B. Z. am MittagBerlin SW,9. III. 06.ChefredaktionKochstr. 23–25Lieber, hier sende ich Ihnen das FeuilletonFelix Salten: Russisches Theater. I. In: B. Z. am Mittag, Jg. 30, Nr. 55, 6. 3. 1906, S. 2. – das einzige, das
bisher kam – aus der »B. Z.« Montag will ich nochmals über die Russen schreibenFelix Salten: Russisches Theater. II. In: B. Z. am Mittag, Jg. 30, Nr. 70, 23. 3. 1906, S. 2–3., und schicke es
Ihnen dann gleich zu. Dass Sie so verstimmt von hier weggingenSchnitzler war anlässlich der Uraufführung
von Der Ruf des Lebens in Berlin gewesen und am heimgekehrt. Zu diesem Zeitpunkt
waren bereits einige negative Kritiken erschienen., hat auch auf mich
deprimirend gewirkt. Dieser »Ruf des Lebens«
schien mir so unbezweifelbar, und ist es mir noch, dass seine Aufnahme für mich eine
symptomatische Bedeutung annahm.
Es ist ein Glück, dass Sie stark genug sind, um sich kommende Produktion durch
solche, an sich keineswegs wichtige Zwischenfälle, stören zu laßen. Darauf rechne ich
sehr, und hoffe, bald von Ihnen zu hören, dass Sie arbeiten. Schlimm wäre es ja nur,
wenn Sie, – mehr aus künstlerischer Hypochondrie als aus Selbstkritik – anfangen
würden, in Ihrer Abschätzung dieses Stückes wankend zu werden. Da kann man freilich für eine Weile den Boden
unter sich schwinden fühlen. Aber es wäre, besonders in diesem Falle, das Falscheste!
Sie müssen unbedingt dabei bleiben, dass Ihr Stück im Recht ist, und dass die Zufälligkeit eines Abends nichts
beweist. Dass HardensogeschriebenBezug auf eine gemeinsame Besprechung
der Aufführungen von HofmannsthalsOedipus und die Sphinx und SchnitzlersDer Ruf des Lebens: M. H. [ = Maximilian Harden]: Theater. In: Die Zukunft, Bd. 54,
H. 9, 3. 3. 1906, S. 346–356. hat,
ist im ersten Moment für Ihr Empfinden vielleicht sehr verletzend gewesen; tut aber
wirklich nichts. Hätte er die Sache ausführlich und mit der ganzen Kraft seiner Dialektik zerrupft und
zergliedert, dann wäre es schlimmer gewesen, denn es hätte gewirkt. So aber hat hier, – und wol überall – jeder nur die Achsel gezuckt und gesagt: Das
glaubt Harden selber nicht. Die Politik war
gar zu sichtbar, als dass ein kritischer Einfluß erfolgen könnte.
Nach und nach kommt meine Wohnung. in Ordnung,
und ich kann eine menschliche Existenz beginnen. Könnte ich jetzt wieder von hier auswandern, dann wäre ich
schon imstande, ein nettes Buch über Berlin zu
schreiben. Aber, ich hoffe, dass ich hier nicht sterben muß, und doch einmal werde
reden können. Nach Wien sehne ich mich aber auch
nicht. Dazu liegt mir die Schweinerei der letzten Affären noch zu sehr im Magen.
Haben Sie die letzte Schurkerei des
dramatischen Dichters LudassyDie Auseinandersetzung Ludassy–Salten ist
komplex, da sie sowohl durch öffentliche Gerichtsverhandlungen als auch durch
Prozesse innerhalb der Journalismusorganisation Concordia geführt wurde und jeweils unterschiedliche Aspekte verhandelt
wurden. In seinen Erinnerungen schildert Salten die Sache wie folgt: »Jetzt
muss ich doch noch die Affaire Ludassy
erzählen, unter der ich kindischerweise länger als ein Jahr schmerzhaft
gelitten habe. Ludassy war mein erster
Chefredakteur und er war gewalttätig, wie man sich aus dem Aufbrechen des
Schreibtisches von J. J. David erinnern
wird. Jetzt war er nicht mehr Chefredakteur und ich bei der ›Zeit‹. Nun veranstaltete die Concordia eine Protestversammlung gegen den
Chefredakteur der Zeit, Dr. Kanner, mit der Anklage, er brülle die
Redakteure an. Ich erschien zu seiner Verteidigung und sagte unter anderem, das
Schreien bedeutet gar nichts. ›Hier neben mir sitzt mein
Freund Ludassy, der mein erster
Chefredakteur gewesen ist und der auch geschrien hat. Deswegen sind wir doch
befreundet!‹ Ludassy rückte von mir ab,
murrte: ›Ihr Freund bin ich gewesen und diese Worte werden Sie
bereuen!‹ Ich musste diese Worte, so harmlos sie auch
gemeint waren, länger als ein Jahr bitterlich bereuen.
