. Dann noch recht enervirende Dinge
von »sich angehören vor aller Welt –« »den Leuten zum Trotz« ec. und in diesem Stil, der die Liebe recht
unangenehm macht.
Das Wesentliche an der Sache: dass ich ihrem Vater wahrscheinlich kein Versprechen gegeben hätte, wenn
ich Mirjam sehr lieb hätte. Ferner: dass ich
aber, nun ich das Versprechen gab, keine Lust habe Geschichten zu machen. Bringen Sie
ihr das bitte schonend bei. Das mit dem Versprechen nämlich, und
vor allem, dass sie nichts gewinnt, wenn sie gewaltsame Streiche macht, da mir solche
von jeher zuwider waren. Aber bitte, seien Sie sehr schonend, weil sie mir mit
Selbstmord droht, was auch eine hübsche Gewohnheit von ihr ist.
Am 14. fahre ich auf 8 Tage nach Berlin. Im April voraussichtlich
nach Bosnien und Dalmatien. Im Mai nach London auf 14 Tage.
Ich lese jetzt die »Gespräche des göttlichen AretinoSalten schrieb auch ein Feuilleton darüber: Felix Salten: Vom göttlichen Aretino. In: Die Zeit, Jg. 2, Nr. 165, 15. 3. 1903, Morgenblatt, S. 1–2.,« und finde darin zu
meinem Erstaunen die römische Buhlerin, die Bekenntnisse ablegt. Sie wissen, dass ich
ein solches Buch schreiben wollte. Arbeiten kann ich nur wenig, da mir die Zeit fast
alles weg nimmt. Nun soll Aram fort, und ich
für 8400fl. jährlich auch das Feuilleton übernehmen; außerdem
heißt es, – mit mir wurde noch nicht davon gesprochen – dass ich
Chef-Stellvertreter werden soll. Ich wünschte mir, dass der Tag dann – 36 Stunden haben möge, eine
Erhöhung, mit der ich noch mehr einverstanden wäre. Für London habe ich mir jetzt eine
Engländerin
angeschafft,
die 3mal die Woche kommt. Ich beginne
den »Hund von Florenz«Salten arbeitete noch Jahre an der Novelle, die erst 1923 erschien. und . den ich vielleicht dann in Bosnien fertig mache.
Schreiben Sie mir bitte recht bald. Bin neugierig, wie sich Herr Jacobsohn benehmenJacobsohn war der Berliner Theaterkorrespondent der
Zeit. Salten dürfte hier seiner Neugier Ausdruck
verliehen haben, wie Jacobsohn die Premiere von Der Schleier der Beatrice besprechen würde. Die Depesche lautetete:
»Der Dichter wurde häufig gerufen, undstarker Beifall behauptetesichsiegreich gegen einzelne energische Zischer
«. ([Siegfried Jacobsohn]: »Schleier der Beatrice.« Man telegraphirt uns aus Berlin, 7. d.
In: Die Zeit, Jg. 2, Nr. 158, S. 5.)
wird.
herzlichst Ihr
Salten