Denn Herr Dr. Ludassy, der mit einem
Theaterstück: der letzte Knopf im Deutschen Volkstheater zur Aufführung
gelangte, schrieb ungefähr ein Jahr nach der Aufführung, es sei vor seiner
Premiere, der Mann mit dem Revolver vor ihm gestanden.
« (Wienbibliothek im Rathaus, Nachlass Salten, ZPH 1681/1 1.1.1.9.1, [S. 61].) In seinem
Brief vom
schildert Salten den ersten Teil etwas
genauer. Die Stelle, die Salten meint, wird
von einer Wiener Zeitung so zitiert: »Herr Dr. von Ludassy ließsich über
einen Wiener Kritiker in einer Berliner Wochenschrift wie folgt aus:
›Je weniger die handfesten Burschen verstehen, desto hochmütiger,
absprechender und unflätigerschreibensie. Es gibt deren auch, die vor der
Aufführung den Autor um höhere Beträge anzupumpen versuchen (Ich habeselbst
einesolche Kreatur als Zeitungsherausgeber zum Kritiker gemacht; als ich
auf der Bühne als Autor mein Heil versuchte,stand dann dasselbe Individuum
mit dem Revolver vor mir.) Antikritik hilft gegensolche Schelme nicht. Denn
niemand, dem ein unehrlicher oder übermütiger Kritiker Leides zugefügt hat,
will die Bestie reizen.‹
« (y.: Kritik der Kritik.
(Erbauliches aus der »Concordia«). In: Wiener Montags-Journal, Jg. 24, Nr. 1245, 18. 12. 1905,
S. 3–4.) Saltens Narration ist in
der Chronologie unzuverlässig. Die zeitliche Einordnung der Ereignisse lässt sich
mit der Uraufführung von Der letzte Knopf am
nur
scheinbar vornehmen. SaltensFeuilleton erschien zwei
Tage später: f. s.: Deutsches Volkstheater. (»Der letzte Knopf.« Volksstück in drei Aufzügen
von J. v. Gans-Ludassy). In: Wiener
Allgemeinen Zeitung. 6 Uhr-Blatt, Nr. 6628, 10. 4. 1900, S. 2–3. Damals gab es aber die Tageszeitung Die Zeit noch nicht, sodass er das Stück
verwechselt haben dürfte. Zeitlich passender ist die Uraufführung von LudassysDer goldene Boden. Volksstück in vier
Aufzügen, die am (in Anwesenheit Schnitzlers) am Deutschen
Volkstheater stattfand. Eine Besprechung Saltens lässt sich nicht nachweisen, doch dürfte das daran liegen, dass
unmittelbar davor ein längeres Feuilleton von Salten abgedruckt worden war und der Eindruck vermieden werden sollte,
dass das Blatt zu wenige
Beiträgerinnen und Beiträger habe. Dementsprechend wäre das Kürzel »mm« Salten zuzuordnen: mm [ = Felix Salten?]: Deutsches
Volkstheater. (»Der goldene Boden«, Volksstück in vier Aufzügen von Julius
v. Gans-Ludassy. 26. März). In: Die
Zeit, Jg. 3, Nr. 538, 27. 3. 1904,
S. 3. Was genau mit dem »Revolver
« in SaltensErinnerungen gemeint war, klärte er an einer
anderen Stelle: »Mein ehemaliger Chef Ludassy verleumdete mich, ich hätte vor seiner Premiere von
ihm 3000 Kronen erpressen wollen. Es war mir leicht ihn zu widerlegen. Der
damalige Erzherzog Leopold Ferdinand
suchte einen Kredit in dieser Höhe und ich fragte Ludassy um Rat.
« (ZPH 1681/1 1.1.1.9.1,
[S. 4]) Die BehauptungLudassys, es wäre vor der Premiere versucht
worden, ihn zu erpressen, entwickelte sich in der Darstellung Saltens auf folgende Weise weiter:
»Verabredetermaßen fragte Stephan
Grossmann in der Arbeiterzeitung
nach dem Namen des Revolvermanns. Dr Ludassy nannte mich. Worauf mich Stephan Grossmann mit einem Kübel Unrat überschüttete. Ich kam mir in
meiner persönlichen und wegen meiner publizistischen Ehre schwer verletzt vor
und rief ein Ehrengericht gegen mich an. Bei dieser Ehrengerichtlichen
Verhandlung legte ich folgende Beweise vor: 1. Ich hatte Ludassy nur im Namen des Erzherzog Leopolds gefragt, wo man einen Kredit von 8000 Kronen
für den Erzherzog aufnehmen könnte. (Dieser Kredit wurde
ihm wenig später vom Beamtenverein
erteilt.) 2. Ich legte mein Feuilleton über LudassysStück vor, das eine
Lobeshymne darstellte. 3. Ich legte eine Reihe von Briefen und Eilpostkarten
Ludassys vor, in denen er teils für
meine Kritik heissen
Dank aussprach, teils noch lange nach der Premiere und nach meiner Kritik mir Briefe und
Eilkarten schrieb, in denen er verlangte mich zu sehen, in
denen er meine Freundschaft pries, und die seinige beteuerte. Der Präsident
dieses Ehrenrates, Chefredakteur des Neuen
Wiener Tagblattes,Wilhelm Singer, richtete mitten in der
Verhandlung an Ludassy die Frage: ›Sagen
Sie Herr Dr. schämen Sie sich denn gar nicht?!‹ Ludassy wurde zu einer schweren Rüge von der Concordia verurteilt und zur Unfähigkeit
zwei Jahre lang ein Ehrenamt in der Concordia zu bekleiden.
« (ebd., [S. 61–62]). Das
Ehrengericht des Journalistenverbands entschied am zugunsten Saltens. Die Rüge für Ludassy lässt sich belegen, doch wurde er nur für ein Jahr von jeglichen
Ehrenämtern der Concordia ausgeschlossen
(vgl. Wienbibliothek im Rathaus, Nachlass Salten, ZPH 1681, 3.7.4). Salten schrieb in seinen Erinnerungen weiter: »Damit beruhigte ich mich
aber nicht, rief ein zweites Ehrengericht an, das aus Prof. Dr. Joseph Redlich, aus dem früheren Direktor
des Burgtheaters Dr. Max Burkhard und aus zwei anderen hohen Richtern
bestand, die zwar keine Strafverfügung treffen konnten, deren Urteil aber mir
volle Genugtuung bot. Es hatten sich einige meiner Feinde zwar gemeldet, die
ich nur zum Teil persönlich kannte, und deren Zeugnis glatt abgewiesen
wurde.
« (ZPH 1681/1 1.1.1.9.1, [S. 62]). Siehe auch , und .
Jemandem erzählt? Wenn nicht, dann tun Sie’s doch, bitte. Es ist das Empörendste,
dass so ein niederes durch und
durch verseuchtes Luder einen monatelang zwischen seinen Fingern halten darf; Na, Sie
haben mich einmal einen »guten Hasser« genannt, – nicht ganz mit Recht, denn ich habe
mich bisher noch nie an Jemandem gerächt. Aber diesmal will ich mir den Titel
verdienen. So oder so. Und wenn nur der Prozess endlich anberaumt wird – ich hab
mir’s genau überlegt – ich tue nichts, um ihn hinauszuschieben, dann will ich dafür
sorgen, dass diesmal der Angeklagte wirklich Angeklagter sein soll.
Übrigens, laßen wir das. Es gibt, gottseidank, bessere Menschen. Z. B. Beer-Hofmann, nicht wahr? Wie finden Sie es,
dass er mir bis heute noch keine Zeile schrieb, keine
Karte, nichts! Dabei bin ich doch nicht einfach nur verreist, bin in einer
Lebensepoche, in der es nicht ganz unwichtig ist, die Festigkeit gewisser Beziehungen
zu spüren, bin in einer Situation, in der es vielleicht sogar tröstlich, jedenfalls aber
animirend sein kann, von Freunden was zu hören. Dabei hab ich, mitten im Übersiedlungsrummel, im Fieber der neuen Stellung, in der Unrast des Hotelwohnens an B-H. geschrieben, als ich sein Mozart FeuilletonRichard Beer-Hofmann: Gedenkrede auf Wolfgang Amadé Mozart. In: Frankfurter Zeitung, Jg. 50, Nr. 27, 28. 1. 1906, Erstes Morgenblatt, S. 1–2. Mozart hätte am 27. 1. 1906 seinen 150. Geburtstag gefeiert. las (auch dazu
hatte ich Zeit gefunden), dabei hatte ich noch ein zweitesmal an ihn eine Karte
geschickt. Dabei hat Otti an Frau Beer-Hofmann
geschrieben. Und nichts. Nett, nicht wahr?, wenn dann die »besseren Menschen« so aussehen. Ich hoffe, dass Sie mich so sehr arg
nicht missverstehen, und für Empfindlichkeit oder gar für Beleidigtsein nehmen, was
nur ein ganz klares Abrechnen ist. Bei diesem Abrechnen sind alle mildernden Umstände, alle
psychologischen Möglichgkeiten nachfühlenden Begreifens schon in Anschlag gebracht, mit dem Resultat:
man kann immer eine Karte schreiben! eine Zeile! Ich meine,
dieses ist jenseits von Empfindlichkeit und Beleidigtsein. Es ist ganz, ganz was
anderes! Das alles unter uns und im Vertrauen. Ich muß mich über diese Sache
aussprechen, hab es gestern an Hofmannsthal gethan, und that es heute an Sie. WDenn so ganz einfach und wortlos mochte ich diese neueste Erfahrung nicht »zu
den übrigen legen.« Will aber keine Diskussion mit B.-H., weil die Sache absolut nicht diskutirbar und
für mich erledigt ist. Will auch nicht, dass dritte Personen drum wissen, weil weil ich mich schäme!
Wenn die Kur, die ich gebrauche (Kohlensäure Bäder und Vibrations-Massage) vorbei
ist, wenn es wirklich Frühling geworden, fange ich gleich mit einer Arbeit an. Das
ist so gut an Berlin, dass man hier nur am
Arbeiten Freude hat, an nichts anderem. Nicht am Spazierengehen, nicht an
Landparthien, nicht an gemütlichem Schwatz und nicht an irgend welchen anderen
freundlichen aber zeitraubenden Dingen. Man muß immer arbeiten, den ganzen Tag
arbeiten, wenn man sich wol fühlen will.
Eines ist mir sehr erfreulich
hier, wenns nur so bleibt:
dass die Kinder
sich so wol fühlen, und so brav essen. Annerl
spricht jetzt schon so viel wie der Paul, und
ist so lieb, dass sich’s kaum sagen läßt. Neulich waren wir zum ersten Mal im Zool. Und im Nilpferdhaus waren beide Kinder sprachlos vor
Staunen. Da fing das eine Nilpferd laut zu schnauben und zu wiehern an, und Paul war darüber so entsetzt, dass er in Thränen
ausbrach, Annerl aber rief dem Nilpferd zu:
»Sei still, Nilpferd, sonst muß Pauli weinen!«
Und Pauli erzählte zu Hause der Grossmama, das
Nilpferd habe »mit dem Mund ein Gewitter gemacht!« Daran ließe sich etwa ein
verallgemeinerndes Aphorisma knüpfen, was ich aber unterlaße.
Viele herzliche Grüße von uns zu Ihnen.
Ihr
Salten